Darstellungsprobleme? Im Browser ist's netter.
#194
vom 29. Mai 2025

Da brät einem das Klima
doch ’nen Storch

von Florian Zinner
Hallöchen,

heute mal zum Donnerstag, damit Sie sich den lästigen Feiertag mit unserem Newsletter vertreiben können. Zur Sache: Soweit ich mich erinnern kann, hat man mich als Kind mit Klapperstorch-Geschichten verschont und gleich offengelegt, woher die Zöglinge kommen. (Danke den Müttern und – vor allem am heutigen Tage – den Vätern.)

Dafür ist der Storch für andere Zwecke gut: Für ein zünftiges Ooh und Aah, wenn man einen schweben oder im opulenten Nest residieren sieht. Für ein ausgeglichenes Ökosystem, eh klar. Oder in Thüringen als Ersatz-Osterhase. 

Nun wäre der Weißstorch – das ist der unsrige – nicht Thema dieses ARD Klima-Updates, wenn die Klimaveränderungen nicht auch was mit diesen Vögeln machen würden. Soll heißen: Möglicherweise müssen wir unser Bild vom ästhetisch ausgereiften Zugvogel nicht nur einmal überdenken.
⚠️ Auweia: Sie haben vergangenen Freitag kein Klima-Update erhalten? Leider gab es ein Problem mit unserem Dienstleister, er wurde inzwischen ausgiebig geteert und gefedert. Die sehr lesenswerte Ausgabe von Max Fallert um das Geistergas Methan können Sie hier nachholen.

MOMENT DER WOCHE

Puppenspieler in Lagos, Nigeria, als Teil von The Herds, einer reisenden Theateraufführung, die ihren Weg von der Demokratischen Republik Kongo bis zum Polarkreis begann, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Rechte: picture alliance/dpa/AP/Sunday Alamba

Storch, Klima – und ein Portiönchen Opportunismus

Unklar, ob es dafür einen fachlicheren Ausdruck gibt, aber der Boden hat etwas sehr angenehm Wobbeliges. „Normalerweise würden wir hier ohne Gummistiefel nicht laufen können“, sagt Bernd Petri und schreitet voran durch die grasbewachsene Wobbeligkeit, bis dorthin, wo sie dann nicht mehr ganz so grasbewachsen ist. Im Winter stand hier noch das Wasser. Ein einzelner Storch stochert im trockenen Boden. Dann fliegt er weg, in Richtung eines der großen Storchennester in den alten Pappeln. Am Abend werden es hier hunderte Exemplare sein.

Die Gegend um das südhessische Groß-Gerau, noch im Schatten des Frankfurter Großflughafens, ist eine der storchenreichsten in ganz Deutschland, ja sogar Europa. Bernd Petri ist hier aufgewachsen, hat in den Sechzigern mit großen Kinderaugen die letzten Störche bewundert und als Erwachsener ihre Wiederkehr erlebt. Jetzt ist er Ornithologe und der Storchenfachmann im Nabu-Bundesverband.

Störche schmeißen Störche aus dem Nest

Dass die Feuchtwiesen auf dem Niedermoorgebiet im hessischen Ried in diesen späten Maitagen ohne Gummistiefel zu begehen sind, das ist dem Storch auch schon aufgefallen. Der trägt zwar eher selten Schuhwerk, aber die seit dem Winter anhaltende Trockenheit macht den weiß gefiederten Freunden hier wie in vielen Teilen Deutschlands gehörig zu schaffen. „Die haben jetzt wirklich seit drei, vier Wochen Stress“, so Petri. Mäuse? Insekten? Würmer? Nada. Auch denen ist es zu trocken. Sie sind in tiefere Schichten abgetaucht und durch den verdorrten Oberboden kommt man mit dem Schnäbelchen ohnehin nicht weit.
Auf der trockenen Feuchtwiese: Bernd Petri Rechte: MDR/Florian Zinner
„Es gibt vermehrt Storchenpaare, wo letztlich auch junge Störche aus dem Nest geworfen werden oder auch selbst gefuttert oder verfüttert werden.“ Die Schauergeschichte, die Bernd Petri da mit Blick auf die Feuchtwiesen-Idylle zum Besten gibt, ist, nüchtern betrachtet, der Lauf der Natur, wenn Nahrungsknappheit herrscht. Dieser Lauf wird zurzeit auch andernorts beobachtet und sorgt dafür, dass es zumindest ein, zwei Nachfahren schaffen. Nur fürs Protokoll: Auch wenn es naheliegt, sollten Menschen nicht eingreifen und ausgestoßenen Storchennachwuchs aufziehen. Das sei nur etwas für ausgewiesene Fachleute wie auf dem Storchenhof in Loburg östlich von Magdeburg, sagt Petri.

