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#182
vom 7. März 2025

Invasives Klima-Gestrüpp: Wie sag ich’s meinem Garten?

von Florian Zinner
Hallöchen.

Ich tippe diese Zeilen an Sie auf dem Westseitenbalkon und am Oberkörper bedeckt mich nichts als ein zartes Baumwollleibchen. Was man Anfang März eben so macht, wenn die fünfte Jahreszeit gleich der ersten die Klinke in die Hand gibt.

Das Ziel sollte es sein, nun wirklich niemanden in ihren oder seinen vorzeitigen Frühlingsfreuden zu gängeln. Andererseits begleitet mich dieser Tage beim Aufziehen meiner etwas in die Jahre gekommenen Sonnenbrille keine modische Scham, sondern eine solche, wie ich sie sonst tendenziell bei Langstreckenflügen verspüre.

Nun haben wir diese Nummer mit dem zeitigen Frühling ja erst vergangenes Jahr durchgespielt und während wohl auch heuer die Apfelbäume, Blüteninsekten und Weinreben weniger erquickt sein werden, reckt der Kirschlorbeer, den ich hier vom Freisitz aus sehe, geradezu zynisch sein immergrünes Laub der Sonne entgegen. Dem ollen Kirschlorbeer kommt dieses Wetter gerade recht – und das ist ein Problem. Also zeigen wir's ihm!

ZAHL DER WOCHE

24 Mio.+

… Reisende waren laut Bahn im grenzüberschreitenden Fernverkehr im vergangenen Jahr unterwegs. Dabei sei der Rekord von 2023 noch einmal um 250.000 Reisende übertroffen worden. Deutliche Zuwächse im Zugverkehr nach Europa gab es auf der Strecke Hamburg-Kopenhagen, Köln-Brüssel und auch München-Paris. Die erst im Dezember wieder aufgenommene Direktverbindung Berlin-Paris hatte ebenfalls überdurchschnittlich viel Zuspruch.

Invasiv im Garten – bitte nicht hacken!

Wer davon ausgeht, dass Ingolf Kühn als studierter Pflanzenkundler in diesen Tagen um die Krokusse tanzt, die Obstbaumschere zückt und den Lavendel zurechtpflückt, hat wohl keine Ahnung: „Ich bin ganz schlecht im Garten. Aber das liegt vielleicht daran, dass viele Botaniker schlecht im Garten sind, weil wir uns an dem freuen, was draußen wächst.“ Wieder was gelernt. Aber macht ja nichts, denn Kühn – Makroökologe am Halleschen Standort des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) – weiß natürlich trotzdem, was in mitteleuropäischen Gärtchen so wächst. Oder was da wächst, obwohl es nicht soll.

Dieses „soll nicht wachsen“ lässt sich grundsätzlich von zwei Seiten sehen: Entweder aus Sicht der Gärtnerin und des Gärtners, wenn sie eines gewissen Gestrüpps nicht mehr Herr oder Frau werden. Oder aus ökologischer Sicht, dass eine beliebte Zierpflanze unser Ökosystem ins Wanken bringt, weil sie sich ein bisschen zu wohl fühlt. In jedem Fall ist klar: Auch wenn sich die klimatischen Bedingungen verändern, wandern robuste Pflanzen aus südlichen Gefilden nicht von alleine über Alpen und Ozean, um in der mitteleuropäischen Ökologie zu stänkern. Irgendwann war immer der Zeitpunkt, dass Menschen das Zeug verschleppt haben und sei es durch eine Unachtsamkeit.

Flieder und Lorbeer-Kirsche: Hübsch, aber nutzlos

Beim Kirschlorbeer kann von Unachtsamkeit keine Rede sein. Dicke, dunkelgrüne Blätter, das ganze Jahr, ein Hauch von Mittelmeer und ein verlässlicher Sichtschutz zur Nachbarschaft – das Gewächs erfreut sich in Deutschland immer noch großer Beliebtheit, findet sich in jedem Gartencenter und glänzt durch einen äußerst geringen Beitrag zum Ökosystem. Gilt auch für den schmucken Sommerflieder, der für viele Insekten ebenfalls weitestgehend uninteressant ist. Mehr noch: Durch die Ausbreitung wird den für das Ökosystem wichtigen Pflanzen der Raum genommen, was das Problem verstärkt. Hübsch, aber nutzlos – das ist etwas, was nicht erst seit gestern bekannt ist, aber dann kam der Klimawandel:

