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#195
vom 6. Juni 2025

Klimaschutz ist kein Solo -
und wir sind Teil der Band! 

von Kristin Kielon
Hallo zusammen,

aus journalistischer Sicht, befinde ich mich ja in einer äußerst privilegierten Situation, wenn ich Ihnen diese Zeilen schreibe. Denn als Autorin beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk weiß man häufig nicht so ganz genau, wie das eigene Publikum tickt. Aber bei Ihnen ist das anders. Sie haben irgendwann einmal auf "Abonnieren" geklickt und das spricht dafür, dass Sie wohl eine gewisse Affinität zum Thema Klima mitbringen.

Und deshalb ist unser heutiges Thema eines nur für Sie - oder besser für uns. Denn ich nehme jetzt einfach mal an, dass es Ihnen da manchmal genauso geht wie mir. Da wir darum wissen, wie es um die Emissionen im Land steht und dass die größten Stellschrauben in der Politik und der Wirtschaft zu finden sind, fühlt man sich selbst manchmal etwas machtlos. Die Bahn nehmen, auf Fleisch verzichten, Ökostrom nutzen: Bringt das überhaupt etwas?

Wenn der Gedanke kommt, erinnere ich mich gern an ein Gespräch mit einem Professor der Boston University, der mir voller Überzeugung versicherte: Wenn wir alle nur drei Dinge ändern, dann hätten wir's! Dann wäre ein großer Schritt zur Klimaneutralität getan. Klingt verlockend, oder? Schauen wir uns heute mal an, ob es wirklich so einfach ist, wie es klingt. Und ob wir wirklich so machtlos sind, wie wir manchmal glauben.

MOMENT DER WOCHE

In Zentral- und Westkanada toben dieses Jahr schon wieder extreme Waldbrände. Die Brände umfassen riesige Flächen und sind teils völlig außer Kontrolle geraten. Allein in der Provinz Manitoba mussten zehntausende Menschen in Sicherheit gebracht werden – der Regionalregierung zufolge die größte Evakuierungsaktion seit Menschengedenken. Der Rauch der Waldbrände ist bereits bis über den Atlantik gezogen und hat auch Europa erreicht. Rechte: IMAGO / Anadolu Agency

Selbstwirksamkeit: Warum es nicht egal ist, wofür wir uns entscheiden

An der Klimakrise ist der Einzelne nicht schuld, die großen Verursacher sind andere. Einer Analyse der NGO Carbon Disclosure Project zufolge lassen sich 70 Prozent der weltweiten Emissionen auf nur 100 Produzenten zurückführen. Das sind fossile Unternehmen und Staaten, die stark auf fossile Energien setzen. Und auch der Weltklimarat IPCC mahnt an, dass für die Begrenzung der Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius eine systemische Transformation notwendig ist.

Trotzdem sind wir alle ein kleiner Teil des Problems. Für Menschen, denen das Klima am Herzen liegt, kann das frustrierend und entmutigend sein. Bringt es überhaupt etwas, das eigene Verhalten zu ändern? Lohnt es sich, das teure Bahnticket zu kaufen statt mit dem Auto zu fahren oder die Heizung im Winter etwas herunterzuregeln? Alles Dinge, die – kann man sie sich leisten – keine große Sache sind, aber das Leben doch ein bisschen weniger komfortabel machen.

Welches Potenzial steckt in Konsumentscheidungen?

Tatsächlich wird die Klimakrise kaum in den Griff zu bekommen sein, wenn wir öfter mal das Fahrrad nehmen und ab und an das Schnitzel weglassen. Doch wenn der Klimawandel auf einer systemischen Ebene gelöst werden muss, weiß ich nicht, was ich beitragen kann, und tue im Zweifelsfall gar nichts. Das ist aber auch nicht zielführend, denn wir Konsumentinnen und Konsumenten haben einen Einfluss, der nicht zu unterschätzen ist.

Besonders motivierend bringt das Benjamin Sovacool, Professor für Global Sustainability an der Boston University, rüber. Er sagt: "72 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen sind auf Verbraucher zurückzuführen. Unsere Entscheidungen darüber, was wir essen, wo wir leben, ob wir ein Auto haben – unser Lebensstil – spiegeln 72 Prozent der Emissionen wider. Wir haben es also in der Hand." 