Langanhaltende Trockenheit wie in diesem Jahr zählt zu den Klimafolgen, die im Zuge der Erderwärmung in Deutschland häufiger werden. Langfristig kann das der Storchenpopulation im Land schaden. Und das wäre bedauerlich, schließlich hat sie sich gerade erst erholt. Diese Erholung betrifft vor allem die westziehenden Störche, also jene, die sich vom Deutschland westlich der Elbe im Winter ihren Weg Richtung Spanien oder Nordafrika bahnen. Von den vor zwanzig Jahren 4000 deutschen Brutpaaren war nur ein Viertel Westzieher. Der Rest nahm die gefährlichere, lange Route in Richtung Türkei bis hin nach Südafrika. Die Zahl der Brutpaare hat sich inzwischen mehr als verdreifacht, aber nur noch ein Viertel sind Ostzieher. Durch die Verluste auf ihrer Ostwanderung stagniert die Population, die wenigen Zuwächse sind aus dem Westen rübergemacht. Ja, auch das gibt’s.
Den Weststörchen zugute kommt auch das warme Klima, insbesondere entlang des Rheins, von dem auch Groß-Gerau nicht weit entfernt liegt. Dass es in den vergangenen Jahren noch ein bisschen wärmer geworden ist, bringt uns dazu, dass wir unser Bild vom Zugvogel wohl etwas korrigieren müssen. Zwar ziehen Störche auch im Winter noch dorthin, wo es sich von den Temperaturen her aushalten lässt und – vor allem – genügend Futter verfügbar ist. Aber für manche reichen da auch fünfzig Kilometer innerhalb Deutschlands. Und einige bleiben sogar gleich an Ort und Stelle.
Schneeweiße Zugvögel vor Schnee – daran muss sich das Auge erstmal gewöhnen. Rechte: Bernd Petri/Nabu
Einen Sinneswandel im Tun der Störche hat auch Andrea Flack festgestellt, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Verhaltensforschung in Konstanz. „Das sehen wir hauptsächlich bei älteren Störchen, die früher aus ihren Überwinterungsgebieten zurückkehren oder auch im Herbst vielleicht länger hierbleiben.“ Insgesamt ziehen die älteren Störche also weniger. Vielleicht noch nach Spanien, dort ist das Futterangebot auf Reisfeldern und Müllkippen ausreichend. Diese prototypischen Zugvögel sind gar nicht so reiselustig, wie wir denken, denn Langstreckenflüge sind für die Tiere nicht gerade ungefährlich.

Goldner Westen der Störche

Die kurze, komfortable Westroute scheint attraktiver zu sein als die lange Ostroute. „Und deswegen verschiebt sich dieser Zugkorridor so ein bisschen Richtung Westen“, so Andrea Flack. Dass der Klimawandel Zugvögeln entgegenkommt, wäre ihr zufolge aber die falsche Schlussfolgerung: „Wenn die Vögel früher zurückkommen und hier anfangen wollen zu brüten, ist es eventuell so, dass die Nahrung noch gar nicht da ist.“ Oder manche Insekten sind in ihrem Entwicklungsstadium schon durch und fallen als Fressen weg.

