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#164
vom 25. Oktober 2024

Der Patient Fluss: So kann er gesund leben 

von Katja Evers
Liebe Lesende,
 
in dieser Woche ist die 16. Weltnaturkonferenz in Kolumbien gestartet. Sie wird noch bis 1. November dauern. Was genau beschlossen wird, ist also noch nicht bekannt. Es soll aber vor allem um einen Fahrplan des 2022 beschlossenen Weltnaturabkommens gehen.

Vor zwei Jahren hatte man sich nämlich große Ziele gesetzt: Mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen sollen bis 2030 unter Schutz gestellt werden, um den weiteren Verlust von Biodiversität zu verhindern. Bisher ist allerdings zu wenig passiert, auch im Hinblick auf Gewässer im Inland: Erst letzte Woche hatte die Europäische Umweltagentur einen Bericht zu den europäischen Seen und Flüssen veröffentlicht. Das Ergebnis ist vernichtend: Nur etwa 37 Prozent befinden sich in einem guten Zustand.  

Aber, was heißt denn eigentlich gut? Wie Sie einen gesunden Fluss erkennen und was jeder von uns für die Biodiversität unserer Gewässer tun kann, das schauen wir uns heute mal an.

Jetzt aber erst einmal wie gewohnt zur…

ZAHL DER WOCHE

240

… Yuan, umgerechnet 31 Euro, für den Eintritt in ein neues Groß-Aquarium in China hat im Netz für Aufregung gesorgt. Denn statt des als Hauptattraktion beworbenen Walhais bekamen die Besucher lediglich einen schwimmenden Roboter zu Gesicht. Zu viel Geld für „falsche Meerestiere“ kritisierten Social Media-Nutzende. Die Betreiber hingegen erklärten, sie wollen mit dem Roboter das Bewusstsein für den Artenschutz schärfen. Ein echtes Exemplar in Gefangenschaft zu halten, sei grausam. Ein nobles Argument. Negativ aufgefallen ist die Aktion aber wohl auch deshalb, weil es bereits in der Vergangenheit eine Reihe von Fälschungen in chinesichen Tierparks gab: Im Taizhou Zoo in der Provinz Jiangsu hatten Mitarbeiter erst im Mai einen Chow-Chow-Hund so bemalt, dass er wie ein Panda aussah, wie der Independent berichtet. 

Der gesunde Fluss: Wie alles ineinandergreift

Vielleicht kennen Sie das Gefühl: Am Wasser zu sitzen, dem Plätschern zu lauschen, das hat etwas Beruhigendes. Und es steckt tief in Ihnen verwurzelt, steinzeitlich verwurzelt, glaubt man dem Archäologen Harald Meller: "Wenn Sie in den Urlaub fahren, dann fahren Sie gerne an Gewässer. Sie haben gerne Wasser und wissen, dass Sie sich immer versorgen können. Kurzum, Sie sind gerne in der idealen ökologischen Nische." Flüsse machten uns beweglicher und waren eine Art Lebensversicherung, weil immer etwas zu essen in ihnen geschwommen ist. Doch nicht nur wir, auch viele Pflanzen- und Tierarten nutzten und nutzen diese ideale ökologische Nische für sich. Laut Umweltbundesamt sind Flüsse und ihre Auen die artenreichsten Ökosysteme Europas und auch sehr sensibel. 

Blätter, die in den Fluss fallen, tote Insektenkörper, die auf Grund gehen, Äste, die mitgerissen werden – sie alle haben ihren Platz innerhalb des Systems. Der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings, der einen Tornado auslösen kann. Oder ihn verhindert. In welche Richtung es geht, ist dabei maßgeblich von uns Menschen abhängig und sie können es auch als Laie sehen. Wenn Sie also demnächst mal wieder an einem Fluss oder Bach spazieren gehen, achten Sie auf folgende Dinge.

Das grüne Band am Uferrand: Die Uferbepflanzung!

