Darstellungsprobleme? Im Browser ist's netter.
#192
vom 16. Mai 2025

Und was ist mit China? Vom Sorgenkind zum Klassenprimus 

von Kristin Kielon
Hallo zusammen,

vermissen Sie den Regen auch so wie ich? In solchen Wochen dreht sich das Gespräch über den Gartenzaun – in meinem Fall in der Kleingartensparte – wieder häufiger um die Klimakrise. Und durchaus auch darum, was wir alle selbst oder aber die neue Bundesregierung dagegen unternehmen können. Dabei werden – auch das kennen Sie vielleicht – immer wieder dieselben Argumente, Vermutungen und Vorurteile ausgetauscht. 

Und mit einem der Verweise, die dann gern genutzt werden, wollen wir uns heute etwas genauer beschäftigen: Was ist denn eigentlich mit China? Denn wenn "die dort" immer mehr Treibhausgase ausstoßen, dann können "wir hier" so viel machen wir wollen, das nützt dann ja gar nichts. Na, kennen Sie Sätze wie diese auch? Oder hatten Sie vielleicht schonmal ähnliche Gedanken? Schauen wir uns doch mal an, was da wirklich passiert in China in Sachen Klima.

MOMENT DER WOCHE

Ein einzelner Baum steht auf einer ausgetrockneten Ackerfläche in der Wetterau (Rhein-Main-Tiefland). Die anhaltende Trockenperiode sorgt bei Landwirten mittlerweile für Besorgnis. Besonders Kulturen wie Mais, Sonnenblumen, Hafer und Leguminosen sind aktuell in die Erde gebracht worden und brauchen Feuchtigkeit zum Keimen. Rechte: picture alliance/dpa | Boris Roessler

Chinas Weg zur Klimaneutralität: Wo hohe Emissionen auf große Ambitionen treffen

Dürren, Hitze und Überschwemmungen: Auch das Land der Mitte bekommt die Folgen des sich verändernden Klimas zu spüren. Dabei trägt China einen Löwenanteil zu den globalen Emissionen bei: Fast ein Drittel aller ausgestoßenen Treibhausgase gehen auf das Konto Chinas. Aber das Land ist eben auch riesig und eigentlich auch besser mit einem Kontinent zu vergleichen, sagt Martin Voß, Referent für Klimadiplomatie mit Schwerpunkt Asien bei Germanwatch. Mehr als 1,4 Milliarden Menschen leben in China. Zum Vergleich: In der ganzen Europäischen Union liegt die Einwohnerzahl bei etwas weniger als 450 Millionen. 

Spannend ist deshalb der Pro-Kopf-Vergleich, sagt Andreas Goldthau, Direktor der Willy Brandt School of Public Policy an der Universität Erfurt. "Pro Kopf stößt China genauso viel aus wie andere industrialisierte Staaten." Außerdem trage das Land auch unsere Lasten mit, betont Goldthau. Denn Europa habe viele seiner Industrie-Emissionen genau dahin exportiert. "Das erhöht natürlich sehr stark den dortigen CO2-Fußabdruck. Wir produzieren zwar diese Güter nicht, aber wir konsumieren sie."

Und dann gibt es da auch noch das andere China. Denn der größte Emittent ist auch der größte Investor in grüne Technologien: Die Hälfte der weltweit zwei Billionen Dollar Investitionen in Clean Tech kam vergangenes Jahr aus China, sagt Goldthau. In vielen für das Klima relevanten Industrien hat das Land eine Führungsrolle eingenommen – von Erneuerbaren Energien über Batterietechnik bis hin zur Mobilität. "Man sagt immer, da passiert ja nichts, aber das stimmt nicht, sondern das Gegenteil ist der Fall", sagt auch Niklas Höhne vom NewClimate Institute. China baue unter anderem sehr stark erneuerbare Energien aus und sei führend beim Thema Elektromobilität. "Da passiert einiges."

Ist der Gipfel erreicht?

Germanwatch-Experte Voß hat Mandarin gelernt, lebte in China und ist noch heute regelmäßig vor Ort, um sich mit Akteuren auszutauschen. "Der Diskurs um das Klima ist in China auf jeden Fall etwas anders als in Deutschland", erzählt er. "Das liegt schon allein daran, dass China die öffentliche Meinungsäußerung beschränkt. Kritik am Vorgehen der Regierung wird zensiert." Das Thema sei auch in China ein Politikum, so Voß. Die Staatsführung hat vor allem das wirtschaftliche Potenzial erkannt. Und nicht zuletzt wird das Thema auch international wohlwollend aufgenommen. "Im ganz eigenen Interesse engagiert sich die chinesische Regierung international, um sich als Vorreiter in Sachen Klimaschutz zu präsentieren", bilanziert Voß.

