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#179
vom 14. Februar 2025

Strom- und Gaspreise: Kann eine neue Regierung an der Preissschraube drehen?

von Clemens Haug
Liebe Lesenden,
 
Klimapolitik ist im aktuellen Wahlkampf praktisch kein Thema – die Spitzenkandidaten arbeiten sich stattdessen lieber an etwas ab, was ich für eine Sündenbock-Debatte halte.

Verstehen Sie mich nicht falsch! Magdeburg, Aschaffenburg und München waren und sind schreckliche Taten. Aber nehmen wir nur das Jahr 2022 als Beispiel, weil hier schon alle Statistiken ausgewertet sind: Etwas mehr als 2.200 Menschen wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik durch andere Menschen getötet. Die große Hitzewelle im Sommer dagegen kostete hierzulande über 8.000 Menschen das Leben. Sollten wir uns da nicht lieber um das Klima kümmern, anstatt hysterisch bestimmten Gruppen alle schlechten Eigenschaften zuzusprechen und sie danach aus dem Land jagen zu wollen?

Man mag daran verzweifeln, aber sozialpsychologisch entspricht die aktuelle Entwicklung im Grunde einem altbekannten Muster der Menschheitsgeschichte. In den vergangenen 15 Jahren jagte eine große Krise die nächste: Auf die Finanzkrise folgte die Schuldenkrise, dann kamen Flüchtlingsbewegungen, dann Pandemie und schließlich der Ukraine-Krieg. Über all das streiten die Menschen mehr und mehr. Jetzt suchen sie nach einem (unschuldigen) Schuldigen, auf den sie sich einigen können.

Das war schon früher so: Blutige Straßenschlachten, Schwarzer Freitag, Spanische Grippe und Weltkrieg gingen dem Holocaust voraus. Auch die mittelalterlichen Hexenjagden und antijüdischen Pogrome fanden inmitten von Krieg, Hunger und Pest statt. Frühere Gesellschaften haben Tiere statt Menschen geopfert. Die Israeliten zum Beispiel schickten zum Zweck ihrer eigenen Versöhnung einen mit den Sünden der Menschen beladenen "Sündenbock" in die Wüste.

Allein, es hilft ja nichts. Der ganzen sozialpsychologischen Krise zum Trotz muss sich eine neue Bundesregierung um Sachfragen wie Energie- und Energiepreise kümmern. Was kann sie da eigentlich noch tun? Und was bedeutet das für das Klima?

ZAHL DER WOCHE

20

… Jahre sind der Zeitraum, der für Klimaforscher zählt. Ist die Durchschnittstemperatur von 20 Jahren 1,5 Grad Celsius wärmer als in der vorindustriellen Zeit, dann ist die entscheidende Marke aus dem Pariser Klimavertrag erreicht. 2024 stellte höchstwahrscheinlich den Beginn eines solchen 20-Jahres-Zeitraums dar. Denn 2024 war es in jedem Monat 1,5 Grad zu warm. Forscher vom Leipziger Umweltforschungszentrum UFZ haben nachgesehen: Schon in vergangenen Erwärmungsphasen markierte das erste vollständige Jahr jenseits einer bestimmten Temperaturschwelle schließlich den Beginn eines ganzen 20-Jahreszeitraums jenseits dieser Schwelle. Daraus folgt: Die Emissionen müssen schnell runter, um das Klimaziel doch noch zu erreichen. Und: Eine Menge mit 1,5 Grad verbundene Klimarisiken wie der Beginn des unumkehrbaren Verlusts der Eisschilde Grönlands und der Westantarktis könnten jetzt Wirklichkeit werden.

Energiepreise: Was lässt sich da noch drehen?

Vorweg: Als öffentlich-rechtliche Medien sind wir zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet, und das finde ich gut so. Parteipolitischer Streit verstellt oft den Blick auf das große Ganze. Deswegen will ich hier auch nicht auf einzelne Wahlversprechen eingehen, sondern lieber den Blick auf die grundsätzlichen Möglichkeiten richten.

Die hohen Strompreise gelten als eines der akuten Probleme des Industriestandorts Deutschland. In den USA, in China, aber auch in Frankreich und Japan ist Elektrizität günstiger. Laut Branchendienst Prognos kostete die Kilowattstunde in diesen Ländern im Jahr 2023 zwischen 8,4 und 11,3 Cent. Deutsche Industriebetriebe bezahlten 20,3 Cent. Ein Jahr später sind die Preise laut dem Branchendienst BDEW zwar gesunken. Mit 17 Cent liegen sie aber immer noch über den Preisen der Mitbewerberländer.

Stromsteuer senken: Was wird dann aus der Rente?

