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#185
vom 28. März 2025

Die Krux mit den Negativemissionen

von Inka Zimmermann

Liebe Lesende,

dem deutschen Wald geht es schlecht – sicherlich haben Sie davon bereits gehört. Mir wurde das vor einigen Wochen während einer Fahrt mit der Harzer Brockenbahn noch einmal bewusst. Geradezu dystopisch, die vorbeiziehende Landschaft aus abgesägten Baumstümpfen.

Nun ja, Ästhetik ist das eine, aber aus Klimasicht sind die Konsequenzen noch schwerwiegender als gedacht. Denn der Wald war eigentlich schon fest eingeplant als gigantischer Kohlenstoffspeicher. Er sollte laut Bundesklimaschutzgesetz in den kommenden Jahren und Jahrzehnten Millionen Tonnen CO2 aufnehmen – aber ob das passieren wird, kann man anzweifeln. Warum die im Gesetz festgesetzten Summen so nicht realistisch sind und welche Szenarien jetzt eintreten könnten, erfahren Sie in dieser Woche.

ZAHL DER WOCHE

Null

… tote Fußgänger im vergangenen Jahr – und zwar zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen. Das ist die Bilanz der italienischen Stadt Bologna. Dort hatte man 2024 das Projekt Città 30 gestartet, seitdem gilt im Stadtgebiet eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h. Insgesamt ist die Zahl der Unfälle in der Stadt um rund 13 Prozent gesunken. Eine Auswertung der Daten der örtlichen Polizeizentrale ergab, dass mit Beginn der 30er-Zone circa ein Drittel weniger schwerste Unfälle mit Lebensgefahr für die Beteiligten erfasst wurden. Auch die Emissionen in der Stadt sind gesunken und die Anzahl der Radfahrer und ÖPNV-Nutzer ist gestiegen. Weitere Informationen gibt es hier von der Stadt Bologna.

Das LULUCF-Problem 

Wenn von Klimaneutralität die Rede ist, meint das häufig ein Ziel mit dem Namen „Netto-Null“. Das bedeutet, es werden zwar noch Emissionen ausgestoßen, aber mindestens genauso viel wird auf unterschiedliche Weise aus der Atmosphäre gebunden. Das ist auch sinnvoll, denn: Es gibt Wirtschaftssektoren, die noch lange mit Emissionen verbunden sein werden, beispielsweise die Industrie. Wenn Treibhausgase aus der Luft gebunden werden, belasten sie die Atmosphäre nicht weiter und können quasi vom Gesamtbudget abgezogen werden. Man nennt das „Negativemissionen“.  

Stellt man sich die Frage, wo solche Negativemissionen geschaffen werden, war die Antwort in den vergangenen Jahren oft: in der Natur! Das klingt ja auch zunächst sinnvoll. Durch mehr Natur können wir einen Ausgleich zur Industrie schaffen, weil etwa Pflanzen CO2 aus der Luft aufnehmen und den Kohlenstoff in ihrer Biomasse speichern. Mehr Pflanzen bedeutet weniger CO2 in der Atmosphäre – also ran an die Spaten! So ähnlich steht es auch im Bundesklimaschutzgesetz. Bis 2030 sollen natürliche Kohlenstoffsenken 25 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aufnehmen, bis 2045 dann 40 Millionen Tonnen.

Wie weit diese Rechnung an der Realität vorbeigeht, zeigt die Bundeswaldinventur von 2024. Dem deutschen Wald geht es so schlecht, dass er in den vergangenen Jahren sogar ordentlich CO2 in die Atmosphäre abgegeben hat. Der Kohlenstoffspeicher Wald wirkt nämlich zunächst einmal nur temporär. Wenn ein Baum etwa gefällt und verheizt wird, wird auch der gebundene Kohlenstoff wieder frei. Von 2017 bis 2022 waren es schätzungsweise 41,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, die aus dem Waldspeicher abgegeben wurden.

Aber natürlich gibt es nicht nur den Wald. Moore, Wiesen und Äcker können auch CO2 aus der Luft binden. Diese Gebiete fasst man in der Forschung als LULUCF-Sektor (Land Use, Land Use-Change, and Forestry) zusammen. Dieser Sektor könnte theoretisch unser biologisches Ass im Ärmel sein, das uns hilft, Netto-Null zu schaffen. Aktuell ist allerdings das Gegenteil der Fall: Der gesamte LULUCF-Sektor emittiert derzeit große Mengen CO2. 2023 waren es insgesamt fast 70 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Die Eisen- und Stahlindustrie in Deutschland hat 2022 rund 50 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen.