Doch zur Wahrheit gehört auch, dass die chinesischen Emissionen noch im vergangenen Jahr weiter angestiegen sind, die Netto-Null ist in weiter Ferne. Bis 2060 will China dieses Ziel erreichen. Ein erster Meilenstein könnte aber bereits erreicht sein: Im ersten Quartal dieses Jahres ließ sich zum ersten Mal ein Rückgang der CO2-Emissionen verzeichnen, der nicht konjunkturell bedingt war. Der Ausstoß sank im Vergleich zum Vorjahresquartal um 1,6 Prozent, wie Lauri Myllyvirta, Analyst am Forschungszentrum für Energie und saubere Luft (Crea) aus Finnland, mitteilte. Grund dafür sei der anhaltende Ausbau der erneuerbaren Energien. Fachleute hatten den Peak für dieses Jahr erwartet: "Es könnte tatsächlich sein, dass wir jetzt an diesem Gipfel der Emissionen in China angelangt sind", sagt Germanwatch-Experte Voß. Das wäre immerhin deutlich vor der angepeilten Marke: Bis 2030 sollte der Scheitelpunkt erreicht sein. Dieses Jahr könnte China außerdem erstmals konkrete Reduktionsziele bei den Vereinten Nationen einreichen, glaubt Voß. "Verschriftlicht und höchst offiziell an die UN eingereicht. Das gab es bisher noch nie. Wichtig ist, dass dieses Ziel auch hoch ausfällt. Es gibt Berechnungen, die zeigen, dass 30 Prozent bis 2035 möglich wären."

Wandel mit System: Wachstum durch Green Tech

China hat also durchaus ambitionierte Klimaziele, doch der größte Treiber der Klimapolitik ist ein anderer: Ökonomische Interessen bestimmen die Strategie der Staatsführung. "China betreibt eine Klimapolitik, die klar auf Wirtschaftspolitik ausgerichtet ist", sagt Höhne. "Man muss eigentlich sagen, China betreibt wirtschaftspolitische Interessen und die haben zusätzlich einen Nutzen für den Klimaschutz. Es geht klar um Marktführerschaft: Alles, was wir für die Energiewende brauchen, kommt aus China." Das Land haben diesen Zukunftsmarkt früh gesehen und ihn systematisch gefördert. "China hat von langer Hand geplant, genau das zu tun und das müssten wir eigentlich in Europa auch machen", bilanziert Höhne.

Schon seit den frühen 2000er Jahren arbeitet China daran, diesen strategischen Sektor zu entwickeln, der idealerweise dabei helfe, das Klimaproblem zu lösen, aber vor allem einen strategischen Vorteil im internationalen Wettbewerb biete, erklärt Andreas Goldthau. "Dafür hat China extrem viel investiert." Dieses Investitionsprogramm sei mit der Idee verbunden, der Volkswirtschaft Chinas langfristig einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. "Und das haben sie erreicht", so Goldthau.
Strom tanken? In China kein Problem: Das E-Auto gilt hier als cool und modern. Rechte: IMAGO / NurPhoto

Der Boom der Erneuerbaren

Ein Bereich, in dem der Umbau hin zu klimafreundlichen Technologien außerordentlich gut läuft, ist der Energiesektor. In den vergangenen zwei Jahren habe China so viel Kapazität an erneuerbaren Energien zugebaut wie die gesamte restliche Welt nicht, sagt Germanwatch-Experte Voß. Zahlen des Energie-Think Tanks EMBER zeigen, dass das Land für mehr als die Hälfte der global neu installierten Solarenergie gesorgt hat. Im Energiesektor geht es also mit riesigen Schritten voran. 

"Allerdings muss man auch dazu sagen, dass China sich sehr schwer damit tut, sich von der Kohleenergie zu verabschieden", so Voß. Ein Grund dafür sei, dass sich rund um den Kohlestrom eine politische Ökonomie begründet hat, die an Kohleverstromung festhalten will. "Vielfältige Interessengruppen hängen auch auf provinzieller Ebene lokal sehr an diesem wirtschaftlichen Modell der Stromerzeugung."

