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vom 11. April 2025

Die Energiewende löst das
Speicherproblem

von Clemens Haug
Hallo miteinander,

kürzlich fuhr ich mit dem Zug nach Köln einen Freund besuchen. Draußen vor dem Fenster zogen bei schönstem Wetter Wiesen und Felder vorüber. Zartes Grün bedeckte den Boden – doch an einigen Stellen schien trockene Erde hervor. Die Saat hatte dort nicht gekeimt, offenbar weil Wasser fehlte. Der seit Anfang März nur spärlich gefallene Regen reicht für die Landwirtschaft nicht aus.

Das erinnerte mich an ein Gespräch vor einigen Jahren. Im sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie hatte mir der Klimaexperte Johannes Franke erzählt: Die Erwärmung des Klimas werde in Mitteldeutschland die niederschlagsreichen Zeiten verschieben. Fiel der Regen früher vor allem zum Beginn der Vegetation, also zwischen April und Juni, seien nun eher die Monate Juli bis September nass und feucht. Ob das laufende Jahr diesen Trend bestätigt, können wir erst im Hochsommer sagen. Zumindest aber der erste Teil der Prognose trifft 2025 zu. Das Frühjahr ist trocken – und extrem sonnig.

Was für den Pflanzenbau zum Problem werden könnte, führt an anderer Stelle zu reicher Ernte. Noch nie wurde in einem April in Deutschland so viel Strom durch Photovoltaik erzeugt, wie in diesem Jahr. Das könnte schon kurz vor Ostern wieder zu einem Stromüberangebot und damit zu negativen Strompreisen führen. Wer dann einen Speicher besitzt, bekommt Geld für das Aufladen – und kassiert mitunter ein zweites Mal, wenn er die Elektrizität zu einem anderen Zeitpunkt wieder verkauft.

Kaum verwunderlich also, dass zahlreiche Investoren in den Startlöchern stehen. Das Geschäftsmodell Stromspeicher steht vor seinem Durchbruch, eine der größten Lücken der Energiewende könnte bald geschlossen sein. Welche Auswirkungen das hat und welche Fallstricke noch lauern, dazu gleich mehr.

ZAHL DER WOCHE

11,4

… Milliarden Fahrten unternahmen die Menschen in Deutschland im vergangenen Jahr mit dem öffentlichen Personennahverkehr. Das ist ein Plus von rund 5 Prozent im Vergleich zu 2023, hat das Statistische Bundesamt errechnet. Auch die Wege wurden länger. Im Schnitt legten die Passagiere 23 Kilometer pro Fahrt zurück. Grund für die Zuwächse ist nach Ansicht der Statistiker das Deutschlandticket.

Die Batteriespeicher-Revolution

Seit Herbst reißen die Meldungen nicht mehr ab: Ein Batterie-Tsunami rolle heran, verkündete der Energiewende-Enthusiast Christian Stöcker Mitte November im Spiegel. Im Februar berichtete die Tagesschau vom "Boom" der Batteriegroßspeicher und kurz darauf erklärte Utopia.de, warum die Lösung für Dunkelflauten rasend schnell im Aufbau sei.

Das Vorweg: Das Dunkelflautenproblem werden Großbatterien wahrscheinlich nicht lösen. Warum, dazu weiter unten mehr. Zuerst ist wichtig, dass Großakkus einer für die Stabilität der Stromnetze viel drängenderen Schwierigkeit entgegenwirken: den extremen Angebots- und damit Strompreisschwankungen an langen sonnigen Tagen. Denn dann steht um die Mittagszeit dank boomender Photovoltaik Strom im Überfluss zur Verfügung. Doch schon am Abend springen derzeit konventionelle Kraftwerke wieder an.

Dank rasend schnell fallender Preise für Lithium-Ionen-Batterien lohnt sich seit Kurzem der Bau von Batterien, die mitunter über 100 Megawatt Leistung bringen und bis zu 275 Megawattstunden Strom speichern könnten – genug, um eine Million Haushalte eine Stunde mit Strom zu versorgen, wie das Portal ingenieur.de vorrechnet.

Großspeicher Big Battery Lausitz am Kraftwerk Schwarze Pumpe

Geplante Speicher: 226 Gigawatt Leistung

Landauf, landab kalkulieren Investoren neue Projekte durch und stellen Anfragen für den Anschluss von Batterien an das Stromnetz. Bei den Netzbetreibern lagen laut dem Photovoltaik-Magazin im Januar über 650 Anfragen für Großspeicher vor, die, würden sie alle gebaut, auf eine Gesamtleistung von 226 Gigawatt kämen.

