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#168
vom 22. November 2024

Das Wirtschaftsthema der Woche heißt Klimawandel 

von Inka Zimmermann
Liebe Lesende, 
 
ich persönlich bin ja so gar kein Finanzmensch. Nennen Sie mir eine Zahl, oh, ich habe sie schon wieder vergessen. Als Klimajournalistin muss ich meine Anti-Haltung aber wohl aufgeben. Das ist mir diese Woche während der Weltklimakonferenz in Aserbaidschan klar geworden. Dass wir CO2 reduzieren müssen, ist längst eine globale, wirtschaftliche Realität. Und zwar ganz unabhängig davon, ob Sie nun die Natur lieben oder Ihren Porsche. Der Klimaökonom Moritz Schwarz hat vor einigen Monaten zu mir gesagt, die Welt als Ganze sei mittlerweile auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität, da gebe es kein Ausweichen: "Wenn wir jetzt nicht Strategien entwickeln, wie wir als starker Wirtschaftsstandort dahin kommen, dann werden wir langfristig nicht viel gewinnen."
 
Ich finde, er hat recht. Auch wenn offenbar längst nicht alle Staats- und Regierungschefs diese Realität annehmen können. Wie man damit umgeht, zeigt die Weltklimakonferenz COP 29, die seit zwei Wochen in Baku stattfindet. Finanzierung war das Kernthema. Deshalb habe ich zur Abwechslung mal keinen Klimaforscher um eine Einschätzung gebeten, sondern eine Wirtschaftswissenschaftlerin: die Umweltökonomin Edeltraud Günther. Gemeinsam mit ihr will ich diese Woche die Öko-Ecke verlassen und einmal nur wirtschaftliche Argumente gelten lassen.

ZAHL DER WOCHE

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Lobbyistinnen und Lobbyisten aus dem Carbon Capture and Storage-Bereich (CCS) wurden zur Weltklimakonferenz in Aserbaidschan zugelassen. Diese Zahl hat der britische Guardian veröffentlicht. Die Zahl ist interessant, weil CCS, also die Abscheidung von Kohlenstoff aus der Luft und die anschließende Speicherung des Stoffes, dabei helfen kann, den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu reduzieren. Kontrovers daran ist, dass CCS genutzt werden kann, um für eine Weiternutzung fossiler Brennstoffe zu argumentieren. Frei nach dem Motto: Wir bauen einen CO2-Filter an unser Kraftwerk, dann können wir mit weniger Emissionen kalkulieren. Deshalb sind viele Lobbyisten, die auf der Konferenz in Baku für CCS eintreten, auch gleichzeitig als Lobbyisten für fossile Brennstoffe tätig. Die Gefahren einer CO2-Einlagerung im großen Stil sind bisher nicht komplett abzusehen.

Ein Beispiel für die Risiken: Wer CCS betreiben will, braucht dafür unter Umständen CO2-Pipelines. Empfehlenswert ist dieser Bericht aus dem amerikanischen Örtchen Satartia (auf Englisch). Dort explodierte 2020 eine CO2-Pipeline. Wie die EU die Beseitigung von Treibhausgasen angeht, können Sie hier nachlesen.

Der Weg zur Netto-Null ist steinig. 

Netto-Null, also eine ausgeglichene Bilanz, bei der der Anteil von CO2 in der Atmosphäre zumindest nicht weiter erhöht wird – dieses Ziel haben sich viele Staaten gesteckt. Und – wie eingangs betont – wir sind auf dem Weg dorthin. "Auf dem Weg sein ist das eine, dass andere ist vielleicht die Richtung, also wie viele Umwege muss ich gehen", betont Edeltraud Günther. Die Wirtschaftswissenschaftlerin war als Expertin in Baku. Sie ist UN-Diplomatin und arbeitet an der Universität der Vereinten Nationen in Dresden, in Kooperation mit der Technischen Universität. Mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten scheinen sich durchaus einige Umwege anzudeuten. Auch die Stimmung auf der Weltklimakonferenz wurde durch die US-Wahl geprägt: "Was ich auf der Konferenz wahrgenommen habe, ist wie so eine Wolke, die über allem schwebt", erklärt Günther.