Was könnte eine neue Regierung dagegen unternehmen? Ein Vorschlag lautet meist: Die Nebenkosten senken. Doch das geht nur noch begrenzt. Das energieintensive produzierende Gewerbe beispielsweise zahlt nur noch ein Mindestmaß an Abgaben, weniger lassen die Wettbewerbsregeln nicht zu. Eine neue Regierung könnte diese Abgabensenkung nun auch noch für das übrige Gewerbe und für Privathaushalte beschließen. Dann aber fehlt das Geld an anderer Stelle. Was nämlich kaum einer auf dem Schirm hat: Die Stromsteuer zum Beispiel finanziert einen Teil der Rente, um die Lohnnebenkosten zu senken. Fällt sie weg, sinkt entweder die Rente oder die Rentenbeiträge müssen steigen. Für Privathaushalte würde das schlicht eine Umschichtung der Kosten aus der einen in die andere Tasche bedeuten.
Für das ernegieintensive produzierende Gewerbe hat die Ampel-Regierung bereits fast alle Umlagen und Steuern auf den Strompreis gesenkt oder abgeschafft.
Ein anderer großer Punkt sind die sogenannten Netzentgelte. Sie gelten als einer der Hauptgründe für hohe Strompreise in Deutschland. Mit dem Netzentgelt bezahlen Stromkunden den Ausbau der Stromleitungen. Dazu zählen auch die sogenannten Stromautobahnen wie Südlink, die Energie aus dem windreichen Norden in den stromhungrigen Süden transportieren sollen. Weil Bürger an vielen Orten gegen Hochspannungsmasten protestieren, werden jetzt teure Erdkabel verlegt. Die Netzentgelte bleiben hoch, bis der Ausbau abgeschlossen ist.

Allerdings hat die alte Regierung bereits eine kleine Reform eingeleitet: Seit erstem Januar werden die Netzentgelte dort gesenkt, wo es ein großes Angebot an erneuerbar erzeugtem Strom gibt. Das schafft Anreize für Unternehmen, energieintensive Anlagen wie Serverparks in Regionen aufzubauen, in denen viel Strom durch Windturbinen und Solarparks gewonnen wird.

Preise an Sonnen- und Windstunden anpassen

Ein nächster Schritt könnte auch eine zeitliche Flexibilisierung der Kosten sein. Hier kann eine neue Regierung entscheiden, die Netzentgelte an das Stromangebot anzupassen. Gibt es beispielsweise im August ein großes Überangebot an Solarstrom, könnten auch die Netzentgelte verbilligt werden, um den Verbrauch zu diesen Zeiten anzuregen.
Das würde zugleich ein anderes Problem angehen: das schwankende Angebot von Sonne und Wind. "Als Erstes muss der Ausbau erneuerbarer Energien – und hier insbesondere Windkraft und Solarenergie – vorangetrieben werden, um die Preise zu senken", sagt Jens Schneider, Professor für vernetzte Energiesysteme an der Leipziger HTWK. Doch mehr Angebot allein korrigiert weiterhin nicht die Schwankungen. Weil sich das Wetter innerhalb Deutschlands meist nicht groß unterscheidet, stehen auch Solar- und Windstrom zu jeweils ähnlichen Zeiten zur Verfügung. Deshalb gibt es an dunklen und windstillen Tagen im Winter eine sogenannte Dunkelflaute, wenn so gut wie kein Strom erneuerbar erzeugt werden kann. Und es kommt zu einem Überangebot mit negativen Strompreisen, wenn an einem windigen Tag im August erneuerbarer Strom im Überfluss vorhanden ist.

Wann kommen die großen Stromspeicher?

Darauf müsste nun einerseits die Industrie reagieren und – wo es möglich ist – Prozesse an das Stromangebot anpassen. Zum anderen braucht es große Stromspeicher. Der Transfer von Strom aus dem Tag in die Nacht werde dabei auf absehbare Zeit kein Problem mehr sein, sagt Dominik Möst, Professor für Energiewirtschaft an der TU Dresden. "Die Anmeldungen an Batteriekapazitäten bei den Netzbetreibern sind immens." Zahlreiche Projekte mit Batteriegroßspeichern sind aktuell geplant. Doch für den Transfer vom Sommer in den Winter fehlt es bislang an Kapazität. Nennenswert sind hier nur die Pumpspeicherwerke in Norwegen und in der Schweiz. Wasserstoff als Energiespeicher könnte einmal an diese Stelle treten, doch das sieht Möst noch in weiter Ferne. "Das ist einfach noch viel zu teuer."

