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vom 11. Juli 2025

War's das schon mit dem Wasserstoff-Hype?

von Inka Zimmermann
Hallo zusammen,

ich erinnere mich noch gut, wie mein Physiklehrer uns von einer Innovation berichtete: Die Brennstoffzelle, betankt mit Wasserstoff. Damit können wir komplett umweltfreundliche Autos bauen, schwärmte er. Es sei die Mobilität der Zukunft. Der Gedanke gefiel mir sehr. Damals, als Teenager, erfasste mich ein starkes Gefühl von Optimismus. Ich war aufgeregt, was in ferner Zukunft alles möglich sein würde.

Mittlerweile ist das 15 Jahre her. Vieles ist ganz anders gekommen, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich besitze noch immer kein Auto und würde ich mir eines kaufen, wäre es höchstwahrscheinlich keines mit Brennstoffzelle. Obwohl es sie mittlerweile zu kaufen gibt, spricht eine ganze Reihe von guten Gründen dagegen, Pkw mit Wasserstoff zu betanken. Auch an anderer Stelle ist der Hype um Wasserstoff abgeebbt. Was das für die Zukunft bedeutet und wann wir hier in Deutschland tatsächlich mit dem Einsatz von klimafreundlichem, grünem Wasserstoff rechnen können, erfahren Sie diese Woche.  

MOMENT DER WOCHE

Seenlandschaft & Mondlandschaft: In der Niederlausitz kann man sehen, wie die Braunkohle die Landschaft verändert, hier im Bild: Braunkohletagebau Welzow-Süd. Rechte: Inka Zimmermann

💧 Das Erdöl von morgen?

„Grüner Wasserstoff ist das Erdöl von morgen“. Ein Satz aus dem Herbst 2019. So fasste der damalige Staatssekretär Michael Meister (CDU) die enormen Hoffnungen auf Wasserstoff als Schlüsseltechnologie der Energiewende zusammen. Der Vergleich mit dem Öl war damals nicht Meisters Idee, sondern eine recht verbreitete Analogie. Auch die Börse glaubte daran. Die Kurse für Aktien mit Wasserstoff stiegen. Allerdings hielt die Aufbruchsstimmung nicht lange an. 

Der Solactive Hydrogen Economy Index bildet die Wertentwicklung von Unternehmen weltweit ab, die in der Wasserstoff-Industrie tätig sind.

Seit Ende 2021 fallen die Aktien. Zuletzt gab das Stahlunternehmen AcelorMittal 1,3 Milliarden Euro Förderung für den Einstieg in den Wasserstoff zurück und möchte weiter Kohle verbrennen. Vom „Erdöl der Zukunft“ spricht niemand mehr. Der Hype ist vorbei.

Das stimmt, sagt Martin Wietschel vom Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Er beschäftigt sich seit circa 20 Jahren mit Wasserstoff. Die Kosten für die Elektrolyseure, die man für die Wasserstoffherstellung benötigt, seien nicht so stark gesunken wie erhofft. „Auch die Banken werden immer skeptischer, was die Finanzierung von Wasserstoffprojekten angeht“. Außerdem gibt es das Problem mit dem Netz.

Henne-Ei-Problem beim Netzausbau 

Geplant ist, dass der Wasserstoff an die Endabnehmer über Pipelines verteilt wird. Es soll zunächst ein Kernnetz geben und darüber hinaus einige Teilnetze mit lokalen Versorgern. Aber es hakt – ein klassisches Henne-Ei-Problem: Der Ausbau eines Netzes lohnt sich nur, wenn es ausreichend Abnehmer gibt – aber viele Abnehmer stellen erst auf Wasserstoff um, wenn es ein Netz gibt. „Wenn ich ein Netz baue und nur wenige Kunden habe, wird das relativ teuer“, fasst Wietschel das Problem zusammen.

Der Autohersteller BMW mit Werk in Leipzig gehört zu den Unternehmen, die aktuell schon Wasserstoff verwenden und somit als Abnehmer infrage kommen. Seit 2013 steht hier die erste Indoor-Wasserstofftankstelle Deutschlands. Betankt werden Gabelstapler und andere Maschinen, die in der Fertigung des Werkes fahren. Außerdem wird Wasserstoff in der Lackiererei eingesetzt. „Aktuell ist die einzige Liefermöglichkeit auf einem Cube-Trailer, 40-Tonner, der 200 Kilogramm Wasserstoff bringt“, erklärt Stefan Fenchel, Projektleiter Grünes Werk und Wasserstoffexperte. Ein Lkw mit Wasserstoff kommt alle ein bis zwei Tage. Effizient sei das nicht, aber gerade noch tragbar.