Wäre ein Fluss ein Haus, dann wären die Uferbepflanzungen das, was das Leben darin überhaupt erst ermöglicht: Im Sommer sind die Bäume eine Art Klimaanlage und der Zement, der alles zusammenhält, die Pflanzen bieten schöne Kinderzimmer für Kleinstlebewesen, deren tote Körper sind zusammen mit den Blättern, die in den Fluss fallen, eine Art Kühlschrank für Organismen im Fluss. Bei starken Regenfällen sind sie außerdem Filter und Drainage zugleich.

Für Gewässer sei Hochwasser deshalb in einer natürlichen Umgebung sogar gut, meint Thomas Berendonk, Professor für Limnologie (Gewässerökologie) an der TU Dresden. "Es kommt dadurch auch zum Austrag von Feinpartikeln, also etwas wie einer Selbstreinigung des Gewässers." Voraussetzung dafür: Das angrenzende Gebiet darf nicht nur nicht durch Straßen oder Siedlungen versiegelt, sondern auch nicht landwirtschaftlich (mit Dünger) bewirtschaftet sein. Denn dann können schädliche Stoffe in die Flüsse mit hineingespült werden, so der Forscher. Tatsächlich sind laut Bundesumweltamt nahezu alle unserer Gewässer mit Stoffen belastet, die dort nicht hingehören, vor allem durch die Landwirtschaft.
Im Bestfall sollten neben den Gewässern Süßgraswiesen wachsen, so Thomas Berendonk. Deren Abrieb und das Laub seien dann auch Teil der Nahrungsgrundlage für ein (kleines) Fließgewässer. Bei ihrem Spaziergang können Sie aber auch direkt einen Blick ins Wasser werfen. 

Dem Gewässer auf den Grund gehen: Totholz und Steine!

Nicht nur Laub kann im Wasser nützlich sein, sondern auch Holz, Totholz. Fallen Äste oder ein ganzer Baum in den Fluss, entsteht im Grunde nochmal eine eigene Wohnung innerhalb des Hauses: Algen ziehen ein und andere Bewohner an. Wirbellose Kleintiere etwa, die dann wiederum für Fische oder Flusskrebse als Nahrung dienen. Und weil Kühlschrank und ein gemütliches Zimmer in dem Geäst so nah beieinanderliegen, ziehen die größeren Tiere auch gerne gleich mit in die Wohngemeinschaft – auch, wenn es vielleicht nicht die netteste Art ist, seine Mitbewohner zu fressen. Daneben sorgt das Totholz für unterschiedliche Fließgeschwindigkeiten. Etwas, was besonders für Jungfische, die auch mal ruhige, von der Strömung mehr oder weniger befreite Bereiche brauchen, gut ist.
 
Trotzdem darf es auch nicht zu viel sein. Denn dann kann das Holz an Brückenpfeilern hängen bleiben, Treibgut aufstauen und im Zweifel den Durchgang versperren. Auch die Algen sind nur in Maßen gut. Gerade steigende Temperaturen und Schadstoffe aus der Landwirtschaft sorgen vielerorts für ein massives und ungesundes Algenwachstum. 2022 etwa sorgte das Massenwachstum der Brackwasseralge Prymnesium parvum für ein massenhaftes Fischsterben in der Oder.
 
Wenn Sie also an einem Fluss oder Bach vorbeigehen, sollte das Wasser klar sein, meint Thomas Berendonk. Die Algen sollten erkennbar sein, man muss auf den Grund schauen können. Dort findet sich im Bestfall Totholz, aber auch Steine und Gefäßpflanzen, die im Gewässer wachsen - sogenannte Makrophyten. Daneben sei es wichtig, dass das Wasser eine gewisse Fließgeschwindigkeit habe, so der Forscher. Zu viel ist aber auch nicht gut. Um im Hausbild zu bleiben: Der Fluss braucht auch anständige Wasserleitungen. 