Wie kann das sein? 

Die Grafik zeigt, wie das Waldsterben ab dem Hitzesommer 2018 die Gesamtbilanz drastisch verschlechtert hat. Neben dem Wald gibt es aber noch eine weitere, große CO2-Quelle, die in diesem Sektor seit Jahrzehnten stetig zum Klimawandel beiträgt: organische Böden. Das sind etwa Moorböden, die vor 50 bis 150 Jahren trockengelegt wurden, damit sie für die Landwirtschaft nutzbar sind. „Damals hat man sich darüber gefreut, denn diese Böden sind sehr fruchtbar“, erklärt Roland Fuß. Er befasst sich am Thünen-Institut unter anderem mit den Emissionen aus dem LULUCF-Sektor.

Was man damals noch nicht wusste: Sobald der Torfboden trockengelegt wird, beginnt er damit, gespeichertes CO2 in die Atmosphäre abzugeben – und zwar auf unabsehbare Zeit. „Weil in diesen Böden sehr, sehr viel Kohlenstoff drin ist, dauert das sehr lange“, sagt Fuß. Es gebe Flächen, die seit 100 Jahren auf diese Weise kräftig CO2 emittieren. Theoretisch kann man diesen Prozess aber ganz einfach stoppen: Ab dem Moment, in dem ein solcher Boden wiedervernässt wird, gibt er kein CO2 mehr ab und kann dann sogar wieder zum Kohlenstoffspeicher werden.

Weil das die landwirtschaftliche Nutzung der Flächen aber stark einschränkt und das Land an Wert verliert, ist diese Option bei vielen Landwirten und Landbesitzern nicht gerade beliebt. Agrarklimaforscher Roland Fuß erklärt: „Ein weiteres Problem ist, dass wir nicht nur eine kleine Fläche wiedervernässen können.“ Man müsse das gesamte Wassereinzugsgebiet betrachten – damit betreffe das viele Landbesitzer, die sich irgendwie einigen müssen. Dennoch sei Wiedervernässung wichtig und auf jeden Fall Teil der Lösung. Bundesweit gibt es Projekte, wie das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, die die Vernässung von Moorböden fördern – aber es geht bei weitem nicht so schnell voran, wie es eigentlich nötig wäre.

Bis 2030 werden die Ziele nicht erreicht

Dass der gesamte LULUCF-Sektor bis 2030 25 Millionen CO2-Äquivalente aufnimmt, wie im Bundesklimaschutzgesetz festgelegt, sei aus seiner Sicht nicht realistisch, sagt Roland Fuß: „Die Zahlen wurden auch ein wenig gegen unseren Rat festgelegt.“ Fuß sagt, er rechne auch eigentlich nicht damit, dass der gesamte LULUCF-Sektor die Ziele aus dem Bundesklimaschutzgesetz bis 2045 erreichen werde. „Um die Ziele zu erreichen, müsste man einen sehr hohen Anteil der Moorböden wiedervernässen – und zwar nicht nur die Flächen, die gut machbar sind, sondern auch Flächen, wo Anwohner betroffen sind.“ Das bedeutet, Siedlungs- und Straßeninfrastruktur müsste angepasst werden. Flächen würden für die landwirtschaftliche Nutzung verloren gehen. 

Den Eindruck, dass zumindest die 2030er-Marke nicht mehr erreicht werden kann, teilt auch Klaus Hennenberg vom Öko-Institut. Er ist Teil eines Teams, das die „Langfriststrategie Negativemissionen“ für das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ausgearbeitet hat. So gesehen durfte er sich mit der Lücke im Bundesklimaschutzgesetz herumschlagen und Szenarien dafür entwickeln, wie sie geschlossen werden kann.