In einer Studie, für die er mit seinem Team in vier europäischen Ländern – darunter auch Deutschland – hunderte Haushalte befragt hat, zeige: Haushalte müssten nur in drei Bereichen Veränderungen vornehmen, um deutlich weniger Emissionen zu verursachen: weniger Fleisch und regional essen, auf Flüge verzichten und fossil-frei heizen. "Wenn man diese drei Dinge ändert, kann man seine Emissionen um 80 Prozent senken. Und wenn alle Haushalte das tun würden, hätten wir es geschafft", bilanziert Sovacool.

Aber stimmt das so? Felix Creutzig hat sich mit der Rolle des Verbrauchers in der Klimakrise intensiv beschäftigt. Der Professor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hat für den jüngsten Weltklimabericht das Kapitel zu Konsumenten geleitet. Er sagt: "Mehr als die Hälfte der Emissionen entfällt auf die Sektoren Mobilität, Heizen und Ernährung. Und in all diesen Bereichen können wir als Konsumenten tatsächlich aktiv werden." 
Wie groß der eigene Einfluss tatsächlich ist, sei schwer zu beziffern, erklärt Kai Wehnemann vom Umweltbundesamt (UBA). Er ist federführend verantwortlich für die Erstellung der Treibhausgasprojektionen Deutschlands. "Die prozentualen Tonnen sind einigermaßen schwierig zu messen", sagt er. "Aber man kann vielleicht sagen, so die Hälfte des eigenen Fußabdrucks kann durch wenige große Punkte eingespart werden." Mit dem CO2-Fußabdruck-Rechner des UBA kann man herausfinden, wie groß der eigentlich ist und wo die individuellen Schwerpunkte liegen.

Tun, was man tun kann

Alle drei Bereiche bieten deutliche, individuelle Einsparpotentiale. Beim Thema Ernährung sei er sogar schockiert gewesen, als er die Informationen dafür für den Weltklimarat zusammengetragen habe, erzählt PIK-Forscher Creutzig. "Der größte Bereich, wo am meisten Treibhausgasemissionen eingespart werden, ist die Ernährung." Dafür müssten wir unser Essen zum Großteil von einer fleischbasierten auf eine pflanzenbasierte Ernährungsweise umstellen. "Dann kann ganz viel eingespart werden auch über die Landnutzung und weniger Abholzung. Doch das Kulturelle ist ein großer Faktor. Ernährung ist in uns drin, das sind wir gewohnt aus der Kindheit." Deshalb falle vielen die Verhaltensänderung hier besonders schwer. 
Durch die richtigen Konsumentscheidungen kann man viel erreichen.
Kai Wehnemann, Umweltbundesamt
Bei der Mobilität kann es etwas leichter sein, die klimaschonende Entscheidung zu treffen, erklärt Benjamin Köhler vom Öko-Institut. "Ich kann mich jeden Tag fragen, ob ich für zwei Kilometer Weg wirklich das Auto nehmen will oder vielleicht auch laufen oder mit dem Fahrrad fahren kann. Für längere Reisen kann ich auch mal eher den Zug nehmen." Beim Thema Heizen wird es da schon schwieriger. Mieter können beispielsweise nur die Raumtemperatur leicht absenken, aber insbesondere wer Eigentum hat, hat auch die Wahl: "Wenn ein Heizungstausch ansteht, kann ich mich bewusst damit auseinandersetzen, welche klimaschonenden emissionsfreien Alternativen es gibt", so Köhler. 

Wenn das viele machen würden, wäre der Effekt groß: "Beim Heizen haben die privaten Haushalte ungefähr einen Anteil von 30 Prozent an den Treibhausgasemissionen in Deutschland." Würden alle Menschen privat fossil-frei heizen und wären fossil-frei mobil, dann liege das Potenzial schon bei einem Minus von rund 60 Prozent, bilanziert Köhler. Doch er schränkt ein: Während man natürlich Einfluss auf die Heizung im Gebäude habe, müsse der Strom für die Wärmepumpe ja auch erzeugt werden. Und da endet meist der eigene Einflussbereich.
Bahn statt Auto: Die Entscheidung, wie wir uns fortbewegen hat schon einen großen Einfluss auf unseren CO2-Fußabdruck. Rechte: IMAGO / Wolfgang Maria Weber

Politik: Richtiges Verhalten einfach machen

Wir können also grundsätzlich alle in unserem individuellen Rahmen selbst wirksam werden, aber eben nur innerhalb bestimmter Grenzen, betonen die Fachleute. "Wir können einiges verändern, aber am Ende wird es darauf hinauslaufen, dass wir uns auch organisieren, dass wir auch politische Veränderung einfordern", sagt PIK-Forscher Creutzig und illustriert das Problem mit einem Beispiel: "Viele möchten gerne mehr Fahrradfahren statt Autofahren, aber das bedeutet eben auch, dass das Fahrradfahren sicher sein muss, dass wir also nicht immer Angst haben müssen, umgefahren zu werden und das heißt, wir brauchen eine sichere Infrastruktur."