Mehr kreuz und quer: Der natürliche Flussverlauf

Dass es einen guten und ausgeglichenen Mix der Fließgeschwindigkeiten gibt, dafür sorgen Mäander, also natürliche Schleifen, die der Fluss durch die Landschaft zieht. Sie bremsen das Wasser aus und erhalten so – abgesehen vom Hochwasserschutz – auch das Flussbett, das bei zu hohen Fließgeschwindigkeiten vom Fluss mitgerissen werden würde.

Und es hilft dem Klima, wie Forschende vom Deutschen GeoForschungsZentrum 2021 festgestellt haben: Sandkörner werden nämlich entlang der Mäander immer wieder in der Flussaue abgelagert und teils Jahrtausende später weiter transportiert. Dabei wird das Sandkorn von Kohlenstoff begleitet, der aus Pflanzen und Boden eingespült wird. Flüsse tragen damit Kohlenstoff, der zuvor über die Photosynthese aus der Atmosphäre aufgenommen wurde, als Sediment ins Meer, wo er über Jahrtausende unschädlich für das Klima eingelagert wird. Ist der Fluss begradigt, wird das Sediment hingegen einfach durchgeschleust, ohne großartig Kohlenstoff aufzunehmen. Stattdessen wird dieser dann wieder von Mikroorganismen als CO2 freigesetzt.  

Nur ein Bruchteil der positiven Effekte, die die Kurven in den Gewässern mit sich bringen. Einen solchen natürlichen Verlauf zu entdecken wird auf Ihrem Spaziergang aber wohl die größte Herausforderung: Über 90 Prozent der deutschen Flüsse und Bäche sind laut Umweltbundesamt über weite Strecken begradigt, eingeengt, verrohrt oder von Bauwerken unterbrochen. Erschreckend, auch für die Artenvielfalt. 

Termine

bis 31. Oktober – bundesweit
Noch bis Ende Oktober können Sie ihren Bach vor der Haustür prüfen. Die Daten gehen dann an das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Erste Ergebnisse und weitere Infos gibt es hier
Samstag, 02. November – Ostritz 
Das Senckenberg-Museum für Naturkunde lädt zu einer Pilz-Exkursion. Dort erfahren Sie, wie man zwischen essbaren und giftigen Pilzen unterscheidet, können aber auch mithelfen, spannende Pilze für die Sammlung des Museums zu suchen. Mehr Infos
Samstag, 23. November – Wahns
Für mehr Biodiversität lädt der BUND Thüringen zu einem Pflanzfest ein. Gemeinsam mit der Stadt Wasungen und vielen Freiwilligen soll eine Mischung von Laubbäumen und Büschen gepflanzt werden. Die Anmeldung ist ab jetzt möglich. Mehr dazu