„Das sind beides Arten, die eigentlich durch die Winterfröste und die kalten Winter immer in Schach gehalten worden sind, dann auch die Keimlinge bei Frosteinbruch sterben“, erklärt Ökologe Ingolf Kühn. „Da wir das immer weniger haben, sind das typische Arten, die sich unter dem Klimawandel immer weiter ausbreiten können.“
Der menschengemachte Klimawandel geht also mit dem menschengemachten globalen Pflanzenaustausch Hand in Hand und Neophyten – also in einem bestimmten Gebiet neue Arten – profitieren davon. Das klingt etwas perfide, aber noch perfider wird’s mit dem Riesenbärenklau. Auch den hat der Mensch als Zier-, teilweise Nutzpflanze eingeschleppt. Wenn das Gestrüpp einen freien Willen hätte und nicht schlichtweg Natur wäre, könnte man ihm schiere Boshaftigkeit unterstellen: Neben seiner invasiven Verbreitung wartet es mit feinen Härchen auf. Die darin enthaltene Flüssigkeit kann, wie durch feine Kanülen, in die Haut geraten, mit Sonnenlicht reagieren und zu Verbrennungen führen. Gerade für spielende Kinder ist das ein gefährliches Problem.

Jetzt kommt’s, der Klimawandel wirkt sich auch auf den Riesenbärenklau aus – nur kommt der aus dem kalten Kaukasus: „Das könnte eine der wenigen Arten sein, die durch den Klimawandel eventuell nicht profitieren, sondern vielleicht sogar leiden müssen“, so Kühn. Immerhin ein Problem weniger, gilt eben nur für die wenigsten Neophyten. Wer also auch künftig auf eine zünftige Vielfalt und die eine oder andere dicke Hummel im Garten Wert legt, muss Kirschlorbeer und Japan-Knöterich – den hatten wir noch nicht erwähnt – irgendwie an den Kragen gehen.
Da gibt es im Augenblick tatsächlich für die wenigsten Arten Informationen, die durch die Gartencenter bereitgestellt werden.“
Prof. Dr. Ingolf Kühn, Makroökologe
Die rabiate Methode – Zerhacken bis ins Wurzelwerk – ist aber tunlichst zu unterlassen, erklärt Thomas Balster, Gartenexperte der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein, im Podcast „Die Zarten im Garten“ von NDR 1 Welle Nord: „Durch das Durchstechen der Wurzelstücke, der Rizomstücke, wird er zu neuem Wachstum angeregt und das sollte unterbleiben.“ Die bekommt man nahezu nicht aus der Erde sortiert und so wird aus einem kleinen Problem ein großes. Besser sei es, mit noch dominanteren Pflanzen eine Gegenoffensive zu starten: „Es gibt starkwüchsige Stauden wie den Geißbart und bestimmte Geranium-Storchschnabel-Arten, die sind noch wüchsiger. Und dadurch, dass man die anpflanzt, unterdrücken die das Wachstum anderer Pflanzen.“
Grafik zeigt Illustrationen potenziell investiver Gartenpflanzen: Akazien, Pampasgras und Hanfpalme
Hier sollte man fachkundigen Rat bei der Staudengärtnerei des Vertrauens einholen. Wer keine Staudenarmee gegen invasive Arten aufstellen möchte, kann versuchen, Kirschlorbeer und Konsorten als Ganzes auszugraben. Dann aber bitte nicht auf den Komposthaufen oder über den Gartenzaun werfen, warnt Ingolf Kühn vom UFZ, sondern in die örtliche Entsorgung geben: „Wenn die Arten bei hohen Temperaturen kompostiert werden in professionellen Kompostieranlagen, dann überleben sie in der Regel nicht und dann überleben die meisten Samen auch nicht.“ Noch besser ist es, sich vorher zu überlegen, was man anpflanzen möchte und potenziell invasive Arten von vornherein auszuschließen. „Da gibt es im Augenblick tatsächlich für die wenigsten Arten Informationen, die durch die Gartencenter oder durch die Gartenbaubetriebe bereitgestellt werden, weil das ja nicht verkaufsfördernd, sondern verkaufshemmend ist.“