"Entwicklungsland" China? 

Das verändert das globale Machtgefüge. "Ich habe das Gefühl, dass durch die US-Wahl auch so etwas wie ein Vakuum entstanden ist, wo dann andere Akteure wie zum Beispiel China durchaus auch sagen, jetzt gehen wir mal einen Schritt voran", sagt Edeltraud Günther. China und Indien gelten bei den Weltklimakonferenzen noch als "Entwicklungsländer" und sind damit in der gleichen Kategorie wie die ärmsten afrikanischen Länder. Das liegt daran, dass die Einstufungen 1992 festgelegt wurden, als die UN-Klimarahmenkonvention unterzeichnet wurde. Mittlerweile hat sich die wirtschaftliche Lage der beiden Nationen deutlich verbessert. Die Forderungen, dass China sich auch als Geberland einbringt, werden dementsprechend lauter. Klimaökonomin Günther nimmt wahr, dass sich hier etwas verändert: "China sieht natürlich auch die Innovationen, gerade beim Thema E-Mobilität. Und China ist auch selbst stark vom Klimawandel betroffen. Und dieses Zusammenspiel zeigt sich dann auch, insofern würde ich sagen, es geht langsam voran."

Der Globale Süden 

Eine der Hauptforderungen auf der COP: Die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder des Globalen Südens brauchen finanzielle Unterstützung. Wie stark sie ausfällt und welche Nationen wie viel geben, war Hauptgegenstand der Verhandlungen. "Da sehe ich unsere Aufgabe, weil unser Wohlstand ganz stark von den Menschen im Globalen Süden abhängt, egal in welcher Industrie: Wir haben keine wahren Preise, an ganz vielen Stellen. Wenn Sie sich etwa Ihre Textilien ansehen, was da an Wasserverbrauch mit verbunden ist, das zahlen wir hier nicht mit." Wir haben also jenseits von Menschlichkeit und Gerechtigkeit schlicht wirtschaftliche Gründe, diese Länder zu stabilisieren.

Deutschland und die EU 

Deutschland hat sich bereits in Dubai für eine bessere Klimafinanzierung eingesetzt, auch in diesem Jahr nehme sie ein starkes Engagement wahr, sagt Edeltraud Günther. Dabei müsse man aber aufpassen, dass man selbst nicht ins Hintertreffen gerate, beispielsweise wenn es um E-Mobilität geht. In Deutschland sei es teilweise so, dass die Politik langsamer als die Unternehmen sei.

Auf politischer Ebene gibt es verschiedene Maßnahmen, die die Wirtschaft auf einen klimafreundlichen Kurs bringen können. Unter anderem Verbote und Regulierungen. Wenn im Zusammenhang mit Klimapolitik Worte wie "Verbotspartei" fallen, muss man sagen: Verbote werden hier bislang ohnehin kaum eingesetzt. Zumindest stellt das eine aktuelle Politikmaßnahmen-Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung fest. Als Betriebswirtschaftlerin sei sie per se auch kein Fan von Verboten, sagt Edeltraud Günther: "Wenn, dann als Notlösung." Was sie sich stattdessen wünscht: mehr Anreize und mehr Vertrauen in marktwirtschaftliche Mechanismen. "Das ist ja das Tolle: Wir wissen schon, wie Unternehmen funktionieren und die sehen genau, wo Anreize gesetzt werden." Viele Lösungen für eine klimafreundlichere Wirtschaft gebe es außerdem schon, jetzt müsse man an die Umsetzung gehen.

Aus Günthers Perspektive bedeutet das auch, dass wir jetzt investieren sollten. "Was wir in der betriebswirtschaftlichen Forschung den Puffer nennen, den haben viele kleine, mittelständische Unternehmen nicht." Ein solcher Puffer kann Raum für Investitionen schaffen. "Obwohl ich aus Sicht der kommenden Generationen ganz klar für eine Schuldenbremse bin, bin ich überzeugt: In der jetzigen Situation müssen wir da einfach mal sagen, lasst uns Geld in die Hand nehmen und Kapazitäten aufbauen, damit wir dann Wert generieren." Sie nehme häufig wahr: In Unternehmen, denen es schlecht geht, wird nicht investiert: "Wir wissen aber aus der Forschung, dass das genau der richtige Weg wäre."

