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#193
vom 23. Mai 2025

Schluss mit der Demütigung:
Die Jagd auf Methan!

von Max Fallert
Hallo,

heute lade ich Sie zu einer weltumspannenden Reise ein: Hoch hinaus in den Orbit und danach tief hinab ins Erdinnere. Wir gehen auf Spurensuche eines unterschätzten Treibhausgases: Methan.

Es ist die Nummer zwei der gefährlichen Klimagase, aber wie das so ist mit dem zweiten Platz: Am Ende interessieren sich doch eh alle nur für den strahlenden Sieger, sprich Kohlendioxid. Bei Klimathemen geht das so weit, dass alle anderen Treibhausgase in ihrer Wirkung immer nur in CO2-Äquivalente umgerechnet werden. Wie demütigend, oder?

Die Recherche zu diesem Klima-Update hat zwei überraschende Erkenntnisse für mich bereitgehalten: Wer Methan ausstößt, setzt zum Turbo gegen das Klima an. Wer es vermeidet, gibt Gas im Klimaschutz. Zeit also, es aus dem Schattendasein ins Spotlight der Öffentlichkeit zu rücken: Bühne frei für Methan!

MOMENT DER WOCHE

Home is where your PV is — Photovoltaik boomt, eben auch privat, bis in den kleinsten Hinterhof, wie hier in Köln-Nippes. Rechte: MDR/Florian Zinner

Jagd auf Geistergase: Methan aufspüren und aufhalten

Methan hat es in sich: 0,5 Grad Erderwärmung gehen auf sein Konto: „Wir haben ja gerade die 1,5 Grad gerissen – also ein Drittel der Erwärmung durch Methan“, rechnet Ralf Sussmann vor, Klimaforscher am Karlsruher Institut für Technologie. Eine Tonne Methan wirkt in den ersten Jahren wie etwa achtzig Tonnen CO2 in der Atmosphäre. „Methan wird schnell abgebaut und verschwindet nach zehn Jahren aus der Atmosphäre. Es hat in dieser kurzen Zeit einen extremen Klimaeffekt“, so Forscher Sussmann.

Akt 1: Wenn Termiten furzen, schwitzt die Erde

Schätzungsweise 570 Millionen Tonnen Methan entstehen im Jahr – zwei Drittel davon durch uns. Den natürlichen Kreislauf haben wir so aus seiner Bahn getreten: „Die Methankonzentration steigt schneller in den letzten Jahren und das ist definitiv ein Grund zur Beunruhigung“, so die Einschätzung von Anke Roiger, Atmosphärenchemikerin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Das Gas entsteht in der Industrie, in Rindermägen und auf Reisfarmen, in tropischen Regenwäldern und in unserem Darm. Sogar, wenn Termiten furzen.
Klimakiller Termiten? Kein Witz, die globale Verdauung aller Termiten erzeugt zehnmal so viel Methan im Jahr wie Deutschland mit all seinen Ausdünstungen. Rechte: KI-generiertes Bild mit ChatGPT/DALL·E (OpenAI)/MDR
Europa ist eigentlich auf einem guten Weg: Seit 1990 nehmen die Methan-Emissionen ab: Die Darmkur wirkt. Doch es gibt eine sichtbare Ausnahme. Was ist da los in Südpolen?
Auffällige Häufung von Methan-Emissionen in Südpolen; aufbereitet wurden die Daten vom europäischen Tech Start-up Kayrros. Rechte: Kayrros

Akt 2: Der Schnüffler aus dem All

Nichts entgeht seinem Riecher. Er schnüffelt unseren Planeten ab: Der europäische Satellit Sentinel-5P. Einmal am Tag umkreist er die Erde, scant sie komplett von der Oberfläche bis in den Himmel. Im Visier: Treibhausgase wie Methan. Wo der Satellit wohl gerade seine Bahnen zieht? Über der Antarktis, relativ arm an Methan? Über der nordchinesischen Region Shanxi – dem absoluten Methan-Hotspot der Welt? Oder deutlich näher bei uns, eben über Südpolen?
Das Gelbe in der Mitte zeigt eine auffällig erhöhte Methankonzentration, aufgefangen vom europäischen Satelliten Sentinel-5P. Rechte: Kayrros
Denn auch da ist ein Hotspot. Eine Quelle, die immer wieder Methan ausstößt. Eine Quelle, die sich vermeiden ließe. Aber wer oder was ist da? Wen riecht die Spürnase des Satelliten?
Methan-Anomalie Nummer 2 Rechte: Kayrros
Sind es vielleicht enorm viele Kühe? Aber warum sieht man die Wolken nicht auch in Deutschland? Bei uns rülpsen viel mehr Kühe als in Polen.
Sind es Feuchtgebiete, Regenwälder oder gar Termiten? Eher unwahrscheinlich in Südpolen. Große Gaskraftwerke? Immerhin besteht Erdgas zu 95 Prozent aus Methan. Überall, wo Erdgas drin oder dran ist, kann Methan rauskommen. Etwa, wenn man eine Pipeline in die Luft jagt: Moin, Nord Stream! Laut Forschenden gilt die Sprengung der Gasleitungen im Herbst 2022 als das größte Methan-Leck aller Zeiten. 500.000 Tonnen Methan – Klima-Boom!
Weniger Methan heißt: Es wird kälter
PD Dr. Ralf Sussmann
Aber es geht auch weniger brachial: Bei jedem Schritt in der Gasindustrie und auch beim Endkunden an der Gastherme können relevante Mengen Methan entweichen. Schönen Gruß an alle Fans von amerikanischem LNG/Fracking-Gas: Das gilt auf seinem ganzen Weg als so dreckig, da wäre Kohle fast die bessere Alternative. Kohle! Kohle Kohle Kohle – Sie ist der zentrale Energieträger Polens.