Das ist gewissermaßen eine gigantische Rechenaufgabe: Hennenberg versucht etwa, zu antizipieren, wie sich der Wald in den kommenden Jahrzehnten verändern wird. „Ob er es schaffen wird, künftig die nötige CO2-Senke zu leisten oder nicht, ist sehr stark abhängig von den Witterungsbedingungen“, erzählt er. Weil man nicht wisse, wie das Wetter sich konkret entwickeln werde, rechne man mit Modellen. Diese ermitteln, wie sich der Wald unter verschiedenen Klima- und Wetterbedingungen verändert. Gibt es genug Regen, kann der Wald wachsen und zusätzliches CO2 speichern. „Wenn die Niederschläge aber ausbleiben und damit auch das Baumwachstum, kann man nicht viel tun.“ Die Unwägbarkeit des Wetters muss deshalb bei der CO2-Senke Wald einkalkuliert werden. „Wir rechnen 2045 mit 30 bis 40 Millionen Tonnen Unsicherheitsfaktor.“ Das entspricht immerhin der gesamten, für den LULUCF-Sektor kalkulierten Menge.

Technische Lösungen: Teuer, aber wohl Teil der Zukunft 

Dennoch ist es Klaus Hennenberg wichtig, zu betonen: Man kann im Wald trotzdem gezielt mehr CO2 binden – beispielsweise, indem man weniger Laubholz aus stabilen Beständen abholzt. Außerdem könnte man Holz verstärkt für langlebige Produkte nutzen, statt es zu verfeuern. „Bis 2045 haben wir noch so viel Zeit, dass wir ausreichend politische Maßnahmen ergreifen können“, sagt Hennenberg. Dennoch bleibt der Wald als CO2-Senke mit großen Unwägbarkeiten verbunden. Das zeigt auch eine aktuelle Studie des Potsdam-Institut für Klimaforschung. 

Sehr wahrscheinlich ist deshalb, dass die natürlichen CO2-Senken künftig durch technische Kohlenstoffsenken ergänzt werden müssen. Zum Beispiel durch das Auffangen und Speichern der Emissionen bei Verbrennungsprozessen (CCS, BEX) und Basaltverwitterung auf Ackerflächen. Klaus Hennenberg betont, auch diese Technologien können nur bestimmte Mengen CO2 binden. Als letzter Joker bleibt noch Direct Air Capture (DAC), das direkte Auffangen von CO2 aus der Luft. „Da hat man im Endeffekt fast unbegrenzte Möglichkeiten“, sagt Klaus Hennenberg. „Der Haken ist nur: Das ist auch die teuerste Lösung.“ Ein Beispiel: Die CO2-Bindungskosten für Waldholz liegen zwischen 30 und 50 Euro pro Tonne – die für Direct Air Capture bei 300 Euro.

Die potenziellen Umweltauswirkungen dieser technischen Senken sind bisher nicht komplett abgeklärt. Hennenberg findet, weil der LULUCF-Sektor so unsicher ist, sollte man diesen Sektor zwar vorantreiben, technische Kohlenstoffsenken aber parallel bis zur Marktreife bringen. "Es macht keinen Sinn, bis 2045 zu warten und dann zu sehen, okay, wir müssen jetzt leider auch noch technische Senken ausbauen und die erstmal vorbereiten." 

Termine

Samstag, 29. März – Leipzig
Wie wir gemeinsam das Wasser retten können – darum geht es am Samstag ab 16 Uhr im Westbad bei der Leipziger Klimabuchmesse. Die Chemikerin Dr. Katrin Schuhen präsentiert ihr Buch „Rebellin des Wassers“. Außerdem stellt Carolin Stüdemann, geschäftsführende Vorständin von Viva con Agua e. V., ihr Buch „Unser Wasser“ vor. Die Veranstaltung vermittelt faktenbasiertes Hintergrundwissen zu unserer aktuellen weltweiten Wassersituation und -knappheit und zeigt Wege und Forschungsansätze auf, unsere Lebensgrundlage wieder für alle zu sichern. Die Veranstaltung wird vom ARD Kompetenzcenter Klima und der Klimabuchmesse organisiert und moderiert von MDR-Journalistin Claudia Reiser. Infos hier
Dienstag, 1. April – online
Unter dem Motto: „packsdrauf – Dein Dach kann das auch!“, hat der Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. (SFV) eine Solarinfo-Kampagne von und für Nachbar:innen gestartet, das Konzept ähnelt dem einer Tupper-Party. Bei den solaren Nachbarschaftspartys zeigen Anlagenbesitzer den Gästen aus der Nachbarschaft ihre Solaranlage. In diesem Online-Workshop erfahren Sie, wie Sie Solarbotschafter werden können. Alles Weitere hier.
Mittwoch, 2. April – Jena
Wie geht es Jenas Wildvögeln? Einblicke in die Auffangstation der NABU-Wildvogelhilfe Jena. Beginn ist um 20:30 Uhr am Zeiss-Campus, Raum 306. Details hier