Klima und Menschheit

Das Erdsystem ist am Anschlag
Darauf zumindest verweisen Wissenschaftler vor dem im November anstehende Weltklimagipfel in Aserbaidschan. Demnach schreitet der Klimawandel so schnell voran wie nie zuvor. Laut einem Report im Fachmagazin BioScience zeigen 25 von 35 Vitalparametern des Erdsystems negative Rekordwerte. So waren die drei Tage mit der weltweit höchsten, jemals gemessenen Durchschnittstemperatur alle im Juli 2024. Zugleich liegen auch die monatlichen Durchschnittstemperaturen seit über einem Jahr über allen bekannten Mittelwerten. Trotzdem haben die Menschen im Jahr 2023 mehr fossile Energieträger verbrannt als je zuvor. Die Zahl der Menschen und die Nutztierpopulation auf der Erde wuchs dabei genauso wie die Zerstörung der Wälder. "Wir befinden uns bereits mitten in einem abrupten Klimawandel, der das Leben auf der Erde in einer Weise gefährdet, wie es die Menschheit noch nie zuvor erlebt hat", sagt Autor William Ripple. Mehr dazu
Klimawandel begünstigt Waldbrände
Und schädigt damit nicht nur Umwelt und Natur, sondern auch zunehmend die Gesundheit von Menschen. Das sind die Ergebnisse zweier Studien mit Beteiligung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Der ersten Untersuchung zufolge hat die Erderwärmung in den vergangenen Jahrzehnten für mehr verbrannte Flächen gesorgt. Im Zeitraum von 2003 bis 2019 seien knapp 16 Prozent mehr Wald abgebrannt, verglichen mit einem Szenario ohne Klimawandel, schreibt das Team um Seppe Lampe von der Freien Universität Brüssel. Betroffen waren den Forschenden zufolge vor allem Australien, Südamerika, der Westen Nordamerikas und Sibirien. Die zweite Studie um Chae Yeon Park vom Japanischen Nationalinstitut für Industrie- und Wissenschaftstechnologie untersuchte hingegen die Auswirkungen auf die Gesundheit: Demnach stieg die Zahl der Todesfälle durch feuerbedingte Luftverschmutzung weltweit von etwa 46.400 pro Jahr in den 1960er-Jahren auf rund 98.750 in den 2010er-Jahren, was eine Verdopplung der Fälle bedeutet. Weitere Infos
Wetterphänomen El Niño ist mindestens 250 Millionen Jahre alt
Das hat ein Forschungsteam der privaten Duke-Universität in Durham (North Carolina, USA) herausgefunden. Demnach sind die beiden Wetterphänomene El Niño und La Niña, die maßgeblich zu Dürren oder ungewöhnlich viel Regen an verschiedenen Orten der Welt beitragen und über die viel im Zuge des Klimawandels gesprochen wird, deutlich älter als bislang angenommen. In der Vergangenheit waren die Temperaturschwankungen durch El Niño und La Niña sogar noch größer als heute, so die Forschenden. Die Studie zeigt, dass die beiden wichtigsten Variablen für die Stärke der Schwankungen in der Vergangenheit offenbar die thermische Struktur des Ozeans und das "atmosphärische Rauschen" der Winde an der Meeresoberfläche waren. Mehr dazu

ARD, ZDF und DRADIO

Ungezähmt

ist die mittlere Mulde. Eine Doku über einen renaturierten Fluss und sein faszinierendes Ökosystem.

Das größte Artensterben

seit den Dinos und wir mittendrin. Die Podcastfolge erklärt wieso.

Die Lebensadern retten

Eine Doku darüber, wie das geht und was sich dringend ändern muss.

👋 Zum Schluss

Das Umweltbundesamt attestiert den Gewässern in Deutschland ebenfalls keinen guten Zustand. Mit dem Förderprogramm "Blaues Band für Deutschland" möchte der Bund deshalb Flüsse und Auen renaturieren (die aktuellen Projekte können Sie hier einsehen). Auch die Art der Landwirtschaft muss sich ändern. Thomas Berendonk forscht deshalb unter anderem gerade daran, ob und wenn ja, wie viel Mindereinnahmen Landwirte befürchten müssten, wenn deren Land so bestellt werden würde, dass es so wenig wie möglich Einfluss auf die Fließgewässer nimmt.

Doch auch wir als Laien können etwas tun, meint der Forscher: Abfall vermeiden – speziell, wenn wir etwas die Toilette herunterspülen. Oder aber bewusst einkaufen – mehr Bio –, um so auch eine Umstellung der Landwirtschaft lohnenswerter zu machen. 

Oder aber Sie gehen doch noch eine Runde spazieren: In der ARD-MitmachAktion #unsereFlüsse können Sie noch bis Ende des Monats mit Ihren Beobachtungen der Forschung helfen und Daten zu kleinen Gewässern in Ihrer Umgebung sammeln. Den Fragebogen des Helmholtz-Instituts für Umweltforschung (UFZ) finden Sie hier. Ein kleiner Flügelschlag, der hoffentlich eine große Wirkung auf die Biodiversität unserer Gewässer haben kann. 

Liebe Grüße
Katja Evers

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