Und dafür brauche es dann eben die Politik. "Es gibt irgendwann die Systemgrenzen, die einfach da sind, vor allem durch Infrastruktur, durch die Stromnetze, durch Straßen, Schienen, Krankenhäuser", sagt auch UBA-Experte Wehnemann. Deshalb müsse die Politik die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Sie müsse Preisanreize und Förderprogramme für Industrie und Verbraucher so stricken, dass die Entscheidung für die klimafreundliche Alternative die bessere Entscheidung sei. "Damit wir grünen Stahl und grüne Kunststoffe aus der Chemie herstellen und dann auch nutzen."

Forscher Köhler vom Öko-Institut betont außerdem, dass Haushalte, für die es eine größere Herausforderung sei, die klimaschonende Entscheidung zu treffen, stärker dabei unterstützt werden müssten. "Wir müssen die Rahmenbedingungen so gestalten, dass diese Umstiege auf emissionsfreie Techniken in allen Bereichen auch möglich werden." Und da ist wieder die Politik gefragt. 

"Die Bedingungen müssen so sein, dass nicht nur die wohlhabenden ökologisch denkenden Menschen sich Wärmepumpen und Elektroautos leisten können, sondern alle, also auch gerade Menschen mit niedrigen Einkommen", erklärt UBA-Experte Wehnemann. "Unsere Studien zeigen, dass sich diese Menschen bisher keine hohen Anfangsinvestitionen leisten können." Die Politik müsse es aber ermöglichen, dass Menschen, die in ihrem Alltag durch Kinderbetreuung oder Pflege ohnehin schon ausgelastet seien, sich nicht noch über CO2-Emissionen und nachhaltigen Konsum Gedanken machen müssten. "Die möchten einfach einkaufen und sich sicher sein, dass, egal, welche Entscheidung sie treffen, das die gute ist."

Aber das heißt ja nicht, dass nicht alle, die es können und wollen, nicht schon jetzt im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Mittel viele kleine Alltagsentscheidungen treffen können, die in der Summe einen großen Unterschied machen können.
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DIESE WOCHE IN DER KLIMAZEIT

Elektroschrott reduzieren – aber wie? Und: Balkonkraftwerke – so geht‘s

Freitags, 19:45 auf tagesschau24 und jederzeit auf  tagesschau.de

Termine

  • 5.6.-15.6. — Leipziger Umwelttage  (Leipzig)
  • 7.6. — Wissenschaft Live: Exklusive Einblicke in die Weltozeankonferenz – eine Live-Schaltung nach
    Nizza (Frankfurt am Main)
  • 13.6. — Jugend fordert Wandel – Debatte zu Dresdens Zukunft (Dresden)
  • 17.6. — Von Grau zu Grün: Was Entsiegelung rund ums Haus bringt (Online-Webinar)
📆 Und noch mehr Klima-Termine finden Sie jederzeit hier.