Akt 3: Die Geister entweichen aus der Grube

In Polen wird besonders viel Steinkohle verbrannt. Um sie zu gewinnen, muss man hunderte Meter tief bohren – und so die Geister aus der Tiefe wecken: Denn neben der Kohle lagert Methan unter der Erde. Einmal angebohrt, entweicht es durch die Schächte nach oben. Es muss sogar rauskommen: andernfalls explodiert das entzündliche Gas im Bergwerk. Deshalb schützen Belüftungsschächte für Methan die Bergleute bei ihrer Arbeit unter Tage. Eine doppelte Klimabelastung: Ungewolltes Gas und gewollte Kohle für Kraftwerke.
Kohleminen und -Kraftwerke sind die Methan-Quelle Nummer 1 in Polen.
Rechte: DLR
Aber auch wenn die letzte Schicht vorbei ist und die Minen längst stillgelegt, vergessen und verlassen sind: Methan entweicht bis zu hundert Jahre lang weiter. Abertausende Tonnen gelangen so aus den polnischen Minen in die Atmosphäre. Global gesehen gilt: Kohlebergbau erzeugt mehr Methan als Gas und Öl. Doch es gibt Lösungen dagegen und Deutschland ist – mal wieder – Klimastreber.

Akt 4: Ghost-Busters – made in Germany

Klimastreber per Gesetz: Seit 2000 fördert das Erneuerbare-Energien-Gesetz Projekte mit Wasser, Wind und Sonne finanziell. Und das Grubengas? Wird damals kurzerhand auch zu einer erneuerbaren Energiequelle erklärt. Betreiber, die es absaugen, bekommen Geld. Es folgt ein Boom von Blockheizkraftwerken, die das Gas direkt am Kohleschacht in Strom und Wärme umwandeln. „Ein Glücksgriff“, sagt Klimaforscher Ralf Sussmann. Noch heute erzeugt Methan aus dem Schacht genug Energie, um hunderttausende Menschen zu versorgen. Die Methanemissionen aus Kohle fallen in sich zusammen – das Umweltbundesamt verbucht seit 2000 einen Rückgang um 95 Prozent.

Dieser deutsche Weg zeigt: Man kann das Gas nutzen, statt es unkontrolliert in die Atmosphäre entweichen zu lassen. Energie für Verbraucher, Geld für Unternehmen, weniger Emissionen für alle. Auch die Internationale Energieagentur meldet: Vierzig Prozent der aktuellen Methan-Emissionen aus Kohle, Gas und Öl lassen sich ohne Kosten reduzieren, im Gegenteil: sogar profitabel für die Betreiber. Das sind immerhin fast fünfzig Millionen Tonnen Methan oder mehrere Gigatonnen CO2. Klimaschutz, der Geld bringt! Wenn das mal kein Exportschlager ist. Auf Anfrage des ARD Kompetenzcenters Klima schreibt das Bundeswirtschaftsministerium: Es weiß nicht, ob das Erfolgsmodell Grubengas-Nutzung auch nach Südpolen oder in andere Kohleregionen exportiert wird. Schade eigentlich, oder? Denn weniger Methan könnte uns einen echten Turbo im Kampf gegen den Klimawandel verleihen: „Weniger Methan heißt: Es wird kälter dadurch, wir haben eine negative Temperaturkomponente. Das ist eine ganz gewaltige Chance“, erklärt Ralf Sussmann.
Die EU will Schicht im Schacht machen und das Geistergas Methan einfangen: mit Hilfe der neuen Methanverordnung, scharf gestellt seit Anfang des Jahres. Bürokratie for Future! Den undichten Pipelines, porösen Bohrlöchern und vergessenen Kohleschächten soll es nach und nach an den Kragen gehen. Erst sind die europäischen fossilen Energieanbieter am Zug, etwas später dann auch die weltweiten Energieproduzenten, von denen wir importieren.

