Liebe Lesenden,
Klimapolitik ist im aktuellen Wahlkampf praktisch kein Thema – die Spitzenkandidaten arbeiten sich stattdessen lieber an etwas ab, was ich für eine Sündenbock-Debatte halte. Verstehen Sie mich nicht falsch! Magdeburg, Aschaffenburg und München waren und sind schreckliche Taten. Aber nehmen wir nur das Jahr 2022 als Beispiel, weil hier schon alle Statistiken ausgewertet sind: Etwas mehr als 2.200 Menschen wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik durch andere Menschen getötet. Die große Hitzewelle im Sommer dagegen kostete hierzulande über 8.000 Menschen das Leben. Sollten wir uns da nicht lieber um das Klima kümmern, anstatt hysterisch bestimmten Gruppen alle schlechten Eigenschaften zuzusprechen und sie danach aus dem Land jagen zu wollen? Man mag daran verzweifeln, aber sozialpsychologisch entspricht die aktuelle Entwicklung im Grunde einem altbekannten Muster der Menschheitsgeschichte. In den vergangenen 15 Jahren jagte eine große Krise die nächste: Auf die Finanzkrise folgte die Schuldenkrise, dann kamen Flüchtlingsbewegungen, dann Pandemie und schließlich der Ukraine-Krieg. Über all das streiten die Menschen mehr und mehr. Jetzt suchen sie nach einem (unschuldigen) Schuldigen, auf den sie sich einigen können. Das war schon früher so: Blutige Straßenschlachten, Schwarzer Freitag, Spanische Grippe und Weltkrieg gingen dem Holocaust voraus. Auch die mittelalterlichen Hexenjagden und antijüdischen Pogrome fanden inmitten von Krieg, Hunger und Pest statt. Frühere Gesellschaften haben Tiere statt Menschen geopfert. Die Israeliten zum Beispiel schickten zum Zweck ihrer eigenen Versöhnung einen mit den Sünden der Menschen beladenen "Sündenbock" in die Wüste. Allein, es hilft ja nichts. Der ganzen sozialpsychologischen Krise zum Trotz muss sich eine neue Bundesregierung um Sachfragen wie Energie- und Energiepreise kümmern. Was kann sie da eigentlich noch tun? Und was bedeutet das für das Klima? |