Und so bleibt die Kohle aktuell zwar eine der Grundsäulen der Energieversorgung. Neue Kraftwerke werden zwar gebaut, ob die aber in Anbetracht des schnellen Ausbaus günstiger Erneuerbarer überhaupt noch gebraucht werden, ist aktuell nicht abzusehen. Denn Solar- und Windkraftanlagen ließen sich leicht überall bauen, meint Forscher Höhne. "Und deshalb geht es halt extrem schnell voran. China ist ein riesiges Land, es hat auch viele Flächen, wo man Wind- und Solaranlagen bauen kann, ohne dass es jemanden stört." Bei der Kohle seien indes schon jetzt nicht alle Kraftwerke ausgelastet, so Höhne.

Trau dich, fahr elektrisch!

Die zweite große Erfolgsgeschichte der ökonomisch getriebenen Klimapolitik Chinas ist die Elektromobilität. Das gilt für den öffentlichen Verkehr, bei dem vor allem Strecken für Hochgeschwindigkeitszüge in atemberaubendem Tempo gebaut worden sind, aber auch für den Individualverkehr. Denn das E-Auto hat im Land der Mitte seinen Siegeszug angetreten: "60 Prozent aller auf der Welt produzierten Elektroautos kommen aus China. Das ist globale Marktführerschaft. In China ist jedes zweite verkaufte Auto ein Elektroauto", erklärt Höhne.
In China ist Elektromobilität ein Aufbruch, etwas Neues, etwas Schönes.
Prof. Dr. Niklas Höhne
Dass die Elektromobilität so erfolgreich in China ist, liegt neben massiven staatlichen Förderungen für diese Industrie auch an verschiedenen Regularien, erklärt Voß. So gebe es in vielen Städten große Areale im Zentrum, die nur noch für E-Autos befahrbar seien – gleichzeitig ein Mittel gegen die grassierende Luftverschmutzung. Außerdem werden die Autos aus dem eigenen Land kostengünstig produziert und sind damit erschwinglicher. Und cool sind sie auch noch: Denn chinesische Hersteller setzen auf die "User Experience". Es geht hier weniger um das Fahrgefühl und mehr um Digitalisierung und Entertainment. "Der Unterschied bei den chinesischen Autos ist, dass es Spaß macht, darin zu sitzen: Die sind super bequem und du hast quasi ein Wohnzimmergefühl."

Aber natürlich gibt es nicht nur Boom-Sektoren in China. Ein Bereich, in dem es schwierig werden könnte, signifikant Emissionen zu reduzieren, sei die Schwerindustrie, meint Niklas Höhne. Insbesondere die Zement- und Stahlindustrie seien erhebliche Emittenten. "Da ist in der letzten Zeit sehr viel zugebaut worden. Die ganzen Stahlwerke sind alle fast neu und normalerweise laufen die 40 Jahre. Dafür haben wir eigentlich keine Zeit mehr, deswegen ist das noch ein großes Problem, das angegangen werden muss." Und dann seien da natürlich noch die Methan-Emissionen unter anderem aus der Landwirtschaft, bei denen China noch aktiv werden müsse. Trotz Green Tech-Boom ist es also auch für China noch ein weiter Weg zum Klassenprimus in Sachen Klimaschutz.
Logo KlimaZeit
DIESE WOCHE IN DER KLIMAZEIT

Kampf um eine autofreie Stadt, Autos vergraulen - was wir von anderen Ländern lernen könnten und: Lithium-Hydroxid-Produktion in Deutschland

Freitags, 19:45 auf tagesschau24 und jederzeit auf  tagesschau.de

Termine

    • 17.-25.5. — Das Wissenschaftsfestival EFFEKTE präsentiert neueste Forschung in Ausstellungen, Workshops und Vorträgen (Karlsruhe)
    • 20.5.-21.5. — Internationale Online-Konferenz "Green Cooling Summit 2025" zum Thema Gebäude-Klimatisierung (Online)
    • 20.5.-22.5. — Greentech Festival und Greentech Konferenz (Berlin)
    • 22.5. — Beginn der Ausstellung "Flutwohnungen" (Klima Arena Sinsheim)
📆 Und noch mehr Klima-Termine finden Sie jederzeit hier.

