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#176
vom 17. Januar 2025

Die Badewanne Ostsee im Klimawandel

von Clemens Haug
Liebe Lesenden,
 
wird bei Ihnen auf der Arbeit auch immer im Januar verhandelt, wer im Sommer wann Urlaub bekommt? Bei uns gilt: Weil die Kolleginnen und Kollegen mit Kindern an die Schulferien gebunden sind, dürfen sie sich ihre Zeiten zuerst aussuchen. Wir kinderlosen Erwachsenen passen uns entsprechend an. Nebensaison ist ohnehin großartig, weil dann nicht halb Deutschland auf der Suche nach Erholung meine Wanderwege und Strände bevölkert.

Außerdem fahre ich gerne an Orte, die man mit Bus und Bahnen erreichen kann – das spart Geld und schont das Klima. Die Ostsee gehört daher zu meinen liebsten Destinationen, weil sie von Leipzig aus so gut erreichbar ist. Usedom oder der Darß haben mich begeistert, Hiddensee steht weit oben auf der Bucketlist.

Daher wurde ich etwas traurig, als die Forscherin Helmke Hepach mit ihren Kolleginnen und Kollegen kürzlich neue Daten zum Zustand unseres östlichen Meers publiziert hat. Jahrzehntelange Einträge von Nährstoffen aus Klärabwässern und ausgespülten landwirtschaftlichen Düngern haben die Ostsee in eine Art großen Stadtparkteich verwandelt: Es kommt zu regelmäßigen Algenblüten. Und wo die pflanzlichen Einzeller absterben und an den Meeresgrund sinken, werden sie Futter für Bakterien, die allen Sauerstoff aus dem Wasser wegatmen, bis sogenannte Todeszonen entstehen, in denen Fische und andere Meerestiere ersticken.

Zwar ist es gelungen, durch eine bessere Abwasserreinigung weniger Nährstoffe in die Ostsee zu befördern. Nur leider wird dieser Fortschritt von der stetigen Erwärmung des Meers im Zuge des Klimawandels zunichtegemacht. Warum das so ist und welche Folgen das für kommende Badeurlauber haben kann, dazu mehr in diesem Newsletter. Doch zunächst zur obligatorischen …

ZAHL DER WOCHE

320 Milliarden

… US-Dollar, so teuer waren die weltweiten Schäden durch Naturkatastrophen vergangenes Jahr, hat der Rückversicherungskonzern Munich Re kalkuliert. Damit war 2024 das drittteuerste Jahr seit 1980, dem Zeitpunkt als das Unternehmen zum ersten Mal seine Auswertung veröffentlicht hat. Abgesehen von einigen Erdbeben stehen die meisten dieser Katastrophen in einem Zusammenhang mit der Klimaerwärmung, sagen die Analysten des Unternehmens und werden dabei sehr deutlich: "Der Klimawandel zeigt seine Krallen", meint etwa Tobias Grimm, Chefanalyst Klimawandel bei Munich Re. Die Kollegen der Tagesschau fassen die wichtigsten Einzelheiten der Analyse zusammen.

Ein wärmeres Meer macht den Badeurlaub leider nicht besser

Die Ostsee gilt grundsätzlich als kaltes Meer. Das mag das Schwimmvergnügen in Badeurlauben manchmal schmälern. Für das ökologische Gleichgewicht sind Wassertemperaturen unter 18 Grad Celsius allerdings wichtig. Denn wenn die Ostsee wärmer wird, fühlen sich Cyanobakterien richtig wohl. Die umgangssprachlich auch Blaualgen genannten Einzeller vermehren sich sprunghaft und es kommt zur Algenblüte, wie man sie aus umgekippten Teichen kennt: Grüne Schlieren ziehen sich durch das Wasser, es stinkt, mitunter bilden sich Algenteppiche.

Ursache dafür ist nicht nur die Temperatur, sondern auch das Angebot an Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphat. Solche Pflanzendünger sind im Wasser der Ostsee reichlich vorhanden, sie stammen von den Feldern und aus schlecht geklärten Abwässern aller Anrainerstaaten. Die Klärwerke sind zwar besser geworden, der Eintrag von Phosphat wurde um 18 bis 22 Prozent reduziert. Aber weil die Ostsee praktisch ein Binnengewässer ist, das nur über den schmalen Skagerrak frisches Wasser bekommt, blieben die vorhandenen Nährstoffe langfristig in den Nahrungsketten erhalten.

Helmke Hepach ist Forscherin am Helmholtz-Zentrum Geomar in Eckernförde bei Kiel. Sie hat mit Kolleginnen und einem Kollegen gerade Messungen aus den Jahren 1991 bis 2019 ausgewertet. Die stammen von der Station Boknis Eck, wo seit 1957 einmal im Monat Wasserproben aus unterschiedlichen Tiefen entnommen werden. Dadurch können Wissenschaftler das ganze Geschehen entlang der Wassersäule von der Oberfläche bis zum Grund rekonstruieren.