Weder Möst noch Schneider glauben, dass es hier mehr staatliche Subventionen braucht, um solche langfristige Speicherkapazität zu schaffen. "Die Preissignale sind da", sagt Möst. "Das kann tatsächlich der Markt regeln, wenn man ihn lässt", sagt Schneider, der aber hinzufügt: "Dazu benötigen wir eine Beschleunigung der Digitalisierung in der Energiewirtschaft, Stichwort Smart Meter Rollout!" Deutschland sei da in Europa eines der Schlusslichter, weil es zu protektionistisch agiere. Auch hier hätte eine neue Regierung also Spielräume.

Rolle rückwärts: Ob Kohle den Strom wirklich billiger macht?

Da der Klimawandel – wie eingangs erwähnt – gerade nicht oben steht auf der politischen Agenda, hier vielleicht noch eine kurze Diskussion des möglichen Szenarios "Rolle rückwärts". Denn eine neue Regierung könnte auch auf die Idee kommen, den Kohleausstieg zu verschieben und durch die fossile Energie das Stromangebot billiger zu machen. Das hat allerdings zwei Haken: Da ist zum einen der Handel mit Emissionszertifikaten. Die CO2-Preise sind derzeit hoch, das macht Kohle teurer. "Da kann eine neue Bundesregierung auch nichts direkt machen, denn der Preis bildet sich am Markt und die Menge der CO2-Zertifikate wird auf EU-Ebene festgelegt und die entsprechende EU-Direktive enthält klare Vorgaben bis 2030", sagt Christoph Weber, Professor für Energiewirtschaft an der Universität Duisburg-Essen. Eine neue Bundesregierung müsste also grundsätzliche Änderungen am Emissionshandel beschließen oder das System ganz verlassen, was sehr, sehr weitreichende Konsequenzen hätte.

Das andere Problem ist das Merit-Order-Prinzip am europäischen Strommarkt. Demnach bestimmt immer das teuerste Kraftwerk im aktuellen Strommix den Strompreis. Solange also teure Erzeugung wie Gaskraftwerke einspringen, um kurzfristige Schwankungen auszugleichen, bestimmen sie den Strompreis. Betreiber von Kohlekraftwerken dürften sich dann gegebenfalls über Gewinne freuen. Den Strompreis würde Kohlestrom aber nicht senken. Und als flexible Zuschaltreserve anstelle der Gaskraftwerke eignen sich Kohlemeiler auch nicht. Sie können nicht schnell gesteuert werden, sondern sind relativ langsam.

Fazit: Eine neue Regierung kann zwar entscheiden, den Klimawandel zu ignorieren, um kurzfristige ökonomische Ziele zu erreichen. Doch damit verschiebt sie die Kosten für den Umbau bestenfalls in die Zukunft. Im schlechtesten Fall treibt eine Regierung den Aufwand für den Umbau in nicht mehr zu bewältigende Höhen und die Wirtschaft der Zukunft damit in den Klimakollaps. Wirtschaftlich vernünftig und nachhaltig wäre also, den Umbau der Stromversorgung fortzusetzen.

Die Gaspreise: Vorerst kaum Spielräume

Kommen wir zum Schluss noch kurz auf die Gaspreise, und das geht leider schnell: Hier hat eine neue Regierung außer der Option, die Sanktionen gegen Russland fallen zu lassen und wieder billiges Gas per Pipeline zu importieren, wenig Möglichkeiten. Günstigeres LNG aus den USA zu importieren, ist zwar vielleicht sogar im Interesse beider Seiten, der Amerikaner und der Europäer. Doch das per Schiff transportierte Flüssiggas wird nach Ansicht der Experten niemals so günstig sein, wie das Gas aus der Leitung, und viele Steuerungsmöglichkeiten hat eine neue Bundesregierung hier auch nicht.

Auch grüner Wasserstoff wird bedauerlicherweise erst einmal zu teuer bleiben für viele Prozesse in der Industrie. Dominik Möst schätzt, dass die Kosten pro Kilowattstunde bei konsequentem Auf- und Ausbau von Infrastruktur auf 12 Cent gesenkt werden können oder sogar 9 Cent. Erdgas dagegen koste in Nordamerika dagegen nur ein bis zwei Cent pro Kilowattstunde. Solange Europa hier also nicht mit Zöllen ausgleicht, dürften bestimmte Industrien wie Chemie, Glas- oder Stahlerzeugung abwandern. Wasserstoff werde daher ein Kernthema vor allem für solche Bereiche werden, die sich nicht anders dekarbonisieren lassen, schreiben die Experten vom Thinktank Agora Energiewende.

