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#197
vom 20. Juni 2025

Die Lithium-Krise: Warum bauen wir's nicht selbst ab?

von Inka Zimmermann
Hallo zusammen,

fahren Sie schon elektrisch oder noch mit Verbrenner? Die Europäische Union hat sich ja recht ambitionierte Ziele für Elektromobilität gesetzt. 30 Millionen Elektrofahrzeuge müssten schätzungsweise schon in fünf Jahren auf den Straßen der EU fahren, um die Klimaziele zu erreichen. Dass die Zahl der E-Neuzulassungen aktuell steigt, ist also eine gute Nachricht fürs Klima, aber: Elektromobilität wird auch der wesentliche Treiber einer globalen Lithium-Krise sein – und wenn wir nicht aufpassen, ist auch das mit erheblichen Klima- und Umweltfolgen verbunden.

Deshalb habe ich diese Woche eine Dienstreise ins sächsische Freiberg unternommen. Die Stadt und die dort ansässige TU Bergakademie haben eine lange Tradition im Bergbau. Ganz in der Nähe befindet sich außerdem eines der größten silikatischen Lithiumvorkommen in Europa. Eine "Goldgrube"? Nur vermeintlich. Außerdem gibt es Protest aus der Bevölkerung. 

MOMENT DER WOCHE

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1,4 Prozent Lithiumoxid

„Zinnwaldit“ ist ein ockerfarbener Stein, unerwartet schwer und von Quarzwänden durchzogen. Der Stein enthält 1,4 Prozent Lithiumoxid und ist nach seiner Lagerstätte im Osterzgebirge bei Zinnwald benannt. Das Bergbauunternehmen Zinnwald Lithium möchte den Rohstoff abbauen, denn Lithium, das leichteste Metall auf der Erde, ist in diesen Zeiten begehrt. Die globale Nachfrage nach Lithium wird in den kommenden Jahrzehnten weiter steigen. Die drei großen Märkte für Elektromobilität sind Europa, die USA und China – und in allen drei Regionen könnte Lithium knapp werden. Das zumindest ist das Ergebnis einer großen Modellierungsstudie, die gerade erschienen ist.

So schädigt der Lithiumabbau die Umwelt 

Aktuell ist Europa fast vollständig von Importen abhängig. Das Metall kommt aus Australien, China und dem „Lithium-Dreieck“ in Südamerika: In Chile, Argentinien und Bolivien befinden sich die größten Lithiumvorkommen der Welt in Salzseen.

Die Gewinnung aus der Sole dieser „Salare“ ist vergleichsweise einfach zu bewerkstelligen. Das macht es profitabel. Die Kosten für Lithium aus Salzseen liegen bei 2,5 Tausend Dollar pro Tonne, bei Lithium aus Gestein (Bsp. Spodumen) sind es circa 4,5 Tausend Dollar pro Tonne. Der Abbau in Südamerika ist aktuell mit schlimmen Umweltfolgen verbunden: Giftige Chemikalien, die zum Abtrennen des Lithiums verwendet werden, gelangen in die Umwelt, das Süßwasser in den Regionen wird kontaminiert und der Grundwasserspiegel sinkt ab, weil die Lithiumgewinnung mit Verdunstung verbunden ist. Die Zahl der Abbaugebiete steigt dennoch, dazu zählt nun auch der berühmte Salar de Uyuni in Bolivien.

Mittlerweile wird global so viel Lithium abgebaut, dass das Angebot – entgegen aller Knappheits-Prognosen – die Nachfrage zumindest aktuell übersteigt. Das hat zur Folge, dass der Preis schon seit zwei Jahren sinkt.

Medien schreiben angesichts der Lithiumvorkommen im Erzgebirge von einem „weißen Goldrausch“ in der Region. Aber das ist nicht ganz richtig. Ist der Preis niedrig, könnte der Lithiumabbau in Deutschland deutlich weniger profitabel sein als angenommen. Das betrifft besonders den Zinnwaldit, der im Erzgebirge lagert. Bergbau ist per se schon ein teures Unterfangen, die größten Lithiumvorräte lagern jenseits der Grenze in Tschechien und obendrein ist das Gestein mit 1,4 Prozent Lithiumoxid nicht gerade reichhaltig. Zum Vergleich: Spodumen, das als Lithiumquelle etwas etablierter ist, hat etwa acht Prozent LiO2. Man muss also viel Zinnwaldit fördern, um wenig Lithium zu bekommen.