Ortswechsel: Bernd Petri steuert in Richtung Mülldeponie Büttelborn, direkt an der A67, der Storchenautobahn, die manche Kraftfahrende schon dazu bewegt haben soll, einen Gang runterzuschalten. Auf der Deponie kennt man den Ornithologen schon. Warum, wird klar, als Petri gelernt den Müllbergpfad nach oben lenkt und auf halber Höhe zum Stehen kommt: Hier, wo der ungetrennte menschliche Unrat lagert, tummeln sich pünktlich zum Lunch an die hundert Weißstörche. In bester Gesellschaft einiger Milan-Greifvögel durchsuchen sie das nach Verwertbarem, was wir Restmüll nennen. 
Der Storch ist Pragmatiker. Rechte: MDR/Florian Zinner
Das rastlose Stochern geht mit vertrauten Klängen einher, dem klassischen Klappern des Klapperstorchs. Und mit eher unvertrauten: Ja, Störche können fauchen, wenn ihnen die Kameradinnen und Kameraden zu sehr auf die Füße treten. Zwischen und in den bunten Plastiksäcken müssen sich offensichtlich allerhand Fleischreste und andere verwertbare Lebensmittel versteckt haben, die den Vögeln Nahrung bieten.

Das idyllische Bild vom Storch, der sich in der Pappel oder auf einem Schornstein eingenistet hat, elegant durch die Landluft segelt und so viel Natürlichkeit ausstrahlt, dass es zum Wappentier des Nabu gereicht hat, dieses Bild ist auf einmal ganz weit weg. Ganz freiwillig sind die Tiere auch nicht hier, sondern nur, weil ihnen ihr eigentlicher Lebensraum nicht mehr genug Nahrung bietet, sofern er überhaupt noch existiert.
Die Junggesellen hier auf der Deponie feiern Party
Bernd Petri, Ornithologe
Das Zusammenleben zwischen Mensch und Storch, hier auf der Deponie scheint es irgendwie zu funktionieren. „Es sind einfach Verwerter der Sachen, die die Menschen sinnloserweise nicht nutzen“, sagt Petri. Vor allem noch unverpaarte Störche tummeln sich hier: „Also Junggesellinnen und Junggesellen sind hier auf der Deponie und die feiern Party, die haben noch nicht so den Ernst des Lebens.“

Diese Party, dieses Resteessen mit Ausblick bis zur Skyline von Frankfurt – unterm Strich ist es vielmehr ein Pakt mit dem Teufel als willkommene Symbiose. Gerade mit dem Haushaltsmüll können die Tiere unbeabsichtigt Dinge zu sich nehmen, die nicht in einen Storchenmagen gehören. Das kann mitunter bis zum Tod der Vögel führen. Petri hat bereits beobachtet, wie ein Ring um den Schnabel eines Storches ihn daran gehindert hat, eben den zu öffnen.

Aus Richtung Deponie kommt einer geflogen und zieht über die Feuchtwiese. Bernd Petri sieht es sofort: „Der hat was geschluckt, hat Futter dabei. Und das wird dann im Nest ausgespeit.“ Bleibt zu hoffen, dass es Küchenabfälle sind und keine Verpackungsteile. Das Verhältnis zwischen Mensch und Storch ist also kompliziert und der Klimawandel wird es noch komplizierter machen. Denn ob und wie sich fehlender Nachwuchs, aber auch Überwinterungen in Deutschland in den Ökosystemen bemerkbar machen werden, lässt sich jetzt noch nicht sagen. Das Gute: Der Storch ist pragmatisch und anpassungsfähig. „Aktuell ist es so, dass die Störche die letzten Jahre von dem Lebensraum profitieren, den die Menschen gestalten.“ Nur ob das so bleibt? Bernd Petri hat zumindest ein Auge drauf.
Logo KlimaZeit
DIESE WOCHE IN DER KLIMAZEIT

Bürger reden jetzt mit – Klimabürgerrat berät den Saarländischen Landtag. Außerdem: Bürger finanzieren Solarstrom – erste Energiegenossenschaft in Vorpommern. Und: Bio für alle in der Landwirtschaft weltweit  – geht das überhaupt? 

Freitags, 19:45 auf tagesschau24 und jederzeit auf  tagesschau.de

Termine

📆 Und noch mehr Klima-Termine finden Sie jederzeit hier.