Klima und Menschheit

Mehr Elektroautos, weniger Tesla

Seit Beginn des Jahres ist der Absatz von Elektroautos in der Europäischen Union um mehr als 28 Prozent gestiegen. 255.000 Fahrzeuge wurden in der EU laut dem Branchenverband ACEA gekauft. Besonders stark war das Wachstum in Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Was die Fahrzeuge des Herstellers Tesla angeht, zeigt sich allerdings eine gegenläufige Tendenz: 56.000 Fahrzeuge wurden ausgeliefert, was einen Rückgang von 49 Prozent darstellt. Die Daten in Reinform gibt es hier bei der European Automobile Manufacturers‘ Association nachzulesen.

Lufthansa darf nicht mehr mit bestimmten Klimabotschaften werben
Lufthansa darf einige Aussagen zu den eigenen Klimaschutzbemühungen künftig nicht mehr machen. Das hat das Landgericht Köln in dieser Woche entschieden. Dabei geht es um die Aussage, Fliegende könnten „CO2-Emissionen ausgleichen durch einen Beitrag zu Klimaschutzprojekten“, wobei die Angaben zu den entsprechenden Projekten nicht ausreichend spezifisch waren. Außerdem wurde dem Unternehmen in einem bestimmten Zusammenhang die Verwendung des Satzes: „Mit unseren Angeboten zum nachhaltigeren Fliegen können Sie Ihre flugbezogenen CO2-Emissionen direkt während der Buchung durch den Einsatz nachhaltiger Flugkraftstoffe (SAF) reduzieren“ untersagt. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe.
Fünfte Klimabuchmesse in Leipzig

Parallel zur Leipziger Buchmesse findet ab 28. März die Klimabuchmesse statt, ebenfalls in Leipzig. An unterschiedlichen Orten in der Stadt wollen die Veranstalter unter dem Motto „Geschichten, die Lust auf Zukunft machen“, mit Expertinnen und Experten ins Gespräch kommen. Geplant sind 14 Veranstaltungen an drei Tagen. Etwa in der Deutschen Nationalbibliothek und im Buch- und Schriftmuseum. Teil des Programms sind etwa der Club of Rome, Aiki Mira sowie die norwegische Erfolgsautorin Ingeborg Arvola. Hintergründe auf MDR WISSEN.

ARD, ZDF und DRADIO

Erhalten statt neu bauen 

Neu bauen frisst massenhaft CO2. Jede Wand, die stehen bleibt, hilft deshalb dem Klima. Hamburg muss umdenken und dafür sorgen, dass im Altbestand neuer Wohnraum entstehen kann. Das ist oft sogar spannender als mancher Neubau, zeigt die NDR-Nordstory. 

Die vielleicht letzten Tage der Menschheit?

In Hollywood wird die Welt jedes Jahr unzählige Male in Filmen erobert, gesprengt, verbrannt, vergiftet und zerstört. Aber wie wahrscheinlich ist es wirklich, dass die Party eines Tages vorbei ist und die Zivilisation endet? 

Altkleider im Müll

Jeder und jede von uns legt sich pro Jahr 15 Kilo neue Textilien zu. Vieles liegt nur rum und wird irgendwann ausgemustert, obwohl es noch gut genutzt oder wenigstens recycelt werden könnte. Aber genau das passiert nicht. Darüber berichtet SWR Aktuell Global – das Umweltmagazin. 

👋 Zum Schluss

Um noch einmal zurück zum Wald zu kommen. Dass er aktuell an einigen Orten kahl aussieht, ist auch eine Chance. Dank Waldumbau können auf den frei gewordenen Flächen Baumarten gepflanzt werden, die im Klimawandel ein wenig resilienter sind. Wie das konkret aussehen kann, erfahren Sie in der BR-Doku „Die Rettung der Wälder“.

Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende 🌳
Inka Zimmermann

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