In Sachsen etwa plant das Schweizer Start-up Terralayr zwei Speicher in Döbeln und in Lohsa. In Sachsen-Anhalt baut Kyon Energy eine Batterie in Tangermünde. Marktbeobachter sagen: Fast alle Investoren sind Profis, kennen das Geschäft und wissen, wie sie Projekte realistisch planen müssen. Trotzdem ist die Situation für die Netzbetreiber, die Stromleitungen, Umspannstationen und Transformatoren unterhalten, nicht einfach. "Das ist wahnsinnig viel, wenn man bedenkt, dass wir vor wenigen Jahren noch Anschlussanfragen im einstelligen Gigawattbereich hatten", sagt Dirk Biermann. Er ist Geschäftsführer für den technischen Betrieb bei 50hertz, einem der vier großen Betreiber von Übertragungsnetzen in Deutschland, also der höchsten Spannungsebene im Stromnetz.

Allein bei 50hertz lagen Anfang April Anschlussanfragen für Batteriespeicher mit einer Gesamtleistung von 90 Gigawatt vor. Zum Vergleich: Die drei zuletzt abgeschalteten Atomkraftwerke kamen zusammen auf eine Leistung von etwa 4,5 Gigawatt.

Folgende Grafik zeigt die derzeit geplanten und genehmigten Speicherprojekte und ihre Speicherleistung in Gigawattstunden (GWh). Tatsächlich dürfte der Zubau noch viel umfangreicher ausfallen.

Antragsflut: Nicht alle Speicher werden gebaut

Ziemlich sicher ist aber auch: Nicht alle diese Speicher sollen tatsächlich gebaut werden. "Wir beobachten derzeit, dass sich etwa 50 Prozent der Projekte über die Antragsphase hinaus weiter in Richtung Realisierung bewegen", sagt Daniela Geppert, Sprecherin der Avacon Netz-Gesellschaft. Avacon betreibt das sogenannte Verteilnetz im Norden von Sachsen-Anhalt und in Niedersachsen, und auch hier stapeln sich gerade Anschlussanträge für Speicherprojekte.

Grund für diese Flut sind vor allem zwei Faktoren. Aktuell müssen die Netzbetreiber die Anträge nach der Reihenfolge ihres Eingangs abarbeiten, sprich: Es gilt das Prinzip "first come – first served". Hinzu kommt, dass diejenigen am besten verdienen, deren Speicher als Erste ans Netz gehen. Mit jeder weiteren Batterie werden Überangebots- und Mangelphasen besser miteinander ausgeglichen, wodurch auch die Preisunterschiede immer kleiner werden.

Bei 50hertz überlegen die Fachleute daher gerade, wie sich die Antragsprüfung optimieren lässt. "Wir müssen gezwungenermaßen priorisieren", sagt Dirk Biermann. "Die Frage ist, wie priorisiert man richtig? Wie fischt man die Projekte heraus, die die höchste Realisierungswahrscheinlichkeit haben?"

Im Bau befindlicher Speicher der Firma Ecovolt

Wann Stromspeicher dem Netz schaden

Für die Netzbetreiber geht es außerdem darum, die Stabilität der Stromnetze im Auge zu behalten. Denn eine Batterie kann dieser Stabilität dienen, wenn sie am richtigen Ort aufgebaut wird, beispielsweise in der Nähe von Umspannwerken, wo die Anschlussstrecke kurz ist. Zudem sollte die Batterie möglichst an die höhere Spannungsebene angeschlossen werden, sagt Avacon Sprecher Marvin Macke. "Je höher die Spannungsebene im Stromnetz, umso besser kann die Batterie dort im Sinne der Netzdienlichkeit gefahren werden."

Und: Großspeicher sollten sich möglichst nah an der Stromquelle befinden, sprich an den großen Wind- und Solarparks. Das ist aber dank einheitlicher Strompreise in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Das schlechteste Szenario aus Sicht des Stromnetzes: An einem sonnigen und windigen Tag produzieren die Wind- und Solarparks in Norddeutschland ein Stromüberangebot, das die Preise an der Börse in den Keller fallen lässt. Nun starten Batterien in Süddeutschland den Ladevorgang. Weil aber die Stromnetze nicht ausreichend ausgebaut sind, müssen plötzlich teure Gaskraftwerke im Süden einspringen, um Angebot und Nachfrage stabil zu halten. Die Batterie hätte im Endeffekt den Strompreis weiter in die Höhe getrieben, anstatt ihn zu senken.

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Um dieses Problem zu vermeiden, hat die Bundesnetzagentur im Herbst eine Neuregelung der sogenannten Baukostenzuschüsse vorgeschlagen. Batteriebetreiber sollen für den Netzanschluss umso weniger bezahlen, je netzdienlicher der Ort ist, an dem sie den Speicher aufstellen.

Bis 2029 fertiggestellte Batteriespeicher müssen keine Netzentgelte bezahlen. Deswegen sollen nahezu alle geplanten Großbatterien bis dahin in Betrieb sein. Hinzu kommen voraussichtlich noch etliche Gigawatt von privaten Heimspeichern. Wie stark deren Speicherleistung in Zukunft steigt, dazu gibt es keine Prognosen. Bisher aber stellen sie rund 80 Prozent der Speicherkapazität in Deutschland dar, wie die auf dem Marktstammdatenregister basierende Seite Battery Charts zeigt. (Wie heimische Stromspeicher so betrieben werden können, dass ihre Lebensdauer steigt und das Stromnetz profitiert, hat übrigens die HTW Berlin kürzlich in diesem Beitrag erläutert.)