Temperaturschichtung des Wassers lässt Sauerstoffminimumzonen entstehen

Das Problem in jüngster Zeit sei ganz klar die Erwärmung des Wassers, sagt sie. "Im Frühling wird es früher warm, dann bilden sich Temperaturschichten im Wasser." Zwischen diesen Schichten findet kaum Austausch statt. Die blühenden Algen produzieren zwar Sauerstoff, doch der bleibt in den oberen Wasserschichten oder der Luft über dem Wasser. Sie selbst sterben irgendwann ab und sinken an den Grund. 

Dort werden die Algen von Bakterien zersetzt, die für die Verdauung Sauerstoff benötigen. Weil durch die Schichtung kein Wasser mit den oberen Schichten getauscht wird, kommt kein frischer Sauerstoff nach unten. Die Folge: Das Bodenwasser wird anoxisch, also sauerstoffarm. Für Fische, Krebse und andere Meerestiere können diese Zonen zur tödlichen Falle werden, wenn sie nicht ausweichen.

Ostsee am Limit

Benno Führmann trifft letzte Fischer und spricht über den Fang und die Rückkehr der Kegelrobben.
Dieser Zustand bleibt auch im Herbst länger erhalten, wenn die Tage länger warm bleiben. Und weil es insgesamt wärmer geworden ist, ist die Schichtung auch ausgeprägter. "Die Nährstoffeinträge wurden zwar reduziert. Aber die steigenden Temperaturen wirken dem entgegen. Deswegen werden die Bakterien im Wasser aktiver. Das können wir in den Daten aus unseren Messungen deutlich sehen", sagt Hepach.

Ein weiteres Problem: Anoxische Zustände führen dazu, dass im Meeresboden gebundene Nährstoffe wieder in die Wassersäule gelöst werden. Eine Rückkopplungsschleife entsteht. Hepach ist sich sicher: "Wir leiten um die Ostsee herum noch insgesamt zu viele Nährstoffe ein."

Stirbt die Ostsee?

Sie ist klein, flach und sensibel. Und trotzdem gehen die neun Anrainerstaaten nicht gut mit ihr um.

Offene Frage: Wie wird sich die Ostsee im Klimawandel entwickeln?

Die weitere Erwärmung der Atmosphäre dürfte diese Prozesse in den kommenden Jahren verstärken. Ob das aber auch langfristig so bleibt, ist bislang eine offene Frage. Denn einerseits könnten schwere Stürme häufiger werden, die das Wasser durchmischen. Andererseits könnte sich auch der Wasseraustausch mit der Nordsee verstärken, wenn die Meeresspiegel infolge der schmelzenden Pole insgesamt steigen.

Besucher von Fischrestaurants entlang der Küste werden wahrscheinlich bald andere Speisefische in den Menüs finden. Während der Ostseedorsch immer seltener wird, profitieren vor allem kleinere Fische wie Heringe oder Sprotten vom wärmeren Wasser und davon, dass sie den aktuellen Fangmethoden besser ausweichen können.

Die Folgen für die Badegäste variieren je nach Badeort. Algenmatten sind laut Helmke Hepach eher entlang der mecklenburgischen oder polnischen Ostseeküste wahrscheinlich. In Schleswig-Holstein sorgt das durch den Skagerrak einströmende Nordseewasser für höhere Salzgehalte, was die Algenblüten eindämmt. Dafür ist der Strand in Eckernförde nun häufiger als früher übersät mit toten Fischen. Die sind in Sauerstoffminimumzonen geraten, wenn ein Sturm das Wasser umgewälzt hat. "Solche Fischsterbeereignisse gab es früher zwar auch schon, aber dann nur alle paar Jahre mal. Vergangenes Jahr gab es das gleich zweimal. Das erste Mal war bereits im Juli. Früher passierte das meist erst ab Ende August", sagt Hepach.

Sowohl Algenteppiche als auch Fischsterben werden bei weiterer Erwärmung vorübergehende Ereignisse bleiben. Urlauber müssen sich trotzdem darauf einstellen: Der Klimawandel macht an der Ostsee keine Ferien.

Termine

Montag, 20. Januar – Online
Mitarbeiter von Kommunen in Sachsen-Anhalt können kostenlos an einer Anwenderschulung für das Programm Klimaplaner teilnehmen. Die Software unterstützt Kommunen dabei, Klimabilanzen zu erstellen. Weitere Termine gibt es hier.
Donnerstag, 23. Januar – Online
Wie bindet man Bürger in die kommunale Wärmeplanung ein? Wie können Gemeinden und Städte so mittel- und langfristig zu nachhaltigen Lösungen beim Heizen gelangen? Um diese und ähnliche Fragen geht es beim Webinar der Sächsischen Energieagentur, das sich vor allem an Mitarbeiter von Kommunen in Sachsen richtet.
Donnerstag, 23. Januar – Online
Die Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein lädt zu einem Online-Vortrag über die lateinamerikanische Perspektive auf Widerstand und Transformation. Die Erfahrungen von Aktivisten und Experten beim Klimaschutz im Süden der Amerikas lenkten einen kritischen Blick auf die globalen Herausforderungen.
Dienstag, 28. Januar – Hamburg
Wenn die Regierung das Recht auf eine ökologisch gesunde Zukunft missachtet, kann man sie mit strategischen Klagen zu einem Kurswechsel zwingen. Dieser Workshop informiert über die Möglichkeit der Klimaklagen.

