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#174
vom 03. Januar 2025

Ab ins Eis: Antarktis-Tourismus für den Klimaschutz?

von Katja Evers
Liebe Lesende,

Ein frohes Neues oder "Godt nyttår" nachträglich! Ich hoffe, Sie sind genauso gut ins neue Jahr gerutscht wie ich. So kurz vor der Geburt unseres zweiten Sohnes habe ich es gemütlich angehen lassen: Auf einer norwegischen Berghütte, vor dem knisternden Kamin, umgeben von Schnee. "Hyttekos", wie man auf Norwegisch sagt. 😊

Ein neues Jahr ist auch immer der Beginn von Veränderung. Nicht nur wie bei mir auf persönlicher Ebene, sondern auch durch neue Gesetze, Programme oder Angebote. Eines davon ist das von HX Expeditions, einem Anbieter für Expeditions-Seereisen: In Zusammenarbeit mit der Universität von Tasmanien startet der in diesem Jahr ein Bildungsprogramm für Passagiere, die in die Antarktis reisen. Das Versprechen: "Wissenschaftliches Fachwissen mit verantwortungsvollem Tourismus und nachhaltigem Umweltverständnis" zu verbinden.
 
Nachhaltiger werden, während man gleichzeitig mit zahlreichen anderen Touristen an einen der entlegensten Orte unseres Planeten gebracht wird, mit einem Schiff, das nicht gerade als klimaneutral zu bezeichnen ist. Klingt für Sie nach Greenwashing? Ich habe das Programm durchlaufen und mit einem Polarforscher dazu gesprochen und muss sagen: Ganz so klar lassen sich die Linien nicht ziehen. Warum und wie der Antarktis-Tourismus dem Klimaschutz sogar helfen soll, das schauen wir uns heute mal an.

Aber erstmal wie gewohnt zur …

ZAHL DER WOCHE

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... Tage sind heute von 2025 noch übrig. Eigentlich Zeit genug, dass das Jahr ein gutes Klima-Jahr wird. Auch wenn die Zeichen dafür heute noch nicht so positiv aussehen, hoffen Forschende, dass dieses Jahr einen entscheidenden Wendepunkt im Kampf gegen den Klimawandel markieren könnte: das Jahr, in dem die globalen Treibhausgasemissionen ihren Höhepunkt erreichen und ein lang ersehnter Rückgang eingeläutet werden kann. Großer Treiber könnte dabei China sein, das – trotz Kohle – massiv in erneuerbare Energien investiert. Und die IEA hatte bereits 2022 prognostiziert: Erneuerbare Energien werden bis Anfang 2025 die größte Quelle der weltweiten Stromerzeugung sein und die Kohle überholen. Gute Gründe, optimistisch zu bleiben. 

Der Tourismus in der Antarktis: Boom trotz Klimawandel

Der Tourismus in die Antarktis ist so alt wie die Expeditionen selbst. Die Grenzen zwischen Entdeckern und extremen Touristen verschwimmen, so heißt es in dem vierstündigen Onlinekurs, den Forschende der Universität Tasmanien aufgesetzt haben und den Reisende vor ihrer Kreuzfahrt kostenlos durchlaufen können. Schon 1930 hielt der Expeditionsfotograf Frank Hurley demnach in einem Zeitungsartikel fest, dass es bald luxuriöse Kreuzfahrtschiffe in der Antarktis geben wird.
Ganz Unrecht hatte er damit nicht: Mittlerweile kommen laut Stefan Hain, Leiter der Stabsstelle Umweltpolitik am Alfred-Wegener-Institut (Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung), sowie zuständig für das Antarktis-Büro des Instituts, über 100.000 Touristen jährlich, zuletzt sogar 117.000, in die Antarktis. Auch die Aktivitäten haben sich vervielfacht. Zu den kurioseren gehörte wohl ein Metallica-Konzert, bei dem das Publikum Kopfhörer trug, um die Tierwelt nicht zu stören.
 
