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#188
vom 18. April 2025

Klima und Kiesauffahrt: Ab in die Mitte!

von Florian Zinner
Hallöchen.

Ein Kontrollgang zum Kühlregal in Stadt und Land offenbart, dass die Deutschen pflanzlichen Fleischersatzprodukten weitestgehend zugeneigt sind. Das zeigt auch die Pro-Kopf-Ausgabe von schwindelerregenden 7,70 Euro pro Jahr (ist mehr als es klingt und eine der höchsten in Europa). Grob heruntergerechnet heißt das wohl, dass jeder Mensch in der Republik jährlich drei bis vier Packungen vegane Mortadella vernascht.

Wenn man sich’s nun so recht überlegt, ist die vegane Mortadella ja auch etwas ausgesprochen Deutsches: Die Erde retten, doch, warum nicht, nur weh tun darf's halt nicht. Dass die Einsicht zum Klimaschutz nicht mit einer Verzichtsbereitschaft einhergeht, ist fast schon ein alter Hut, den der (soziologische) Blick in die sogenannte Mitte der Gesellschaft immer wieder deutlich macht. Also auf einen beachtlichen Teil der Menschen im Land, ohne deren überzeugtes Mittun es keinen erfolgreichen Klimaschutz geben kann.

Die Sache mit der Überzeugung ist derzeit an einem Tiefpunkt angekommen. Um es gleich vorwegzunehmen: Das ist kein gutbürgerliches Versagen, sondern zeigt, dass unsere Gesellschaft im Krisenmodus noch nicht ganz so funktioniert, wie sie sollte. Also dann: Schmieren Sie sich ruhig noch eine Mortadella-Schnitte, mit oder ohne Brät, und lesen Sie, wie wir das vielleicht wieder geradebiegen können.

Und zählen Sie bitte die Nester! (siehe ganz unten)

ZAHL DER WOCHE

20

… der 27 EU-Staaten haben im vergangenen Jahr mehr Strom aus Erneuerbaren erzeugt als aus fossilen Energieträgern. Das geht aus dem aktuellen Bericht zur Lage des Klimas in Europa hervor. Der Anteil von Erneuerbaren erreichte damit ein Rekordhoch. Weitere Zahlen sind weniger erbaulich: 413.000 Menschen waren durch Stürme und Fluten betroffen, 355 seien ums Leben gekommen.

Klimaschutz auf gut bürgerlich: Was ist nur los?

Welcher ist jetzt eigentlich der bürgerlichste aller bürgerlichen Orte? Die Kiesauffahrt? Der Velours-Sitz im Mittelklasse-SUV, der auf der Kiesauffahrt draufsteht? Der Hobbykeller, eine Etage drunter? Für Florian Wagner gibt es da einen anderen heißen Kandidaten: Der heimische Garten. Und ja, egal ob in Schreber-Manier, vorm oder hinterm Haus, egal ob am Kugelgrill oder der Unkrauthacke – im Garten trifft sie sich wohl, die bundesdeutsche Mitte der Gesellschaft.

Florian Wagner leitet den Verein Heimatwurzeln, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, dass Klimaschutz in dieser bürgerlichen Mitte ankommt. Wagner ist studierter Theologe und Englischlehrer und war für die CDU in der Kommunal-, Landes- und Bundespolitik tätig. Und Wagner gärtnert gern. „Wir haben den Garten als etwas identifiziert, wo man sich sehr bürgernah, sehr pragmatisch mit Klimawandel und den Auswirkungen des Klimawandels auseinandersetzen kann.“ Dort, wo sie für alle, möglicherweise sogar zuerst spürbar sind. Der Verein Heimatwurzeln bietet deshalb 300 kostenlose Gartenworkshops an, verteilt über den ländlichen Raum. Fachleute zeigen, wie man den eigenen Garten so anlegen kann, dass er mit wenig Ressourcen auskommt, zum Beispiel wenig Dünger, wenig Wasser. Und wie sich gesundes Essen selbst hochziehen lässt. Für Wagner ist der Garten eine ideale Verbindung zum ehrlicherweise etwas akademisch geratenen und inflationär gebrauchten Begriff der Nachhaltigkeit.

Wer ist denn eigentlich diese bürgerliche Mitte der Gesellschaft?