News

Apfelbäume blühen immer früher
Die Apfelbäume in Deutschland blühen immer früher. Das zeigen Daten aus einem Bürgerforschungsprojekt, das seit 2006 läuft. Seitdem haben sich rund 50.000 Meldungen über den Beginn der Apfelblüte angesammelt. Die Daten werden von Forschenden ausgewertet und belegen einen Trend: Pro Jahrzehnt blühen die Apfelbäume demnach um sechs Tage früher. Das Citizen Science-Projekt ist mit fast zwei Jahrzehnten Laufzeit das älteste seiner Art in Deutschland. Am Zeitpunkt der Apfelblüte lasse sich den Forschenden zufolge gut die Veränderung des Klimas festmachen, da sie den Beginn des sogenannten Vollfrühlings anzeige. Sie sei das sichtbare Zeichen für diese Vegetationsphase, in der der Beginn der Blüte stark vom bisherigen Temperaturverlauf des Jahres abhänge.  (Tagesschau)
Hitzetote: Städte im Süden Deutschlands am stärksten gefährdet
Das Umweltbundesamt (UBA) und das Robert-Koch Institut (RKI) haben eine neue Studie zur hitzebedingten Sterblichkeit in Deutschland veröffentlicht. Demnach habe es in den Sommern 2023 und 2024 jeweils etwa 3.000 hitzebedingte Todesfälle in Deutschland gegeben. Am stärksten betroffen von Hitze seien Menschen in Städten und im Süden Deutschlands. Grund dafür seien sogenannte Wärmeinseln, die sich in den Städten bildeten. Im Norden werde die Hitze durch die Nähe zum Meer abgeschwächt.  (MDR WISSEN)
1,5-Grad-Ziel: Überschreitung bereits 2028 möglich
Laut aktuellem Weltklimabericht werden die nach dem Pariser Klimaabkommen symbolträchtigen 1,5 Grad Erderwärmung bereits zwischen 2030 und 2035 geknackt. Dann ist es im zwanzigjährigen Mittel anderthalb Grad wärmer als zur vorindustriellen Zeit. Zum Ende des Jahrhunderts soll die Erwärmung nicht über diesem Wert liegen. Forschende der Uni Graz vermuten, dass dieser Wert nicht erst in den 2030ern geknackt wird. Schon 2024 lag das langjährige Mittel bei 1,4 Grad, eine Fortschreibung der Zeitreihe zeigt ein Überschreiten der 1,5 Grad erstmals 2028 mit einer Schwankungsbreite von plus-minus zwei Jahren. Grundlage ist eine neue Berechnungsmethode, die nicht auf einer Mischtemperatur aus Luft- und Ozeantemperatur basiert, sondern nur noch Lufttemperaturen nahe der Oberfläche berücksichtigt. (Hintergründe und Stimmen bei MDR WISSEN)

ARD, ZDF und DRadio

Serie: Klimagefühle

In der Serie "Klimagefühle" stehen die Emotionen von Kindern und Jugendlichen im Fokus: ihre Sorgen, ihre Wut, ihre Hoffnung – und manchmal auch ihre Ohnmacht. Aber die Serie zeigt auch Wege auf, wie man mit den "Klimagefühlen" umgehen kann. 👉 KIKA

Interview: Sind unsere Häuser fit für den Klimawandel?

Starkregen, Dürrephasen und Hitzewellen nehmen zu. Auch unsere Häuser müssen mit den Klimaveränderungen Schritt halten. Das Gespräch mit der Expertin für klimagerechtes Bauen, Peggy Freudenberg, bei 👉 MDR AKTUELL

Der Traum vom grünen Wasserstoff durch Sonnenlicht

Grüner Wasserstoff wird aktuell mit Elektrolyseuren und Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt. Ein Jenaer Forschungsteam arbeitet an einem Verfahren, mit dem er direkt und ohne Strom hergestellt werden kann. Allein mit der Energie des Sonnenlichtes. 👉 MDR WISSEN

👋 Zum Schluss

Es bleibt heute also eine Erkenntnis: Aktiv zu werden in Sachen Klimaschutz fängt bei aller Komplexität auch bei unseren persönlichen Konsumentscheidungen an - und wir haben damit tatsächlich einen Einfluss. Je mehr Menschen mitmachen, desto größer ist der natürlich, aber auch allein auf weiter Flur können wir alle selbst die Veränderung sein. Wie ein einzelnes Instrument im Orchester: Wenn alle mit einstimmen, klingt die Komposition voll und groß, aber auch allein machen wir schon ein paar Töne.

Und laut sein ist ja angesichts der schwindenden Relevanz des Klima-Themas in der Politik ohnehin eine gute Sache. Einen Anlass dafür bietet zum Beispiel auch der #ShowYourStripes Tag. Der ist zwar erst am 21. Juni, aber bis dahin können Sie ja schon auf dieser Website der University of Reading die Warming Stripes Ihres Wohnortes herunterladen und dann teilen - so wie ich es bereits mit den Streifen für Leipzig gemacht habe:
Ganz schön dunkelrot am rechten Rand - und das wiederum ist die Erinnerung: Wir müssen etwas tun und wir können etwas tun. Ich jedenfalls, steige jetzt aufs Rad und fahr klimaneutral ins Wochenendvergnügen. Ich hoffe doch sehr, Sie können es mir gleichtun und bleiben uns gewogen.

Beste Grüße,
Kristin Kielon

Noch Fragen? Oder Feedback?

Das ARD Klima‑Update ist ein Produkt des ARD‑Kompetenzcenters Klima unter Verantwortung des Mitteldeutschen Rundfunks.

👉 mdr.de/klima


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