Einen Einfluss auf die Umwelt haben Sie natürlich trotzdem, auch wenn Schiffe mit Gästen, die auch an Land gehen wollen, maximal 500 Passagiere auf die Reise mitnehmen dürfen: Allein die Landungsstellen – laut Umweltbundesamt etwa 200 – seien laut Stefan Hain vor allem im Bereich der Antarktischen Halbinsel „überbeansprucht“ und das an einem Ort, der bereits stark unter der Klimaerwärmung leide. Einer Studie zufolge, die in der Fachzeitschrift »Nature Communications« erschienen ist, zufolge, legt sich durch die menschliche Präsenz außerdem schwarzer Kohlenstoff auf den Schnee und bringt ihn zum Schmelzen. 
Genau hier möchte HX Expeditions aber ansetzen, erklärt mir die wissenschaftliche Leiterin Verena Meraldi: Die Reisenden sollen lernen, welchen Einfluss sie haben, wie stark alle Lebewesen des Ökosystems voneinander abhängen und warum die Antarktis für unser aller Klima relevant ist – im Bestfall mit wortwörtlich nachhaltigem Effekt für das weitere Leben der Passagiere. Essenziell sei dabei die Verknüpfung von Forschung und Tourismus. Die ist aber nicht immer unproblematisch. 

Tourismus trifft Forschung: Eine Synergie für den Klimaschutz?

Der Kurs, den auch ich durchlaufen habe, ist dabei noch das Einfachste. Wie in einer Universitätsvorlesung können hier die Reisenden vorab 4 Module mit Texten, Interviews und Grafiken durchlaufen. Ein Test am Ende jedes Moduls ist inklusive. Auch wenn mir der Kurs zunächst wie ein Museumsbesuch ohne Ausstellungsstücke vorkommt, lerne ich doch am Ende erstaunlich viel: Dass der Eisenmangel in der Antarktis teilweise durch Walkot kompensiert wird, dass Seefahrer Arten wie Kaninchen und Rentiere auf die subantarktischen Inseln mitbrachten, um im Falle eines Überwinterns an Land eine Nahrungsquelle zu haben, dass die dickste Eisschicht 4,8 km dick ist. Der Tipp einer Forscherin, etwas, was riecht, für einen Aufenthalt in die Antarktis mitzubringen, ist bei mir ebenso hängengeblieben. Vor allem bleibt, ohne die Details zu behalten, ein grundsätzliches Gefühl dafür, wie sensibel das Ökosystem Antarktis ist.
Ob das bei allen der Fall sein wird, kann und will ich nicht bewerten. Verena Meraldi erklärt mir aber, dass das zumindest das Ziel ist: Der Kurs soll ein Grundverständnis und ein erstes Bewusstsein schaffen. An Bord treffen die Touristen dann auf Wissenschaftler, die für ihre Forschung mitfahren dürfen, teils auch Forschungsequipment gestellt bekommen. Etwas, was übrigens Stefan Hain bestätigt. Gerade jetzt sei beispielsweise ein Team des Alfred-Wegner-Instituts an Bord der MS Fridtjof Nansen (mehr dazu erfahren Sie hier).
Dass sich die Touristen mit den Forschenden direkt austauschen und ihnen bei der Arbeit zusehen können, findet er gut: „Wir versuchen ja unsere Wissenschaft nicht im Elfenbeinturm zu behalten, sondern diese auch in die Gesellschaft zu vermitteln.“ Auch, dass die Touristen selbst Hand anlegen, sei prinzipiell unterstützenswert: „Es gibt nichts Besseres, als eigene Erfahrungen zu sammeln. Wenn man selbst durch ein Mikroskop guckt, dann ist das eine ganz andere Erfahrung.“ Problematisch in der Antarktis könne es dann werden, wenn Touristen anfangen würden, selbst auch Proben zu entnehmen.

Touristische Wissenschaftler und forschende Touristen: Wenn die Grenzen verschwimmen

Der Grund sind rechtliche Vorgaben: Jeder, der in die Antarktis kommt, braucht eine Genehmigung. Die Genehmigungen unterscheiden sich aber, je nachdem, ob sie ein Tourist oder ein Forscher beantragt, erklärt Stefan Hain. Forschende etwa dürften teils näher an die zu erforschenden Tiere heran, in Schutzgebiete gehen und dort Proben entnehmen. Touristen ist dies untersagt. Das habe bereits öfter zu Problemen geführt, meint der Forscher. Selbst in Fällen, wo Forschende aktiv um Unterstützung gebeten hatten. Der Versuch, Touristen als Hilfswissenschaftler zu deklarieren, sei eine Grauzone – zumindest noch, denn momentan arbeiten die 57 Antarktisvertragsstaaten daran, ein Rahmenwerk für die bisher vereinzelten Maßnahmen zum Antarktis-Tourismus zu schaffen und entsprechende Grenzen auch klarer zu ziehen.