Wer auch sonst nicht an der Mitte der Gesellschaft vorbeireden möchte, sollte erstmal wissen, mit wem man da redet. Immerhin mit fast einem Viertel der Deutschen, wenn es nach dem soziologischen Milieu-Modell des Sinus-Instituts geht. „Bürgerliche Mitte“ ist aber kein klar abgegrenzter, wissenschaftlicher Begriff, sondern eher ein politischer. Gemeint sind etwa Menschen, die sich traditionell von bürgerlichen Parteien wie CDU und FDP angesprochen fühlen und eher konservative Wertvorstellungen haben, wobei dieses Verständnis umstritten ist. Florian Wagner, der sich selbst der bürgerlichen Mitte zugehörig fühlt, versucht es auf anderem Wege: „Wir sprechen von Menschen, die sich gesellschaftlich verantwortlich fühlen, oft in Familie, Beruf oder Ehrenamt eingebunden sind und die auf Stabilität, auf Sicherheit und Eigenverantwortung setzen.“ Hinzu kommen Wünsche wie Heimatverbundenheit und Tätigkeiten als mittlere Führungskräfte oder Fachleute in Wirtschaftsunternehmen, als Selbstständige, als Handwerkerinnen oder Landwirte.
Auch letztere möchte Florian Wagner und der Verein Heimatwurzeln erreichen. Er hat das Gespräch gesucht und vergeblich auch das Bild der Bäuerinnen und Bauern, denen das Klima vollkommen wumpe ist: „Ich habe in den letzten Monaten mit hunderten Landwirten gesprochen und keinem bin ich begegnet, der den Klimawandel leugnet und ablehnt“, erklärt er, „sondern ganz im Gegenteil: Die merken das am eigenen Feld, in der eigenen Lebensrealität, dass der Klimawandel real ist und dass sie was dagegen tun wollen.“ Ein Ergebnis des Projekts war die Feststellung, dass es in der Landwirtschaft offenbar nicht an Bereitschaft zum Klimaschutz mangelt, sondern die bürokratischen Hürden, genau das zu tun, viele ganz offensichtlich überfordern. „Wir nennen das klimaschädliche Bürokratie und die gilt es abzubauen.“

Noch so ein Etikett, das wir gern in der bürgerlichen Mitte unterbringen, ist das der Leistungsträgerinnen und -träger – also zumindest im beruflichen Kontext. „Und diese in der gesellschaftlichen Wahrnehmung zugeschriebene Leistung für die Gesellschaft wollen viele dann auch durch einen entsprechenden materiellen Wohlstand honoriert haben und mittels dieses Wohlstands durchaus auch selbst einen Status nach außen zeigen.“ Diese Einschätzung kommt von Dennis Eversberg, der als Umweltsoziologe an der Uni Frankfurt und zuvor an der Uni Jena forscht. Tendenziell gebe es in den bürgerlichen Bevölkerungsgruppen zwar eine breite Anerkennung des (menschengemachten) Klimawandels. Aber eben auch eine geringe Bereitschaft, am eigenen Leben dafür etwas zu ändern. Wie eine aktuelle Untersuchung im Auftrag von Heimatwurzeln zeigt, glauben nur etwa zehn bis zwanzig Prozent der Menschen in der bürgerlichen Mitte, dass die Bekämpfung des Klimawandels langfristig den wirtschaftlichen Wohlstand in Deutschland sichert.
Einfamilienhaus und rote Dächer ragen über Hecker, mit Solarpanelen auf Dach
Geht doch: Beim Thema PV ist der Klimaschutz in der bürgerlichen Mitte längst angekommen. Vielleicht wurde richtig erzählt?
Rechte: imago/Westend61
Vom Gegenteil war bisher nun auch nicht viel zu merken. Die Wohlstandsgesellschaft als Resultat des wirtschaftlichen Aufschwungs im Westen, später auch Osten des geteilten Deutschlands ließ wenig Raum für eine Klimadebatte. Und als die dann da war, waren es die Klimaschutzmaßnahmen, die relativ unauffällig vonstattengegangen sind und das gewohnte Leben nicht berührt haben: „Das ging so lange okay mit Klimaschutz zusammen, wie der relativ geräuschlos über Emissionssenkungen in der Industrie und über den Ausbau erneuerbarer Energien bewerkstelligt werden konnte“, erklärt Eversberg. Hinzu kam der politische Floh im Ohr, dass Wachstum auch grün sein könne. Seitdem der Klimaschutz auch das Privatleben betrifft, ändert sich die Gelassenheit der Bevölkerungsmitte – Stichwort Heizungsgesetz.