Als nächstes: Palme und Pampasgras

Fest steht: Wer sich einen Sommerflieder in den Garten setzt, tut das, um sich an der fliederfarbenen Zierde zu erfreuen und nicht, um vorsätzlicherweise das Ökosystem ins Wanken zu bringen. Am wirksamsten sind also gesetzliche Richtlinien, die den Umlauf gewisser Arten einschränken, so Kühn. „Durch das Bundesamt für Naturschutz wird gerade ein Katalog erarbeitet, mit welchen Maßnahmen man die bestimmten Einführungspfade von gebietsfremden Arten tatsächlich einschränken kann.“ Letztendlich gibt es seit zehn Jahren die sogenannte Unionsliste, eine Liste potenziell invasiver Arten in der Europäischen Union. Der Kirschlorbeer steht da allerdings noch nicht drauf: „Aber im Augenblick werden immer mehr Arten auf diese Unionsliste gesetzt. Das Problem ist, dass die Umsetzung in den Mitgliedsstaaten im Augenblick ein bisschen hinterherhängt.“

Arten, die sich jetzt schon unkontrolliert ausbreiten, fängt man dadurch natürlich auch nicht wieder ein. Aber es ist gut, einen Blick auf die zu haben, die künftig – im Zuge des Klimawandels – zu einem größeren Problem werden können. Freundinnen und Freunde südlicher Gewächse müssen da besonders stark sein. Invasives Potenzial haben etwa das beliebte südamerikanische Pampasgras, schmucke Akazien (und zwar echte und keine Robinien) oder die Chinesische Hanfpalme. Gerade in den wärmeren und wintermilden Regionen Deutschlands, etwa entlang des gesamten Rheins, aber auch im Ballungsraum Leipzig-Halle ist eine Verwilderung zwar noch selten, dort könnte sich aber bald das abspielen, was im Schweizer Tessin zu beobachten ist: Die Hanfpalme breitet sich massiv im Unterholz der Wälder aus. In der Eidgenossenschaft müssen Palmenfreundinnen und -freunde deshalb ganz stark sein: Seit Herbst 2024 ist der Verkauf, das Vermehren und sogar das Verschenken verboten. Gilt im Übrigen auch für Kirschlorbeer, Sommerflieder und Japanknöterich. Den Botaniker Ingolf Kühn trifft das weniger. Der ist ja sowieso schlecht im Gärtnern.

Termine

noch bis Sonntag, 9. März – bundesweit
Bundesweite Aktionswoche „Torffrei Gärtnern“: Hobbygärtnerinnen und -gärtner sollen für den Einsatz torffreier Erde begeistert werden und damit das Klima schützen. Denn jeder eingesparte Kubikmeter Torf schützt Moorböden, einen wertvollen CO2-Speicher. Infos
Mittwoch, 19. März – Dresden
Vortrag in der Zentralbibliothek im Kulturpalast: Essbare Stadt in der Praxis – Wie können Nahrungsmittel ressourcenschonend produziert werden? Das Algenwerk stellt Mikroalgen inklusive Verkostung vor. Infos
Mittwoch, 19. März – Online
Der Online-Vortrag „Psychologie der Geschäftsreisen“ beschäftigt sich mit der Frage, was Mitarbeitende wirklich davon abhält, klimaneutral zu handeln. Infos
28. bis 30. März – Leipzig
Dass Leipziger Buchmesse ist, bedeutet auch in diesem Jahr wieder, dass Klimabuchmesse ist. Das Programm gibt’s jetzt online.