News

Autonomes Fahren: Fahrgastbetrieb auf Level 4 startet
Im Landkreis Offenbach ist zum ersten Mal in Deutschland ein Fahrgastbetrieb mit autonomen Shuttles in der zweithöchsten Stufe in Betrieb gegangen. Diese Stufe 4 steht für eine komplett fahrerlose Beförderung in einem definierten Gebiet. Für das KIRA genannte Projekt in Langen und Engelsbach müssen sich Fahrgäste als Testnutzer registrieren. Bundesverkehrsminister Schnieder bezeichnete autonomen Personenverkehr in diesem Zuge als Schlüsseltechnologie, unter anderem für umweltfreundliche Mobilität. Auch in anderen Regionen, etwa in Magdeburg und Hannover, steht autonomer Fahrgastbetrieb in den Startlöchern.
WMO: Hohe Wahrscheinlichkeit für Rekordtemperaturen in den kommenden fünf Jahren
Wie die Weltwetter-Organisation WMO am Mittwoch in Genf mitteilte, zeigen globale Klimavorhersagen, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Temperatur eines der kommenden Jahre 1,5 Grad über dem vorindustriellen Zeitalter liegen wird. Dass dies im Durchschnitt auf den ganzen Zeitraum bis 2029 zutreffe, sei immerhin zu siebzig Prozent wahrscheinlich. Zudem sei es sehr wahrscheinlich, dass mindestens eines der kommenden fünf Jahre das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen werde (derzeit 2024). Die Erwärmung der Arktis werde weiterhin deutlich über dem globalen Durchschnitt liegen, Niederschlagsmuster zeigten zudem große regionale Schwankungen.
Zusätzlicher Hitzemonat für die Hälfte der Weltbevölkerung
Innerhalb der vergangenen zwölf Monate war die Hälfte der Menschheit dreißig zusätzlichen, klimabedingten Tagen mit extremer Hitze ausgesetzt. Das zeigen Forschende in einem gemeinsamen Bericht von World Weather Attribution, Climate Central und dem Klimazentrum des Roten Kreuzes. In 195 Ländern und Gebieten habe sich die Zahl an Tagen mit extremer Hitze mindestens verdoppelt, verglichen mit einer Welt ohne Klimawandel. Extreme Hitze definieren die Forschenden als Temperaturen, die heißer sind als neunzig Prozent der historischen Beobachtungen in einer bestimmten Region.

ARD, ZDF und DRadio

Gärtnern in Zeiten des Klimawandels

Empfindliche Pflanzen vertrocknen leichter und brauchen mehr Pflege. Lieber gleich zu robusten Pflanzen greifen? Tipps in der 👉 ARD-Audiothek

Frisch geerntet: Wie Göttingen klimafreundlicher isst

Ein Projekt, bei dem aus Salatköpfen vom Acker ein frisches Mittagessen für 2.000 Schülerinnen und Schüler wird, zeigt der 👉 NDR

Wie Viren beim Schrott-Recycling helfen

Forschende aus Sachsen entwickeln ein Verfahren gegen Rohstoff-Verschwendung, um seltene Erden aus Handys und Lampen zu gewinnen. Artikel und Hörbeitrag beim 👉 MDR

👋 Zum Schluss

Gestatten Sie mir noch kurz das Kopfschütteln: Nicht nur für Weißstörche scheint die Kurzstrecke attraktiver geworden zu sein, sondern auch für den Condor (also die Fluggesellschaft, die eigentlich ein Ferienflieger ist). Seit diesem Frühjahr feiert sich das Unternehmen dafür, wieder innerdeutsche Flugverbindungen ins Programm aufgenommen zu haben. Solche, die bequem mit dem Fernverkehrszug zu erreichen sind.

Damit das Ganze nicht versehentlich als falsches Signal verstanden wird, führt Condor gleich noch ein Klimaticket ein, das CO2-Kompensation möglich machen soll. Nun. Warum Kompensation auf der alternativenreichen Kurzstrecke (im Gegensatz zur Langstrecke) keine wirkliche Hilfe ist, hat die in diesem Bereich erfahrene Organisation Atmosfair hier ausführlich dargelegt.

Passen Sie auf sich und die Welt auf.

Herzlich
Florian Zinner

Noch Fragen? Oder Feedback?

Das ARD Klima‑Update ist ein Produkt des ARD‑Kompetenzcenters Klima unter Verantwortung des Mitteldeutschen Rundfunks.

👉 mdr.de/klima


Logo des MDR
Kontakt Impressum Datenschutz Abmelden
*