Wohlstandsgesellschaft will … nun, Wohlstand

„In diesen Milieus genießt die Regierung beim Klimaschutz fast gar kein Vertrauen mehr“, so Eversberg im Hinblick auf die Heimatwurzeln-Studie. „Die Bereitschaft, Maßnahmen wie ein Tempolimit, Verbrennerverbote, höhere CO2-Steuern oder sowas zu akzeptieren, die geht gerade hier massiv zurück.“ Stattdessen werde von der Politik verlangt, die eigene und aus persönlicher Sicht verdiente Lebensweise vor Veränderung zu schützen.
Grafik zeigt, dass Klima oder Wirtschaft vor allem für die Wählerschaft der Grünen gilt, ab dann von politisch nach politisch rechts Zunahme der Zustimmung Wirtschaft über Klima, besonders deutlich bei Union, FDP und AfD.
Für euch ändert sich nix – dieses Versprechen sei Eversberg zufolge während der Merkel-Jahre gemacht worden und die potenzielle neue Regierung sei drauf und dran, den Fehler zu wiederholen. „Damit sät sie eigentlich die Saat dafür, dass noch mehr Leute wütend werden und sich dadurch legitimiert fühlen, AfD zu wählen.“ Soziologe Eversberg macht der „bürgerlichen Mitte“ keinen Vorwurf, Klimaschutzpolitik nicht mitzutragen, sondern der Politik, „die sie aus Macht und Wahlkalkül heraus eigentlich immer weiter wie Kinder behandelt. Immer wieder diese erneuten Versprechen macht, anstatt die Leute als Erwachsene, als Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen und zu sagen: So, wir müssen jetzt mal reden.“
Wir müssen hin zu einem positiven Zukunftsbild“
Florian Wagner, Vorsitzender Heimatwurzeln e.V.
Florian Wagner vom Verein Heimatwurzeln hat ähnliche Bedenken: „Der Koalitionsvertrag, der spricht zwar von Klimaschutz, der betont aber vorrangig eben das Wirtschaftswachstum. Das birgt aus meiner Sicht die Gefahr, die Verbindung zur Realität vieler Menschen zu verlieren.“ Wo sich die beiden auch einig sind, ist der Weg, aus dem augenblicklichen Dilemma wieder rauszukommen: Klimaschutz müsse komplett anders erzählt werden. Praktischerweise steckt in einer konservativen Haltung schon das Wörtchen „konservieren“. Es geht schließlich um das Bewahren von dem, was man hat, auf unserem zartbesaiteten Planeten. 🪺

Klimaschutz muss komplett neu erzählt werden

„Das bedeutet konkret, Klimaschutz muss als Beitrag zur Heimatbewahrung, zur wirtschaftlichen Stabilität und zur Versorgungssicherheit erzählt werden und nicht als Kulturkampf oder als rein urbanes Projekt“, so Wagner. Er bezieht sich auf eine Studie der Humboldt-Universität Berlin, die zeigt: Wenn konservative Werte wie Ordnung, Sicherheit und Verantwortung in die Klimakommunikation eingebracht werden, steigt die Zustimmung signifikant. „Wir müssen weg vom Bild des reinen Verzichts und hin zu einem positiven Zukunftsbild.“

Vielleicht gelingt es ja da gleich noch, im selben Abwasch die Energiewende als Paradebeispiel für so eine positive Zukunft anzuführen. Ein Projekt seines Vereins beschäftigt sich damit, die Energiewende als Chance für den ländlichen Raum zu erzählen, für die Versorgungssicherheit und auch die regionale Wirtschaft. Vor kurzem erst habe er ein Geothermiekraftwerk angeschaut und einen Bürgerwindpark. Da steckt das Bürgerliche schon im Namen – und nimmt vielleicht gleich die Angst vorm Windrad in der absoluten bürgerlichen Mitte – dem heimischen Garten.

Termine

Dienstag, 29. April – Online 
Die Denkfabrik Agora Verkehrswende präsentiert in einem Webinar die Ergebnisse der Studie "Zukunftsfragen der Bahnpolitik". Infos
Mittwoch, 7. Mai – Online
Trockenheit und Starkregen bringen neue Herausforderung – auch im Garten. Wie sich Regenwasser sinnvoll nutzen lässt, erfährt man im Seminar der Verbraucherzentrale NRW. Anmeldung
Sonnabend, 24. Mai – Salzwedel
Biochemikerin Swantje Furtak liest aus ihrem Buch „Moore sind wie Menschen, nur nasser“. Anschließend führt der BUND durch das Cheiner Torfmoor und erläutert die Bedeutung der Moore für den Klimaschutz und für den Erhalt der Artenvielfalt. Infos