Anbieter, die damit werben, etwa den Pinguinen besonders nahe kommen zu können, sind aus Sicht von Stefan Hain entsprechend bedenklich. Die Grenzziehung müsse auch den Touristen klar verdeutlicht werden. Etwas, dem Verena Meraldi zustimmt: Die Gäste bei HX Expeditions dürften ihr zufolge nicht einfach mit den Forschenden Proben sammeln. Das sei nur im Rahmen spezieller Citizen Science Projekte wie FjordPhyto möglich, für die es dann auch gesonderte Genehmigungen gäbe. Tatsächlich werde ich im Onlinekurs in einem eigenen Modul auf meine Verantwortung als Tourist hingewiesen, aber auch auf viele Citizen Science Projekte, deren Sinnhaftigkeit und rechtliche Komponenten ich kaum bewerten kann.
 
Stefan Hain erklärt mir aber, dass solche Projekte in der Antarktis generell nicht nur einzeln genehmigt werden müssten, sondern auch nur durchgeführt werden sollten, wenn sie nicht auch außerhalb des Gebiets möglich sind. Auch die Geräte und Methoden müssten bestimmte wissenschaftliche Standards erfüllen, um vernünftige Daten zu bekommen. Bei großen Anbietern wie HX hat der Forscher dort aber wenig Bedenken. Bei anderen Unternehmen, etwa dem Yachttourismus, sei das aber ein Aspekt, der beachtet werden müsse. 

Egal, ob Nutzen für die Forschung oder nicht, in einem sind sich Stefan Hain und Verena Meraldi einig: Allein die Erfahrung ist einzigartig und prägt die Touristen. Im Bestfall können Sie mit dem Wissen über die Antarktis als eine Art Botschafter zu Hause agieren. Ob nun durch Citizen Science Projekte oder durch einen umweltbewussteren Blick im Alltag. Verena Meraldi will deshalb die Kooperation mit der Universität Tasmanien sogar noch ausbauen. Und zwar so, dass die Passagiere auch nach ihrer Rückkehr mit Kursen, Informationen und Möglichkeiten, sich wissenschaftlich zu beteiligen, begleitet werden.

Termine

Donnerstag, 09. Januar – Berlin/Online
Die Heinrich-Böll-Stiftung lädt zu einem Gespräch darüber, wie Demokratien die Klimakrise bewältigen können. Die Anzahl der Plätze vor Ort ist begrenzt. Mehr dazu
Freitag, 10. Januar – Görlitz
Um die Wölfe in der Lausitz geht es bei einer Vorlesung des Senckenberg Museum für Naturkunde, die nur für Kinder konzipiert ist. Weitere Infos
Freitag bis Sonntag, 10. - 12 Januar – bundesweit
Mit der Mitmachaktion „Stunde der Wintervögel“ rufen der NABU und sein bayerischer Partner Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV) dazu auf, eine Stunde lang die Vögel am Futterhäuschen, im Garten, auf dem Balkon oder im Park zu zählen und zu melden. Mehr dazu