Klima und Menschheit

1,2 Millionen Jahre Klimageschichte: Forscher bergen 2,8 Kilometer langen Eisbohrkern in der Antarktis
Einen 2,8 Kilometer langen Eiskern hat ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in der Antarktis geborgen. Er bilde durchgehend mindestens 1,2 Millionen Jahre Klimageschichte ab, teilte das AWI mit. Der bisher längste durchgehende Eisbohrkern war im Jahr 2004 ebenfalls in der Antarktis geborgen worden. Er reicht etwa 800.000 Jahre zurück. Im Eis solcher Bohrkerne ist Luft mit den zur Zeit des Einschlusses vorhandenen Konzentrationen an Kohlendioxid und Methan enthalten. Aus solchen Werten lässt sich auf das Klima der Epoche schließen, in der die jeweilige Blase entstand. Details bei MDR WISSEN.
Klima-Allianz: Klimaschutz muss Wahlkampfthema werden
Fast einen Monat vor der Bundestagswahl fordert die Klima-Allianz Deutschland die Parteien auf, das Thema Klimaschutz stärker in den Vordergrund zu rücken. Während Los Angeles brenne und Unwetter und Dürren weltweit zunehmen, sei der Klimawandel im derzeitigen Bundestagswahlkampf nur eine "Randnotiz", sagte die politische Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland, Stefanie Langkamp, am Dienstag in Berlin. Sie forderte: "Klimaschutz muss im Wahlkampf zur Priorität werden." Der Klima-Allianz Deutschland gehören nach eigenen Angaben mehr als 150 Mitgliedsorganisationen aus den Bereichen Umwelt, Kirche, Entwicklung, Bildung, Kultur, Gesundheit, Verbraucherschutz, Jugend, Soziales und Gewerkschaften an. Sie setzt sich für eine ambitionierte und sozial gerechte Klimapolitik auf lokaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene ein. (epd)
Windräder nahe Kleingewässern schneiden Fledermäuse vom Wasser ab
Viele Fledermausarten werden durch Windräder in der Nähe von Gewässern verdrängt, wie das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung am Montag in Berlin mitteilte. Das könne in heißen Sommern für die Tiere bedrohlich werden. Ein Forschungsteam nahm akustische Messungen an 59 Teichen in unterschiedlichen Entfernungen von Windenergieanlagen im nördlichen Brandenburg vor. Dabei zeigte sich, dass jene Fledermäuse, die im offenen Luftraum nach Insekten jagen, sowie jene, die an Jagd in dichter Vegetation angepasst sind, Gewässer in der Nähe von Windrädern meiden. Auch das Jagdverhalten verringerte sich demnach bei abnehmender Distanz zu einem Windrad. Lediglich Fledermäuse, die an Vegetationsrändern jagen, werden offenbar nicht von den Trinkstellen vergrämt. Die Ergebnisse unterstreichen den Forschern zufolge, wie wichtig eine durchdachte Standortwahl für die Anlagen ist, um verschiedene Ziele - in diesem Fall Klima- und Artenschutz - nicht gegeneinander auszuspielen. (afp)

ARD, ZDF und DRADIO

Neun Monate ohne Regen

Den schweren Feuern in der Metropole Los Angeles ging eine außergewöhnliche Dürre voraus.

Das Anthropozän

Seit einigen Jahrzehnten beobachten Wissenschaftler, dass sich die Erde durch die Eingriffe des Menschen rasant verändert. Sie sprechen von einer neuen Epoche.

Klimawandel auf dem Teller

Der Klimawandel bedroht wichtige Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln und Olivenöl. Wie Erzeuger leere Teller verhindern wollen.

👋 Zum Schluss

Ich hoffe, dieser Newsletter hat Ihnen die Lust auf die Ostsee nicht verdorben! Das wäre über das Ziel hinausgeschossen, denn zum Glück liegt das Wohl der See vielen Menschen am Herzen, die sich daher um eine Verbesserung der Entwicklung bemühen.

Wie die Ostsee in 100 Jahren aussehen könnte, davon wird mein Kollege Karsten Möbius kommende Woche in seinem Podcast "Die großen Fragen" erzählen. In Zukunft spielen nicht nur Wassertemperatur und Verschmutzung eine Rolle, sondern auch Lösungsstrategien und neue Themen wie der Einfluss von Offshore-Windanlagen. Ich bin gespannt darauf.

Herzliche Grüße
Clemens Haug

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