„Heimischer Abbau wäre trotzdem vorzuziehen – das fängt damit an, dass man sich nicht von externen Lieferanten abhängig und erpressbar macht“, findet Martin Bertau. Er leitet das Institut für Technische Chemie an der TU Bergakademie Freiberg. Bis zur Zinnwaldit-Lagerstätte im Erzgebirge sind es von dort circa 30 Kilometer. Bertau argumentiert, es sei besser, Lithium lokal abzubauen, statt den Stoff und die für die Gewinnung notwendigen Chemikalien um die Welt zu transportieren und Umweltschäden in anderen Ländern in Kauf zu nehmen. „Wenn die Leute sagen, Europa sei rohstoffarm, ist das nicht ganz richtig“, betont er. Der Zinnwaldit im Erzgebirge sei immerhin die zweitgrößte silikatische Lithiumlagerstätte der Welt.

Das 🆒-Verfahren 

Bereits 2011 begann Bertau deshalb damit, nach einem Verfahren zu suchen, mit dem sich das Lithium aus dem Zinnwaldit extrahieren ließe. Es sei damals klar gewesen, dass die bestehenden Methoden nicht für das lokale Lithiumerz geeignet sind. Irgendwann stieß er auf die Fähigkeiten von überkritischem Kohlenstoffdioxid. „Das kennt man beispielsweise vom Entkoffeinieren von Kaffee. Es löst selektiv das Koffein heraus und der Kaffee schmeckt weiter nach Kaffee“, erklärt der Chemiker. „Überkritisch“ bedeutet, dass das CO2 erhitzt und unter Druck gesetzt wird. In diesem Zustand kann es als vielseitiges Lösungsmittel verwendet werden – und, wenn es auf Gestein aufgepresst wird, kann es das Lithium aus dem Gestein lösen. Man erhält dann Lithiumcarbonat, das direkt für die Batterieherstellung verwendet werden kann.

Für Martin Bertau muss das damals ein Erfolgsmoment gewesen sein: Ganz ohne umweltschädliche Chemikalien und Beiprodukte Lithium aus dem Gestein herauszulösen, obendrein mit einem komplett elektrifizierbaren Verfahren, das kann man als Durchbruch bezeichnen. Er gab dem Verfahren den klangvollen Namen „COOL-Verfahren“, kurz für CO2-Laugung. 2014 brachte er das Verfahren auf den Markt – und dann passierte zunächst gar nicht so viel. Der Ansturm von Unternehmen, die das Verfahren nutzen wollten, blieb aus. „Die Zaghaftigkeit, mit der die drängendenden Probleme angegangen werden und die Vehemenz der Ablehnung bergbaulicher Methoden zur Gewinnung von Metallen aus den heimischen Erzen überrascht mich tatsächlich“, sagt der Chemie-Professor. 

Die Zaghaftigkeit überrascht mich
Prof. Dr. Martin Bertau, TU Freiberg

Aktuell bauen die Firmen Idener und Cetaqua in Spanien eine Pilotanlage, die das COOL-Verfahren nutzen soll. Im Erzgebirge soll der Zinnwaldit-Abbau frühestens ab 2028 starten. 12.000 Tonnen Lithiumhydroxid sollen dort nach Angaben von Zinnwald Lithium jährlich gefördert werden. 2023 wurde bekannt, dass die Firma ihre Abraumhalde auf den Bergwiesen im nahen Bärenstein plant. Daraufhin gründete sich eine Bürgerinitiative. Protest aus der Bevölkerung bremst den Lithiumabbau in der Region aus. „Bergbau gilt zu Unrecht als schmutzig“, findet Bertau. Natürlich könne man mit allem auch Mißbrauch betreiben und es hänge stark vom Unternehmer ab, ob etwa die Reststoffe wieder unter Tage verbracht oder aufgehaldet werden (das bedeutet, in der Umwelt abgelagert). Dabei könne man viele der Reststoffe aber auch noch weiter nutzen, etwa als CO2-armer Zement, sogenannte Geopolymere. Das sei dann sogar eine wirkungsvolle Maßnahme für den Klimaschutz. 

Zuletzt hat das COOL-Verfahren aber auch noch einen weiteren, ganz entscheidenden Vorteil: Es kann nicht nur genutzt werden, um Lithium aus dem Gestein zu lösen, sondern auch, um den Stoff aus alten Batterien zurückzugewinnen. Aus der Schwarzmasse einer recycelten Batterie kann der gesamte Lithiumanteil zurückgewonnen werden – und zwar in Primärproduktqualität. Gerade angesichts der Umweltkonsequenzen, die der Lithiumabbau haben kann, erscheint das relevant. Die EU-Batterieverordnung legt fest, dass ab 2030 70 Prozent des in Batterien verwendeten Lithiums recycelt werden soll. Bis jetzt wird fast kein Recycling-Lithium für die Batterieproduktion verwendet, denn: Der Prozess ist aufwendig, die Aufbereitung der Batterien umständlich. Bleibt der Lithiumpreis niedrig, lohnt sich Batterierecycling wirtschaftlich nicht, auch wenn es für Umwelt und Klima enorm wichtig wäre. 