Termine

Freitag, 14. Februar – Bundesweit
Wenn Sie zu den rasanten Lesern unseres Updates gehören, haben Sie jetzt vielleicht noch eine Chance, zu einer Klimademo zu eilen. Das Bündnis Fridays for Future hat anlässlich der Bundestagswahl für heute zum Klimastreik aufgerufen. In Halle geht es um 13 Uhr los, in Magdeburg, Leipzig, und Jena um 15 Ihr, Freiberg und Erfurt folgen um 16 Uhr.
Samstag, 15. Februar – Erfurt
Obstbäume züchten, die im Klimawandel bestehen können: Darum geht es in dem eintägigen Praxisseminar auf dem Nussbaumhof. Gemeinsam sollen fachgerechte Saatbeete für Sämlingsunterlagen und Direktsaatflächen angelegt werden. Weitere Informationen hier.
Mittwoch, 19. Februar – online
"Klimaangst adé: Resilient durch die Klimakrise" ist Thema des Online-Seminars der Heinrich-Böll-Stiftung. Trainerin Nadja Hirsch vermittelt im praktischen Workshop Wege und Methoden, wie man angesichts der ökologischen Krise resilient und handlungsfähig bleibt. Informationen gibt er hier.

Klima und Menschheit

Klimapläne: Fast alle Länder verpassen UN-Frist

Laut Pariser Klimaschutzabkommen sollen alle fünf Jahre neue Klimapläne vorgelegt werden, doch nur zehn von 195 Staaten haben die aktuelle Frist eingehalten. Auch die EU und Deutschland haben ihre Pläne nicht rechtzeitig eingereicht. Klimaforscher Niklas Höhne nennt das im Bericht der Tagesschau enttäuschend. Umweltorganisationen fordern, dass die EU bis September ehrgeizige Klimaziele vorlegt. Experten betonen die Notwendigkeit ambitionierter Pläne, um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Flüge verursachen mehr CO2 seit Ukraine-Krieg
Viele Flüge nehmen seit dem russischen Überfall auf die Ukraine große Umwege in Kauf. Der Grund ist, dass Russland seinen Luftraum für westliche Airlines gesperrt hat und das Kriegsgebiet zu gefährlich ist. Die Folge: Laut einer Studie der University of Reading hat der weltweite Luftverkehr 2023 rund ein Prozent mehr CO2 ausgestoßen als vor dem Krieg. Das entspricht etwa 8,2 Millionen Tonnen. Betroffen sind vor allem Flüge zwischen Europa und Asien. Hier nahm der Treibstoffverbrauch laut der Studie um durchschnittlich 14,8 Prozent zu.
 
Genetische Grundlagen für Klimaanpassung von Lebermoos entdeckt
Eine neue Studie des Gregor Mendel Instituts für Molekulare Pflanzenbiologie zeigt, wie sich das Lebermoos Marchantia polymorpha an unterschiedliche Klimabedingungen anpasst. Die Forscher kombinierten Klimadaten mit genetischen Daten verschiedener Varianten der Pflanze. So identifizierten sie Merkmale in der DNA, die Anpassungen ermöglichen. Diese Erkenntnisse könnten helfen, widerstandsfähigere Nutzpflanzen zu entwickeln. Genetische Vielfalt sei entscheidend für die Fähigkeit von Pflanzen zur Anpassung an den Klimawandel, schreiben die Autoren um Shuangyang Wu im Fachmagazin Current Biology.
 

ARD, ZDF und DRADIO

Wahlkampf ohne Klimawandel

Warum spielt der Klimawandel in diesem Wahlkampf keine Rolle – und was hat der Wahl-O-Mat damit zu tun?

Klimapolitik muss überdacht werden

Der Expertenrat für Klimafragen hat seine Bilanz vorgelegt. Deutschland ist zwar besser geworden, die Klimaziele werden dennoch nicht erreicht.

Kenias Wanderhirten in der Klimakrise

Unter Kenias Wanderhirten kommt es nach Wasserknappheit zum Kampf um knappe Ressourcen.

👋 Zum Schluss

Ich glaube, wir müssen uns als ganze Gesellschaft mehr Gedanken über Sozialpsychologie machen. Wie können wir Abwärtsspiralen aus Misstrauen, Angst, Konflikten und schließlich dem Abbruch von Beziehungen durchbrechen? Das sind in vielerlei Hinsicht die großen Fragen unserer Zeit.

Wir werden übrigens beim Klima und auch bei diesem Newsletter demnächst enger zusammenarbeiten mit den Kollegen der anderen Sender in der ARD. Dazu gehört zum Beispiel die Redaktion Umwelt beim Südwestrundfunk (SWR), die das spannende Magazin Klimazeit produziert. Bleiben Sie gespannt, wir halten Sie auf dem Laufenden.

Haben Sie ein schönes, verschneites Wochenende!
Clemens Haug

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