Was viele Unternehmen ihr zudem spiegeln, sei der Wunsch nach einem verlässlichen politischen Rahmen. Das bedeute, dass sich die wirtschaftlichen Bedingungen nicht von Legislaturperiode zu Legislaturperiode ändern, sagt Edeltraud Günther. Sie wünscht sich, dass es hier mehr parteiübergreifende Zusammenarbeit gibt.

Und jetzt? 

Wenn dieser Newsletter veröffentlicht wird, steht noch keine Abschlussvereinbarung der COP 29 in Baku fest. Anstelle einer festen Summe, mit der die Länder des Globalen Südens im Kampf gegen den Klimawandel rechnen können, steht aktuell noch ein "X" im Papier. Voraussichtlich gehen die Verhandlungen noch bis Sonntag weiter. Dass die Klimakonferenz ein großer Erfolg wird, zeichnet sich aber bis jetzt nicht ab. An sich gehört dieses Hin- und Zurückverhandeln zum politischen Prozess. Edeltraud Günther sagt: "Das musste ich als Wissenschaftlerin ehrlich gesagt auch erst einmal lernen: Fakten und empirische Evidenz sind das eine – aber es heißt noch lange nicht, dass das dann umgesetzt wird." 

Termine

Donnerstag, 28. November – Chemnitz 
Wie können wir wieder gemeinsam übers Klima sprechen? Fragt der BUND Landesverband Sachsen und organisiert eine Fishbowl-Diskussion ab 19 Uhr im "Weltecho". Dabei sind Carel Mohn von Klimafakten.de, Prof. Felix Ekardt vom BUND, Mika von FFF Chemnitz und Sarah Arnold, Klimaschutzmanagerin der Stadt Chemnitz. Weitere Informationen gibt es hier.
Mittwoch, 27. November – Quedlinburg
Beim Secondhand-Abend des BUND soll getragene Kleidung neue Besitzerinnen und Besitzer finden. Beginn ist um 17 Uhr im Saal des Kulturzentrums Reichenstraße. Weitere Informationen hier.
Dienstag, 10. Dezember – bundesweit/online
Gespräche unter dem Weihnachtsbaum: Wie können wir mit Freunden und Familie übers Klima reden. Greenpeace veranstaltet ein Online-Seminar mit der Trainerin und Moderatorin Nicola Schäfer. Infos gibt es hier

Klima und Menschheit

Deutschland beim Klimaschutz auf Platz 16 

Im internationalen Vergleich ist Deutschland beim Klimaschutz leicht zurückgefallen. Das geht aus dem Climate Change Performance Index (CCPI) hervor, einem Ranking, das die Organisation Germanwatch jährlich veröffentlicht. In diesem Jahr rangiert die Bundesrepublik auf Platz 16 – zwei Plätze weiter hinten als noch im Vorjahr. Grund dafür seien die "Problembereiche" Verkehr und Gebäude, so Hauptautor Jan Burck von Germanwatch. Die Elektrifizierung in den beiden Sektoren komme nur schleppend voran. Positiv seien dagegen Deutschlands Fortschritte im Ausbau erneuerbarer Energien, doch betreffe das quasi nur den Strommix. Mit Platz 16 reicht es für Deutschland nur noch zur Einstufung "mäßig" statt "gut" – und gleich sechs EU-Staaten schneiden besser ab. Die vier Letztplatzierten im Index - Iran, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Russland gehörten zu den größten Öl- und Gasproduzenten der Welt. Der Index bewertet die Bemühungen von 63 Ländern und der EU, diese umfassen mehr als 90 Prozent aller klimaschädlichen Treibhausgasemissionen.