Ausgerechnet den Wasserstoff, der die Klimabilanz ja verbessern soll, per Lkw anzukarren, erscheint ein wenig paradox. Zudem ist der Transport ein wirtschaftlicher Nachteil. „Das Hochverdichten des Wasserstoffes für den Lkw und der Transport auf dem Lkw sind aktuell die größten Preistreiber“, erklärt Fenchel. Pipelinegebundener Wasserstoff ist deutlich günstiger – eine wichtige Vorbedingung, um den Einsatz des Gases künftig zu intensivieren. Denn das ist der Plan: Perspektivisch könnten 10.000 Tonnen CO2 mit dem Einsatz von Wasserstoff eingespart werden. Insgesamt stößt das Leipziger Werk aktuell 35.000 Tonnen CO2 aus. Stefan Fenchel hat sich ein klares Ziel gesteckt: „Wir wollen die erste Autofabrik der Welt werden, die eine Wasserstoffversorgungsleitung hat“, betont er.

Lange sah es auch so aus, als könnte dieses Ziel bald erreicht werden, nun ist mit EnviaM einer der Projektpartner aus dem mitteldeutschen Vorzeige-Projekt „Green Bridge“ ausgestiegen. Das betrifft auch die Anbindung von BMW. Hinter dem Ausstieg dürften Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Wasserstoffnetzes stecken. „Im Hinblick auf die allgemeinen Bedingungen am Markt rechnet sich Wasserstoff aktuell nicht. Da bräuchte es entweder sehr günstige Wasserstoffpreise oder sehr hohe CO2-Preise in Verbindung mit niedrigen Strompreisen. Beides haben wir aktuell nicht“, erklärt Martin Wietschel. Natürlich gibt es entsprechende Förderungen, aber: Der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft erfordert, positiv ausgedrückt, unternehmerischen Mut.

Was passiert mit der „Green Bridge“? 

Bei BMW scheint dieser Mut durchaus vorhanden zu sein. Mitte 2027 plant das Unternehmen, mit dem Leipziger Werk an eine Pipeline angeschlossen zu sein. Stefan Fenchel ist optimistisch, dass das auch ohne EnviaM klappt. Man stehe in gutem Kontakt mit lokalen Versorgern, die Firma Ontras wolle nun bestehende Pipelines für Wasserstoff bereit machen. Tatsächlich könnten lokale Wasserstoffnetze wie die „Green Bridge“ noch weit vor dem großen deutschen Wasserstoffkernnetz fertig werden. Das soll insgesamt 9.000 Kilometer umfassen und laut Plan 2032 fertig werden. Wasserstoffexperte Martin Wietschel schätzt, es wird eher 2037.

Neben dem Netz bedroht aber noch eine zweite Herausforderung die Branche. Es gibt bei weitem nicht ausreichend grünen Wasserstoff. Martin Wietschel schätzt den Bedarf in Deutschland bis 2045 auf drei bis vierhundert Terrawattstunden – das sind 20 Prozent unseres Energiebedarfes. Als „grün“ darf Wasserstoff laut EU-Gesetzen nur gelten, wenn die Erzeuger nachweisen, dass er zu 100 Prozent via Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Quellen hergestellt wurde. Das findet aktuell bereits statt – aber in geringem Ausmaß. Fragt man Wietschel, wann seiner Schätzung nach ausreichend grüner Wasserstoff für die Versorgung der wichtigsten Anwendungen vorhanden sein wird, ist die Antwort: in zehn bis 15 Jahren.

Wie „grün“ soll es sein? 

Das bedeutet, für Unternehmen wie BMW in Leipzig, die mit Wasserstoff klimafreundlicher werden wollen, ergeben sich gleich zwei Unsicherheiten: Wann kommt die Pipeline und wann kommt der grüne Wasserstoff? Stefan Fenchel möchte deshalb, dass die Vorgaben für grünen Wasserstoff gelockert werden. Für ihn zähle lediglich, welche CO2-Emissionen pro Kilogramm mit Wasserstoff verbunden seien. Bis der grüne Wasserstoff in ausreichenden Mengen vorhanden ist, würde er gerne auch Wasserstoff verwenden, der nicht als „grün“ gelabelt ist, aber dennoch klimafreundlicher als fossile Gase. Auch Martin Wietschel vom Fraunhofer Institut befürwortet diesen Vorschlag, zumindest jetzt, am Anfang, sei ein „gewisser Pragmatismus“ das Richtige. Sind die Vorgaben zu streng, wird es schwer, die Wasserstoffwirtschaft überhaupt hochzufahren.

Andererseits birgt die Abkehr vom strikt „grünen“ Wasserstoff auch ein enormes Risiko für Missbrauch. Denn das kann auch der Ausgangpunkt für die Aushöhlung diverser Klimaschutzmaßnahmen sein: Unternehmen könnten an der bestehenden Gas-Infrastruktur festhalten, statt in neue Anlagen mit erneuerbarem Strom zu investieren. Nur, um die alte Infrastruktur dann mit Wasserstoff zu betreiben, der weiterhin fossile Anteile hat.