News

Weniger Menschen halten Klimaschutz für sehr wichtig
Die Bedeutung von Umwelt- und Klimaschutz hat für die Menschen in Deutschland laut einer Studie des Umweltbundesamts abgenommen. Die Anzahl der Menschen, die Umwelt und Klimaschutz für "sehr wichtig" halten, sank demnach im Jahr 2024 auf 54 Prozent. In den Jahren 2020 und 2018 lag der Wert noch bei etwa 64 Prozent. Viele der Befragten schätzten demnach unter anderem die Lage im Gesundheits- und Bildungswesen als wichtiger ein. Dennoch habe der Schutz von Umwelt und Klima für die Mehrheit weiterhin einen hohen Stellenwert, heißt es. (MDR WISSEN)
Expertenrat für Klimafragen: Deutschland könnte langfristige Klimaziele deutlich verfehlen
Deutschland droht seine langfristigen Klimaziele deutlich zu verfehlen. Der Expertenrat für Klimafragen kommt in seinem aktuellen Prüfbericht zu dem Schluss, dass im Zeitraum 2021 bis 2030 ungefähr die gesetzlich erlaubte Menge an Emissionen ausgestoßen wird. Für die Jahre danach sei aber "eine deutliche und im Zeitverlauf zunehmende Zielverfehlung" anzunehmen. Der Expertenrat hatte auf Basis von Daten des Umweltbundesamtes die Emissionen des vergangenen Jahres sowie die Prognose für 2025 geprüft. Dabei fielen den Angaben zufolge erneut die Sektoren Gebäude und Verkehr negativ auf: Sie überschritten 2024 "zum wiederholten Male die vorgegebenen Jahresemissionsmengen", erklärte das Gremium. Insgesamt fielen die Emissionen 2024 um rund 3,4 Prozent geringer aus als 2023. Bis 2030 müssen die klimaschädlichen Emissionen in Deutschland laut Gesetz im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent sinken. (Tagesschau)
Mehr Risiken für Schwangere durch Klimakrise
Schwangere sind von einer Zunahme der klimawandelbedingten Hitzetage besonders betroffen. Das geht aus einer Untersuchung der US-Organisation Climate Central hervor. So sei die Zahl der für schwangere Menschen gefährlichen Hitzetage an den meisten Orten weltweit doppelt so hoch wie sie es ohne den menschengemachten Klimawandel gewesen wäre. Gefährliche Hitzetage gingen unter anderem mit einem höheren Risiko für Frühgeburten einher, heißt es. In Deutschland gab es seit 2020 im Schnitt 22 solcher Hitzetage, ursprünglich waren es zehn. (MDR WISSEN)

ARD, ZDF und DRadio

Frisst KI wirklich so viel Energie?

Global gesehen werden für KI immer mehr Strom, Wasser und Ressourcen verbraucht. Trotzdem frisst eine Frage an einen KI-Chatbot wohl nur sehr wenig Energie – zumindest bei Textantworten. Update Erde bei 👉 Deutschlandfunk Nova

Wird Nachhaltigkeit zur Nebensache?

Ob im Supermarkt oder bei Reisen: Die Konsumenten in Deutschland haben in den vergangenen Jahren weniger auf das Klima geachtet. Das zeigt eine Analyse. Warum ist das so? 👉 Tagesschau

Wärmespeicher der Zukunft

Berlin will bis 2045 klimaneutral werden. Ein wichtiger Schritt ist dabei die Dekarbonisierung des Wärme-Sektors. Helfen dabei moderne Wärmespeicher der Zukunft? Reportage 👉 rbb24 Inforadio

👋 Zum Schluss

Eigentlich müssten wir es so machen wie die Chinesen. Das war das Fazit der meisten Gespräche mit Expertinnen und Experten zum Thema Klimaschutz in China, mit denen ich gesprochen habe. Denn wenn die Wirtschaft brummt, brummt bei Investitionen in Clean Tech auch der Klimaschutz. Nur leider scheint man das in weiten Teilen der deutschen Politik noch nicht verstanden zu haben. Aber wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit, sagt man so schön – und leider könnte das im Zuge der Klimakrise auch für unseren Wohlstand gelten. Die Zeiten, in denen "die Chinesen" kopiert haben, ist jedenfalls vorbei – jetzt könnte man es andersherum machen und das, was in China gut läuft, angepasst auf demokratische Verhältnisse kopieren, oder?

Wie auch immer, nach dieser Lektüre haben Sie für das nächste Klima-Gespräch über den Gartenzaun hoffentlich ein paar neue Argumente. Und man kann ja sonst auch übers Wetter reden. Denn hoffentlich kommt er bald, der ersehnte Landregen. 

Mit den besten Grüßen,
Kristin Kielon

Noch Fragen? Oder Feedback?

Das ARD Klima‑Update ist ein Produkt des ARD‑Kompetenzcenters Klima unter Verantwortung des Mitteldeutschen Rundfunks.

👉 mdr.de/klima


Logo des MDR
Kontakt Impressum Datenschutz Abmelden
*