Die Menschen in Deutschland ernähren sich umwelt- und gesundheitsfreundlicher  
Zu diesem Ergebnis kommt der 15. Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Laut dem Bericht hat der Pro-Kopf-Verzehr von Gemüse stetig zugenommen und liegt nun bei 111 Kilogramm pro Jahr. Dafür ist der Fleischverzehr in den vergangenen zehn Jahren um 20 Prozent gesunken. Trotzdem liegt der Fleischverzehr in Deutschland noch immer über den von der DGE empfohlenen Richtlinien, der Gemüseverzehr weiterhin darunter. Zunehmend beliebte Gemüsesorten waren in den vergangenen Jahren übrigens Tomaten, Möhren und rote Rüben. Kartoffel dagegen wurden weniger gegessen als noch vor einigen Jahren. Kontrovers bleibt das Thema Milchprodukte: Umwelt- und Klimaschützer sprechen sich angesichts der schlechten Klimabilanz dieser Produkte für eine Senkung des Konsums aus, während die Ernährungsexperten der DGE eine Steigerung des Milchproduktkonsums um 30 Prozent gut fänden. Tierische Produkt sind für rund 60 Prozent des Klima-Impacts unserer Ernährung verantwortlich. 
Mehr Vertrauen in die Klimaforschung 

Das Vertrauen in wissenschaftliche Aussagen zum menschengemachten Klimawandel ist in Deutschland in den vergangenen Jahren gestiegen. Das hat eine repräsentative Umfrage der gemeinnützigen Organisation "Wissenschaft im Dialog" (WiD) ergeben. Die Organisation führt seit 2014 jährlich Umfragen zum Wissenschaftsverständnis der Deutschen durch. 2016 lag der Wert zum Vertrauen in die Klimaforschung bei maximal 39 Prozent, in diesem Jahr liegt der Wert bei 59 Prozent. Liliann Fischer, Programmleiterin bei WiD, sagt dazu: "Die Themen sind natürlich im Moment auch viel stärker auf der Tagesordnung, viel stärker im öffentlichen Bewusstsein, werden politisch stärker bearbeitet. All das trägt natürlich auch dazu bei, dass diese Themen jetzt bei den Menschen stärker besetzt sind." Bei den Befragten, die die AfD wählen würden, ist die Skepsis in diesem Bereich allerdings deutlich größer: 41 Prozent von ihnen vertrauen zwar auf Forschung zu erneuerbaren Energien. Beim menschengemachten Klimawandel sind es dann aber nur noch 15 Prozent der Befragten, die den Aussagen von Forschenden glauben.

Hintergründe dazu gibt es bei unsere Kolleg*innen von der tagesschau. 

ARD, ZDF und DRADIO

Gute Nachrichten vom Planeten 

Wie wir Moor, Heide und Wiese schützen, ist das Thema der neusten Folge der Doku-Reihe. Es geht um positive Nachrichten, die häufig unbemerkt bleiben. 
In der ARD Mediathek und am 23.11. um 13:15 Uhr im MDR-Fernsehen. 

42 - die Antwort auf fast alles 

Das beliebte arte-Dokuformat beschäftigt sich diesmal mit einer Klima-Frage: Versinken wir im Meer? 

Weird Animals (seltsame Tiere) 

Die Welt ist im Dauerstress. Das Einzige, was hilft: Raus in die Natur – wo die kuriosesten Tiere wohnen. Bei Weird Animals widmen sich die Hosts Robinga Schnögelrögel und Tereza Hossa den schrägen, spannenden und lustigen Seiten der Tierwelt. Kein Klima-Podcast, aber für Natur- und Umweltfans empfohlen! 

👋 Zum Schluss

Dass wir jetzt investieren sollten, um den Klimawandel zu bremsen, war mir nicht neu. Auch Viviane Raddatz, die Klimachefin des WWF, sagte auf der Weltklimakonferenz in Baku: "Alles, was wir heute nicht investieren, fällt morgen doppelt und dreifach als reine Kosten auf uns zurück."

Erklärt zu bekommen, warum finanzielle Investitionen in eine klimafreundlichere Wirtschaft komplett jenseits von Naturschutz und Idealismus sinnvoll sind, fand ich diese Woche aber dennoch spannend. Und aus meiner Sicht zeigt es: Wer politisch dafür sorgt, dass wir den Klimawandel verpennen, könnte am Ende für einen wirtschaftlichen Schaden verantwortlich sein, den wir vom heutigen Standpunkt aus allenfalls erahnen können. 

Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende 
Inka Zimmermann 

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