Tja, und da kommt auch Musterschüler Deutschland wieder ins Spiel: Im letzten Jahr haben wir allein rund zwanzig Millionen Tonnen Steinkohle importiert und dadurch anderswo Geistergase erzeugt. Auch Deutschland hat also eine Darmkur nötig. Aber wenn die Kur anschlägt und eine schnelle Reduktion des Methans tatsächlich gelingt, dann können auch scheinbar unerreichbare Klimaziele wieder ins Spiel und in Sicht kommen: Moin 1,5 Grad – wir haben dich noch nicht ganz vergessen!
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DIESE WOCHE IN DER KLIMAZEIT

Öko Landwirtschaft: Was kann Hummus für den Klimaschutz leisten? Außerdem: Wie wichtig sind Salzwiesen für den Klimaschutz? Und: Grüner Asphalt: Bitumen aus Cashew-Schalen

Freitags, 19:45 auf tagesschau24 und jederzeit auf  tagesschau.de

Termine

  • 22.5-22.6. — Wanderausstellung „Flutwohnungen“ (Sinsheim)
  • 26.-28.5. — Energietage 2025  (Berlin)
  • 3.-5.6. — Energiespeicher-Messen Energy Storage Europe und The Battery Show Europe (Stuttgart)
📆 Und noch mehr Klima-Termine finden Sie jederzeit hier.

News

Eigene Belastung durch Klimakosten mit neuem Tool berechnen
Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung haben einen interaktiven CO2-Preis-Rechner für Verbrauchende entwickelt. Der Rechner zeigt die persönliche Belastung bei unterschiedlich hohen CO2-Preisen und gibt Hinweise für potenzielle Einsparmöglichkeiten. Zugleich werden Rückverteilungsmöglichkeiten simuliert. (MDR WISSEN)
Deutsche Städte testen Asphalt auf Cashew-Basis
Im Stadtteil Wilhelmsburg testet die Hamburger Verkehrsbehörde jetzt erstmals nachhaltigen Asphalt auf Pflanzenbasis. Ziel ist es, durch Verzicht auf den erdölhaltigen Kleber Bitumen CO2 einzusparen. Stattdessen werden Cashew-Schalen als Bindemittel eingesetzt. Auch Stuttgart und Hamburg experimentieren bereits mit dem Stoff, der allerdings derzeit noch deutlich teurer als herkömmlicher Asphalt ist. (tagesschau) Mehr zu diesem Thema auch diese Woche in der KlimaZeit auf tagesschau24 und in der ARD-Mediathek.
Bald direkte Hochgeschwindigkeitszüge zwischen München, Berlin, Mailand und Neapel
Die Deutsche Bahn und die italienische Trenitalia haben neue direkte Hochgeschwindigkeitsverbindungen im europäischen Schienenverkehr angekündigt. Zum Einsatz kommen sollen italienische Frecciarossa-Züge, übersetzt „Roter Pfeil“. Die Züge sollen ab Ende 2026 in sechseinhalb Stunden zwischen München und Mailand beziehungsweise in achteinhalb Stunden von München nach Rom fahren. Ab 2028 soll es schrittweise von Mailand und von Neapel aus direkt nach Berlin gehen. Mit der 2032 geplanten Eröffnung des Brenner-Basistunnels sollen sich die Fahrzeiten zudem um eine Stunde verkürzen.

ARD, ZDF und DRadio

Wann stirbt der deutsche Wald?

Dem deutschen Wald ging es schon mal sehr schlecht. Warum hat er überlebt? Und müssen wir uns wirklich Sorgen machen oder ist die Angst übertrieben? Past Forward 👉 ARD-Mediathek

Die Super-Reichen und die Klimakrise

Reisen in Privatjets und Investitionen in extrem umweltschädliche Aktivitäten wie Öl oder aber Milliardenspenden für den Planeten: Welche Beziehung haben die Super-Reichen zum Klima? Kurzdoku bei 👉 ARTE

Effektiver Umgang mit Wasser in der Landwirtschaft mit KI

Dreißig Millionen Kubikmeter Wasser verbrauchen Bäuerinnen und Bauern jährlich in Rheinland-Pfalz. Um den Verbrauch zu optimieren, starten die Landwirte von Pfalzmarkt nun ein KI-Projekt. Artikel bei 👉 SWR Aktuell

👋 Zum Schluss

… möchte ich Sie noch einmal mit in den Himmel nehmen: Seit dieser Recherche verfolge ich gerne den Satelliten Sentinel 5P, wie er da im Orbit über uns kreist. Auf der Website verfolge ich ihn Pixel für Pixel zwischen Nord- und Südpol. Der kleine Trabant ist sowas wie mein neuer Bildschirmschoner geworden und es hat was Meditatives, ihm dabei zuzusehen, wie er unbeirrt von tagespolitischen, weltlichen Irrungen und Wirrungen seine Bahnen zieht. 

Wenn Sie dazu passend noch auf der Suche nach einer Lektüre für den nahenden Sommer sind: Ich habe jüngst das wunderbare Buch „Umlaufbahnen“ von Samantha Harvey entdeckt. Äußerst feinfühlig erzählt sie von einer Gruppe Kosmonauten auf Forschungsmission im Orbit. Selbst weit oben sind Leid und Liebe, Angst und Hoffen stete Begleiter all dessen, was so wunderbar einzigartig ist und sich unser Leben nennt.

Danke für Ihr Interesse! Bleiben Sie klimabewegt.
Ihr Max Fallert

Noch Fragen? Oder Feedback?

Das ARD Klima‑Update ist ein Produkt des ARD‑Kompetenzcenters Klima unter Verantwortung des Mitteldeutschen Rundfunks.

👉 mdr.de/klima


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