Klima und Menschheit

Stilllegung deutscher Kohlekraftwerke hatte bisher keine Klimaeffekte
Das ergab eine Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine FDP-Anfrage, über die Klimareporter jetzt berichtet. So seien die durch die Abschaltung weggefallenen Emissionszertifikate im europäischen Emissionshandel noch nicht gelöscht worden, weil die Europäische Kommission die deutsche Berechnungsgrundlage nicht anerkenne. Eigentlich sei das Löschen von Zertifikaten keine Hürde. Bleibt es aus und die Zertifikate weiter im Umlauf, können sie andere Unternehmen für Emissionsrechte erwerben. Kritisch an der fehlenden Wirkung von abgeschalteten Kraftwerken sind hohe Ausgleichszahlungen, die Kraftwerksbetreiber als Entschädigung erhalten.
EU will Abgasvorschriften für Autobauer vorübergehend lockern
Das hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Autoherstellern in Aussicht gestellt. Um drohende Bußgelder abzuwenden, schlug sie am Montag nach einem Treffen mit Branchenvertretern vor, den Autokonzernen drei Jahre statt nur das laufende Jahr Zeit zur Erfüllung der sogenannten Flottengrenzwerte für den CO2-Ausstoß zu geben. Die Autobauer müssten die verschärften Ziele für den Ausstoß von CO2 für ihre Neuwagenflotte weiter erreichen, aber sie bekommen mehr Spielraum, betonte von der Leyen. Stimmen EU-Parlament und Mitgliedsstaaten ihrem Vorschlag zu, hätten die Konzerne dafür bis 2027 Zeit. Zudem soll das viel diskutierte Verbrenner-Aus bei Neufahrzeugen bereits früher als geplant überprüft werden. Eine Überprüfung war ursprünglich für 2026 anvisiert. Ökonominnen, Mediziner und auch Autozulieferer hatten sich zuletzt für eine Beibehaltung ausgesprochen.
Etliche Schulschließungen durch gefährlichen Hitzeindex
Auf den Philippinen ist es durch einen gefährlichen Hitzeindex – also der Kombination aus Luftfeuchtigkeit und Temperatur – zu Schulschließungen mit Auswirkungen auf Millionen Kinder gekommen. Durch eine zu hohe Luftfeuchtigkeit kann sich der Körper bei bestimmten Temperaturen nicht mehr richtig kühlen, es drohen Hitzekrämpfe und Hitzeerschöpfung. Solche Extremwetterereignisse nehmen durch den Klimawandel zu. Bereits im April und Mai vergangenen Jahres haben weite Teile der Philippinen unter einer langanhaltenden Hitzewelle gelitten. In der teilweise betroffenen Hauptstadt Manila herrscht derzeit die jährliche Trockenzeit.
Rückgang der Pflanzenvielfalt: Ernährungssicherheit durch Klimawandel gefährdet
Ein Temperaturanstieg über 1,5 Grad könnte die Ernährungssicherheit durch ein deutlich reduziertes Angebot und eine reduzierte Angebotsvielfalt weltweit gefährden. Das zeigen Forschende der finnischen Aalto-Universität, die die Auswirkungen von Veränderungen bei Temperatur und Niederschlag auf dreißig wichtige ernährungsrelevante Kulturpflanzen weltweit untersucht haben. So wäre in niedrigen Breitengraden bis zur Hälfte der Produktion an Nahrungspflanzen gefährdet. In den besonders stark betroffenen afrikanischen Ländern südlich der Sahara wären drei Viertel der derzeitigen Produktion betroffen, wenn die globale Erwärmung drei Grad übersteigt. Der Verlust der Vielfalt bedeute, dass die Palette der für den Anbau verfügbaren Nahrungspflanzen in bestimmten Gebieten erheblich abnehmen könne, was die Versorgung mit ausreichenden Kalorien und Proteinen erschwere. (MDR WISSEN)

ARD, ZDF und DRADIO

Klima und Demokratie nach der Wahl

radio3 Klimagespräch mit Maja Göpel: Eigentlich ist in Deutschland nur eine Koalition aus CDU und SPD denkbar – aber was bedeutet das für das Klima?
Pferd zieht Forstgerät im Wald, Text Das Wissen

Klimaresistenz in Forschung und Forst

SWR Kultur Das Wissen: Der Klimawandel setzt den Wäldern zu - nur noch jeder fünfte Baum ist gesund. Regenwurmreiche Böden und Mischwälder sollen helfen.
Rundes Holzdach im Bau von oben

Traditionelle Baumaterialien neu entdeckt

Der Bausektor boomt weltweit. Das hat Folgen für das Klima. Heute muss Bauen neu gedacht werden.

👋 Zum Schluss

Nennen Sie's die gute Nachricht: Auch der Lavendel profitiert gewissermaßen durch mildere Temperaturen, ist aber ein Beispiel dafür, dass schöne Dinge dann auch mal schön bleiben dürfen. Bedeutet, an ein bisschen Provence im Garten gibt es nichts auszusetzen: Lavendel sieht nicht nur hübsch aus und riecht nicht nur betörend, sondern tut sein Übriges für das Ökosystem – für Bestäuber, gegen Bodenerosion und zur natürlichen Schädlingsabwehr.

Dass es sowas noch gibt.

Passen Sie auf sich und die Welt auf, herzlich
Florian Zinner

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