Klima und Menschheit

Fake-Schokolade zu Ostern 🪺 Ernteausfälle beim Kakao
Die französische Schokoladenfabrik Chocolaterie Abtey testet zu Ostern erstmals „Fake-Schokolade“ aus Sonnenblumen- und Traubenkernen. Der Grund sind Lieferschwierigkeiten beim Kakao. Das Produkt solle dem Original ähnlich schmecken. Durch Ernteausfälle ist das Kakaoangebot derzeit teuer und die Verfügbarkeit eingeschränkt. Das ist unter anderem auf klimawandelbedingte Wetterextreme im Westen Afrikas zurückzuführen, so brach die Ernte in Ghana im vergangenen Jahr um die Hälfte ein. Eine Tonne Kakao ist derzeit sechsmal teurer als vor wenigen Jahren, berichtet die tagesschau.
Feldhasen erholen sich weiter, Gefährdung durch Nässe
Der Bestand an Feldhasen hat in Deutschland einen neuen Rekordwert erreicht. Das geht aus Monitoringdaten des Deutschen Jagdverbands hervor. Derzeit hoppeln pro Quadratkilometer 19 Feldhasen durchs Offenland. Zum Vergleich: Die Spezies Mensch hat in Deutschland eine Bevölkerungsdichte von 237 Exemplaren pro Quadratkilometer. Das Niveau der Feldhasenpopulation in den 1980er Jahren lag um 75 Prozent höher als jetzt, Grund für den Rückgang ist etwa die intensive Landwirtschaft. Trotz Rekordhoch ging der Bestand im Alpenvorland zurück, was auf Nässe durch Starkregen- und Hochwasserereignisse zurückzuführen sei. Das würde den Nachwuchs besonders in den ersten Wochen gefährden.
Deutsche Forschungsinstitute wollen kritische US-Klimadaten vor Abschaltung schützen
Da die US-Regierung plant, mehrere Seiten mit kritischen Umweltdaten vom Netz zu nehmen – etwa die der US-Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA – haben sich deutsche Forschungsinstitute zusammengeschlossen, um diese Daten für die Allgemeinheit zu sichern. Um einem Datenverlust zuvorzukommen, erstellen sie Sicherungskopien besonders gefährdeter US-Datenbestände. Die Helmholtz-Zentren für Umweltforschung, Ozeanforschung, Geoforschung, Polar- und Meeresforschung sowie das Deutsche Klimarechenzentrum koordinieren derzeit gemeinsame technische Lösungen – bisher im Umfang von mehreren hundert Terabyte. Mehr Hintergründe hat das Investigativ-Team des Mitteldeutschen Rundfunks

ARD, ZDF und DRADIO

Der wahre Preis des Burgers

Die "True Cost"-Ermittler begeben sich auf Spurensuche nach dem wahren Preis des Burgers: Was würde er kosten, wenn man den Wasser- und Bodenverbrauch und den CO2-Ausstoß mit einrechnet?

Der Koalitions-Vertrag im Klima-Check

Union und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Was taugt das Papier mit Blick auf den Klimaschutz? Einiges Positives dabei, findet Klima-Ökonomin Claudia Kemfert.

Neue Haltung zum Klima

Für immer mehr Menschen ist der Klimawandel eine psychische Belastung. Wie können wir damit besser umgehen? 🪺

Klimadaten in Gefahr: US-Plattformen vor Abschaltung

Da die US-Regierung plant, mehrere Seiten mit kritischen Umweltdaten vom Netz zu nehmen, haben sich deutsche Forschungsinstitute zusammengeschlossen, um diese Daten für die Allgemeinheit zu sichern.

👋 Zum Schluss

Sie denken sich jetzt, wir Schlingel hätten völlig verschwitzt, dass Ostern vor der Türe steht. Aber nicht doch.

Sie wissen: Kaum geregnet hat es dieser Wochen und dann mancherorts alles auf einmal. Gut, wenn man für solche Situationen stets gewappnet ist und sich nicht anschließend den Schopf föhnen muss. Vier verlosen deshalb drei Regenschirme unserer Heimatredaktion MDR WISSEN – es sind die letzten im Bestand! – und legen noch ein paar Goodies obendrauf. Ein richtiges Osternest eben. Wie die, die in diesem Newsletter versteckt sind (🪺). Zählen Sie alle bis auf das hier gezeigte und schicken Sie uns Ihre Lösung bis Mittwoch, 23. April an klima@mdr.de. Teilnahmebedingungen hier.

Und womöglich schon bald bleiben Ihre Haare trocken.

Frohe Feiertage und passen Sie auf sich und die Welt auf, sage ich Ihnen zum letzten Mal im MDR Klima-Update – aber nicht zum letzten Mal im Klimanewsletter. 😏

Herzlich
Florian Zinner

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