Dunkelflauten brauchen andere Lösungen

Die Batterien werden eine wichtige Lücke in der Energiewende schließen: Sie gleichen vor allem Schwankungen bei der Stromerzeugung im Tag-Nacht-Rhythmus aus. Windstille und dunkle Wochen im Winter dagegen werden sie voraussichtlich nicht überbrücken können, denn dafür reicht ihre Speicherleistung nicht aus. Experten erwarten, dass Wasserstoff einmal auch noch dieses Problem löst.

Termine

Freitag, 11. April – fast überall
Die Bewegung Fridays for Future ruft zum internationalen Klimaaktionstag auf. Anlass ist der zehnte Geburtstag des Pariser Klimaabkommens. Orte und Zeiten hier.
Samstag, 12. April – Naturpark Dübener Heide
Im Frühling singen balzende Vögel. Überall in Deutschland laden Ornithologen zu geführten Beobachtungen – unter anderem am Presseler Teich im Naturpark Dübener Heide.
Montag, 14. April – Görlitz
Das Senckenberg Muesum für Naturkunde in Görlitz lädt zum Fachvortrag über Pilze als Nahrungsquelle für wirbellose Tiere über und unter der Erde. Vortragssprache ist Englisch.

Klima und Menschheit

Algenpest in Kalifornien: Seehunde greifen an

An der Küste Kaliforniens verenden derzeit zahlreiche Delfine und Seehunde. Einige geistig verwirrte Tiere greifen auch Menschen an, wie US-Medien berichten. Grund für das außergewöhnliche Verhalten ist das Gift der Kieselalge Pseudo-nitzschia. Die Alge blüht derzeit in einem breiten Abschnitt von Los Angeles bis San Diego, wie die Deutsche Stiftung Meeresschutz berichtet. Forscher vermuten, dass warme Wassertemperaturen in Folge der Klimawandels zu der Algenblüte geführt haben. Hinzu kommt ein starker Eintrag von Nährstoffen aus der Landwirtschaft. Das Phänomen tritt bereits das vierte Jahr in Folge auf, wobei in den vergangenen Jahren vor allem die Sommermonate betroffen waren.

Mehr bei MDR WISSEN

Arktisches Meereis schrumpft auf Minimum

Rund 14,45 Millionen Quadratkilometer des Arktischen Ozeans waren am 21. März von Packeis bedeckt – so wenig wie noch nie in dieser Jahreszeit. Das teilt das deutsche Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung mit und bestätigte damit Beobachtungen der US-Weltraumagentur Nasa. Die Eisfläche ist damit rund eine Million Quadratkilometer kleiner als im langjährigen Mittel. 2025 habe damit den Negativrekord von 2017 gebrochen. Die Daten zur Größe der Eisfläche stammen von Satellitenbeobachtungen, die seit 1979 durchgängig vorliegen.

Mehr bei MDR WISSEN

Bahn will Sachsen-Franken-Magistrale ausbauen
Die Bahnstrecke von Dresden ins bayrische Hof trägt den hübschen Beinamen Sachsen-Franken-Magistrale. Bislang sind die Züge auf der bayrischen Seite noch mit Dieselloks unterwegs. Nun hat das Verkehrsministerium unter seinem scheidenden Chef Volker Wissing eine neue Wirtschaftlichkeitsberechnung vorgelegt. Demnach lohnt sich die Elektrifizierung der fehlenden 140 Kilometer.
 

ARD, ZDF und DRADIO

Beton der Zukunft

Die KlimaZeit fragt nach Ansätzen, Beton klimafreundlicher zu machen.

Geothermie bezahlbar

Neue Technik soll Bohrungen nach Erdwärme günstiger machen.

Flächenbrände

Wie kann die Gefahr gebannt werden?

👋 Zum Schluss

Falls Sie Geld in Aktien angelegt hatten und es noch rechtzeitig vor Trumps Zollangriff aus der Börse geholt haben: Vielleicht investieren Sie auch einfach in ein Balkonkraftwerk? Die fallenden Preise für Photovoltaik und Batterien gelten auch für private Wohnungsmieter. Wer immer die Möglichkeit dazu hat, kann hier eine echte Wertanlage tätigen und beim Klimaschutz helfen.

Kollege Florian Zinner hatte bereits im vergangenen Sommer das wichtigste für Sie zusammengefasst. Und falls Sie bereits eine Solaranlage und einen Stromspeicher besitzen, interessieren Sie sich vielleicht für die Möglichkeit, sich einem virtuellen Kraftwerk anzuschließen. Das sind nur zwei Möglichkeiten, wie Sie das beste aus der aktuellen Lage machen können. Haben Sie ein schönes Wochenende!

Herzliche Grüße
Clemens Haug

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