Klima und Menschheit

Artenvielfalt wird Alltag auf dem Acker
Im Forschungsprojekt F.R.A.N.Z. sind jahrelang Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt in der konventionellen Landwirtschaft erprobt worden. Seit 2016 testen Forschende und Landwirte gemeinsam, was Agrarbetriebe in ihrem Arbeitsalltag auf einfache, unkomplizierte und möglichst kostengünstige Weise tun können, um die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren in einer von Feldern geprägten Landschaft zu erhalten. Was sich im wissenschaftlichen Langzeitprojekt als sinnvoll und machbar gezeigt hat, wird von anderen Betrieben tatsächlich übernommen – und das noch vor dem offiziellen Projektende, so das Zwischenfazit aus Sachsen-Anhalt. Mehr dazu
Feuerwerk und Inversionswetterlage sorgen für extreme Feinstaubwerte
Das Silvesterfeuerwerk und eine sogenannte Inversionswetterlage haben vor allem im Süden Deutschlands zum Jahreswechsel für extreme Feinstaubwerte jenseits der Grenzwerte gesorgt. Auch aus Thüringen wurden teils erhöhte Werte gemeldet. Wie der Meteorologe Nico Bauer vom Deutschen Wetterdienst (DWD) erklärte, wurden in allen Städten der Südhälfte Deutschlands in der Nacht zum 1. Januar stark erhöhte Werte gemessen. Auch am Neujahrsmorgen sei noch viel Feinstaub in der Luft gewesen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes war die Belastung durch schlechte Luft in der Silvesternacht vielerorts so hoch wie sonst im ganzen Jahr nicht. Weitere Infos
2024: Das wärmste Jahr seit Beginn der Datenerfassung
Mit 0,26 Grad Vorsprung ging das Jahr 2024 über die Ziellinie und ist damit offiziell wärmstes Jahr in Deutschland seit Beginn der Datenerfassung, also seit 1881. 2024 löst damit 2023 ab, das seinerseits 2022 abgelöst hatte. Mit anderen Worten: Wir haben das dritte Temperaturrekordjahr in Folge erlebt. Das geht aus Daten des Deutschen Wetterdienstes hervor. Außer im Südwesten (Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg) war demnach 2024 auch in jedem einzelnen Flächen-Bundesland das wärmste Jahr seit Beginn der Datenerfassung. Allerdings ergeben sich klare Südwest-Nordost-Unterschiede in Bezug auf den Niederschlag: Während es etwa im Saarland das drittnasseste Jahr seit Datenerfassungsbeginn war, hat Sachsen beispielsweise schon 87 niederschlagsreichere Jahre erlebt. Mehr dazu

ARD, ZDF und DRADIO

Die Krise der deutschen Bahn

und wie es dazu kommen konnte, das thematisiert der Storytelling-Podcast in 6 Folgen. 

... was vom Atomausstieg bleibt

Darauf blickt Harald Lesch bei Terra X. 

Die atlantische Umwälzströmung versiegt

... vielleicht! Wenn, hat es aber fatale Auswirkungen. Sollten wir also darüber berichten und wenn ja, wie?

👋 Zum Schluss

Wenn es darum geht zu entscheiden, ob der Tourismus nun der Antarktis helfen oder ihr schaden kann, findet Stefan Hain keine abschließende Antwort. Das komme nicht zuletzt auch auf die Tourismusunternehmen, deren Ausstattung und deren Versprechen an die Reisenden an. Der Tourismus in der Antarktis sei prinzipiell erlaubt, das wie also entscheidend. Dabei leiste, so der Forscher, der Dachverband der Antarktis-Tourismusindustrie (IAATO) bereits gute Arbeit. Ein Ergebnis, zu dem auch die Kohlenstoff-Studie kommt, auch wenn sie weitere Maßnahmen fordert.

Auch das Rahmenwerk über den Tourismus in der Antarktis, das nun geschlossen werden soll, sei eine gute Entwicklung, genauso wie die Tatsache, dass auch ein kommerzieller Sektor wie die Tourismusindustrie die Wissenschaft unterstützt, solange es nicht als Greenwashing-Maßnahme missbraucht werde.
 
Ob das wirklich einen Effekt hat, wird sich zeigen. Ich persönlich jedenfalls denke schon jetzt, nach vier Stunden Kurs, viel intensiver über die Antarktis und ihr fragiles Ökosystem nach, als ich es sonst jemals getan hätte. Die Erfahrung mit Wissenschaftlern vor Ort würde mich wahrscheinlich nachhaltig prägen. Ob ich die Reise mit gutem Wissen unternehmen könnte, ist eine andere Frage. Und so lande ich am Ende beim gleichen Fazit wie Stefan Hain und Verena Meraldi: Tourismus gibt es und er hinterlässt immer Spuren, also sollten wir zumindest dafür sorgen, dass sie klein bleiben.

Liebe Grüße und bis bald (nach meiner Elternzeit)
Katja Evers

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