Das „neue Erdöl“ wird Wasserstoff also trotz seiner Vielseitigkeit nicht sein, im privaten Bereich wird er laut Martin Wietschel kaum Anwendungen finden. Investitionen in eine Gasheizung, die H2-ready ist, kann man derzeit niemandem empfehlen – und auch für private Pkw mit Wasserstoff sieht es nicht gut aus. Der Wirkungsgrad liegt deutlich unter dem von E-Autos. Vorrangig sollte grüner Wasserstoff genutzt werden, um Industriesektoren klimafreundlich zu machen, für die es keine andere Lösung gibt: die Stahl- und Chemieindustrie sowie in der internationalen Schifffahrt und im Flugverkehr. Martin Wietschel befürwortet zudem den Einsatz von Wasserstoff in Gaskraftwerken als Backup für Dunkelflauten.

Für diese Sektoren wird Wasserstoff aller Voraussicht nach ein enorm wichtiger Energieträger sein. Nach dem Hype ist Realismus eingetreten. Manche vergleichen grünen Wasserstoff nun nicht mehr mit Erdöl, sondern mit Champagner: selten, wertvoll und nur was für besondere Einsätze.

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DIESE WOCHE IN DER KLIMAZEIT

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News

Menschen können Biodiversität gut wahrnehmen 
Zu dieser Erkenntnis kommen Forschende, unter anderem vom Biodiversitätsforschung iDiv und dem Umweltforschungszentrum UFZ in Leipzig. Fast hundert Teilnehmende haben dazu in einem Experiment Waldbilder und -tonaufnahmen hinsichtlich ihrer Artenvielfalt bewertet. Die Einschätzungen lagen nah an der tatsächlichen Biodiversität. Das Team empfiehlt, bei effektiven Naturschutz- und Begrünungsmaßnahmen auch zu berücksichtigen, wie Biodiversität sinnlich wahrgenommen werde. Die Biodiversitätskrise ist neben der Klimakrise die zweite existenzbedrohende Krise weltweit und bildet mit ihr eine Universalkrise. (MDR WISSEN)
Härtere Auflagen für Werbung mit Umweltaussagen angekündigt 
Für Werbung mit umweltbezogenen Angaben wie „klimafreundlich“ soll es in Deutschland künftig strengere Vorgaben geben. Das geht aus einem Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums hervor. Demnach sollen Aussagen über ein Produkt wie „nachhaltig“ nur noch dann zulässig sein, wenn sie belegt werden können. Bundesjustizministerin Hubig sagte, man sorge dafür, dass Verbraucher eine informierte Kaufentscheidung treffen könnten und der Wettbewerb mit Umweltaussagen fair sei. Für das Inkrafttreten des Gesetzes, mit dem EU-Auflagen umgesetzt werden, ist noch die Zustimmung des Bundestags nötig. (Deutschlandfunk)
Heißester Juni in Westeuropa seit Beginn der Wetteraufzeichnungen
Der Juni war in Westeuropa der heißeste bisher gemessene. Die Durchschnittstemperatur lag bei 20,49 Grad, wie der EU-Klimainformationsdienst Copernicus mitteilt. „Im Juni 2025 wurde ein Großteil Westeuropas von einer außergewöhnlichen Hitzewelle heimgesucht, wobei ein Großteil der Region unter sehr starker Hitzebelastung litt“, sagt Samantha Burgess vom Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (EZMW), das den Dienst betreibt. „Diese Hitzewelle wurde durch Rekordwerte der Meeresoberflächentemperaturen im westlichen Mittelmeerraum noch verstärkt.“ Bei der extremen Hitzewelle in Europa, die bis zum vergangenen Wochenende anhielt, stieg die Zahl der Todesfälle in den europäischen Großstädten laut einer Studie des britischen Imperial Grantham Institute etwa auf das Dreifache der sonst üblichen Werte. (MDR WISSEN) 

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Klimagefühle

Der Klimawandel kann Gefühle wie Angst oder Schuld auslösen. Wie man damit umgehen kann, zeigen kurze Videoclips für Kinder. 👉 ARD Mediathek 

Die stille Ausbreitung der Wüsten

Der Klimawandel lässt die Erde regelrecht austrocknen. Milliarden Menschen sind betroffen. Feature beim 👉Deutschlandfunk 

Wo bleibt der Wasserstoff?

Fragt die ARD Wissen-Reihe „Auf Spurensuche“. Empfehlenswerter Dokumentarfilm 👉 ARD Mediathek 

👋 Zum Schluss

Um noch einmal auf die eingangs erwähnte Brennstoffzelle und dieses Gefühl der Euphorie zurückzukommen: Tatsächlich wurde das wohl erste Fahrzeug, das mit einer Brennstoffzelle angetrieben wurde, bereits 1986 in meiner Heimatstadt Karlsruhe gebaut. Einen sehr unterhaltsamen Archiv-Bericht über den modifizierten VW-Bulli finden Sie hier.

Sollten Sie nach dem Lesen dieses Updates das Gefühl haben, es ginge in der Klimapolitik nicht voran: Beim Anblick des zusammengeschusterten VW-Busses merkt man dann doch, wie viel sich in den vergangenen 40 Jahren verändert hat. 


Haben Sie ein schönes Wochenende 
Inka Zimmermann 

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Das ARD Klima‑Update ist ein Produkt des ARD‑Kompetenzcenters Klima unter Verantwortung des Mitteldeutschen Rundfunks.

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