Eine umfassende Recherche zur europäischen Lithium-Politik finden Sie übrigens hier bei MDR WISSEN.

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News

Ungewöhnlich wenig Schnee in den Alpen

Im vergangenen Winter ist in den Alpen an vielen Bergen ungewöhnlich wenig Schnee gefallen. Wie der Deutsche Wetterdienst, Geosphere Austria und das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz mitteilten, war die Zahl der Schneedeckentage zwischen 10 und 40 Prozent niedriger als in einem durchschnittlichen Winter. Die Alpen gelten als eine Region, die besonders stark vom Klimawandel betroffen ist. 

(Deutschlandfunk) 

Erste Anlage zur CO2-Abscheidung aus Zementherstellung eröffnet 
In Norwegen ist die nach Firmenangaben weltweit erste Anlage zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CO2) im industriellen Maßstab in der Zementindustrie eröffnet worden. Kronprinz Haakon von Norwegen und der norwegische Energieminister Terje Aasland weihten die Anlage in Brevik im Süden des Landes am Mittwoch ein, wie das Unternehmen Heidelberg Materials mitteilte. Die Anlage soll jährlich 400.000 Tonnen CO2 abscheiden - und so die Herstellung von "Net-Zero-Beton" möglich machen. Die 400.000 Tonnen entsprechen laut Unternehmen 50 Prozent der Emissionen des Zementwerks in Brevik. Die Menge sei vergleichbar mit dem CO2-Ausstoß pro Passagier von rund 150.000 Hin- und Rückflügen zwischen Frankfurt am Main und New York.
Frankfurt ist fahrradfreundlichste Großstadt 

Die Stadt, in der es sich in Deutschland am besten Fahrrad fährt, ist Frankfurt am Main. Das ergibt eine aktuelle Befragung des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, die vom Bundesverkehrsministerium unterstützt wurde. In zehn von 15 Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern habe sich die Wahrnehmung der Radfahrer deutlich verbessert, heißt es weiter. Bei kleineren Städten lagen etwa Münster, Erlangen und Tübingen vorne.
(Deutschlandfunk) 

ARD, ZDF und DRadio

Rückkehr der Komposttoilette 

Fäkalien sind eigentlich etwas sehr Wertvolles. Doch diese Ressource wird unterschätzt. Reporterin Juliane Neubauer hat sich gefragt, welche Rolle dabei unser Toilettensystem spielt.
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Die grüne Mauer 

Eine „Große Grüne Mauer“ aus Bäumen quer durch den afrikanischen Kontinent: Mit diesem utopischen Megaprojekt wollen die Länder in der Sahelzone die Wüste zurückdrängen. 👉 DLF

Ein Bunker wird Hotel und Park 

Der alte Flakbunker auf St. Pauli ist Wahrzeichen der Freien und Hansestadt Hamburg und nicht zu übersehen. Die nordstory zeigt, wie er begrünt wurde 👉 ARD Mediathek

👋 Zum Schluss

Wenn wir uns eine klimaneutrale Zukunft wünschen (und daran führt kein Weg vorbei), dann wird das mit Entscheidungen verbunden sein, gegen die es auch Widerstände gibt. Das Windrad nebenan kann bedrohlich wirken, das Lithium-Bergwerk im Nachbarort ist ebenfalls ein Eingriff in die Natur. Dass einige Anwohner im Erzgebirge sich darüber nicht freuen, nun auf diese Weise Teil der E-Auto-Pläne der Europäischen Union zu werden, wundert mich nicht. Ich wäre auch nicht begeistert.

Andersherum ist es natürlich angenehmer, die Lithiumversorgung an andere Länder auszulagern, die das ja auch bereitwillig übernehmen. Oder aber: wir stellen uns der Verantwortung für unseren Rohstoffverbrauch. Immerhin haben wir die Möglichkeit, es hier bei uns vergleichsweise nachhaltig, sauber und modern zu lösen. 

Haben Sie ein schönes Wochenende 
Inka Zimmermann 

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Das ARD Klima‑Update ist ein Produkt des ARD‑Kompetenzcenters Klima unter Verantwortung des Mitteldeutschen Rundfunks.

👉 mdr.de/klima


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