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#163
vom 18. Oktober 2024

Dabei beim Klimaschutz? Metoo!

von Katja Evers

Liebe Lesende,

ich bin Mama eines Dreijährigen und schwanger mit einem weiteren Jungen. Mein Alltag besteht oft daraus, ihn zu bewältigen. Die Arbeit mit den Kindergartenzeiten zu koordinieren (und notfalls abends nachzuarbeiten), rechtzeitig ein (möglichst gesundes) Essen auf den Tisch zu stellen (für das aber wegen der Arbeit keine Zeit war), schon fröhlich zu spielen, während das eigene Essen noch kalt auf Abnehmer wartet. Zeit für mich alleine gibt es in den zehn Minuten vor dem Schlafengehen, in denen ich mein Buch in die Hand nehme, bevor mir nach wenigen Seiten die Augen zufallen.
 
Vielleicht werden Sie jetzt Mitleid mit mir haben, vielleicht mit der Schulter zucken: So ist das mit Kindern! In jedem Fall aber ist es eine private Sache, etwas, mit dem ich umgehen muss, nicht Sie. Richtig? Nicht ganz! Denn in ihrem neuen Buch "Earth for All Deutschland“ zeigen der internationale Thinktank Club of Rome und das Wuppertal Institut, dass sich aus Alltagserfahrungen wie meiner eine große Wechselwirkung verschiedenster Probleme ergibt, die am Ende auch den Klimaschutz hemmen. Was dahinter steckt und welchen großen Sprung wir wagen müssen, um das zu ändern. Das schauen wir uns heute an. 

Erst aber wie gewohnt zur …

ZAHL DER WOCHE

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… Prozent von Europas Seen und Flüssen sind in keinem guten Zustand. Das ist eine der Erkenntnisse aus dem neusten Wasserbericht der Europäischen Union. Mit Blick auf die Belastung mit Chemikalien werden gar nur 29 Prozent der Oberflächengewässer als "gut" eingestuft. Trotz Bemühungen der Länder habe sich diese Zahl seit 2015 kaum verändert, heißt es in dem Bericht. Die fehlende Verbesserung des ökologischen Zustands zeige die anhaltende Belastung der Gewässer auf dem gesamten Kontinent. Die größte Belastung gehe dabei von der Landwirtschaft aus. Gleichzeitig sei die Landwirtschaft bei weitem der größte Netto-Wasserverbraucher in Europa – Tendenz steigend.

Die fünf Wenden: Große Sprünge für eine bessere Zukunft

Zunächst einmal: Was ich Ihnen heute näher beschreibe, ist nur ein Teilaspekt einer großen Transformation, die Deutschland durchlaufen müsste, um Umweltkrisen zu überwinden und gleichzeitig Demokratie und Wohlstand zu sichern. Nur eine der fünf Kehrtwenden, die im besagten Buch anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse beschrieben und modelliert werden und die eng miteinander verzahnt sind: Die Armut soll beseitigt werden, die Ungleichheit verringert, die Selbstwirksamkeit gestärkt, das Ernährungssystem umgestaltet und das Energiesystem transformiert werden. Wenn alle Kehrtwenden gemeinsam umgesetzt werden, werden sie sich stärken, so das Credo der Autoren und Autorinnen. Eine allein wird scheitern. 
 
Die sozialen Kehrtwenden (Armut, Ungleichheit und Selbstwirksamkeit oder eigentlich Empowerment) bereiten dabei die ökologischen Wenden vor, so Jacqueline Klingen, Forscherin in der Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme am Wuppertal Institut. Zentrale Frage: "Wie muss unsere Gesellschaft sein, um überhaupt dahinzukommen, diese multiplen Krisen, mit denen wir uns aktuell konfrontiert sehen, auch bewältigen zu können?" Eine Frage, die mich zu meinem anfangs erwähnten Leben als Kleinkind-Mama zurückführt.

Was MeToo mit dem Klimaschutz zu tun hat

Denn in den sozialen Wenden geht es vor allem darum, die Gesellschaft anzugleichen, ein Gefühl von Gerechtigkeit zu schaffen, Teilhabe zu fördern, Macht zu verteilen. Miteinander statt gegeneinander.

Eine Gruppe, der deshalb nicht nur, aber fast ein ganzes Kapitel gewidmet wird, sind Frauen und die Frage, wie auch sie gestärkt werden können. "Wir leben auch heute in der Welt, die einfach noch davon lebt, dass die einmal aus einer männlichen Perspektive für männliche Bedürfnisse gebaut wurde", so Jacqueline Klingen, Autorin des Empowerment-Kapitels. "Das gar nicht mal absichtlich, sondern eher, weil Männer in der Vergangenheit bestimmte Rollen eingenommen haben." Entsprechend groß sei das Potenzial, durch weibliche Perspektiven, die Welt von morgen zu formen: "Und ich denke, dass sie auch anders gestaltet werden würde und sich dann daraus auch ganzheitliche Städte für alle entwickeln würden." 

Untersuchungen weltweit – so heißt es im Buch – zeigen, dass Frauen Veränderungen in Richtung mehr Verantwortungsbewusstsein treiben, dass sie in Regierungen eher für öffentliche Güter wie Gesundheit und Bildung einstünden und in Führungspositionen stärker umwelt- und sozialverträgliche Praktiken umsetzen. 

Das liegt nicht alleine an den Frauen, sondern eher den Rollen, die sie einnehmen, so Jacqueline Klingen: "Ich glaube, es ist jetzt nicht nur dieses: ‚Frauen sind besser in Care-Arbeit und sorgen sich deswegen auch besser um den Planeten‘. Das würde ich den Männern gar nicht absprechen. Was jedoch in vielen Fällen fehlt, ist eine weitere Stimme und Perspektive, nicht nur von Frauen, sondern beispielsweise auch von Jugendlichen und Kindern."
 
Entsprechend wichtig ist es, Gleichberechtigung für alle zu schaffen und so soziale Themen mit Machtpositionen zu mischen. Das könnte eine Reihe positiver Wechselwirkungen zur Folge haben, hier nur beispielhaft für das Thema Nachhaltigkeit aufgeführt: Der Fokus auf Bildung könnte – in Kreisen, die etwas zu sagen habe die nötigen Mittel loslösen, um den Grundstein für ein neues Verständnis von Inklusion, Diversität und Nachhaltigkeit zu legen. Die Ernährung an Schulen und Kitas könnte verbessert und unter Nachhaltigkeitsaspekten, etwa weniger Fleisch und regionale Lebensmittel, gekocht werden. Das würde auch ärmeren Kindern eine gesündere Ernährung ermöglichen und auf Dauer das Gesundheitssystem weniger belasten. Bereits an diesem kleinen Beispiel sehen Sie die Verzahnung der verschiedenen Wenden. 
In der Theorie klingt das gut. Wie aber kann das bewerkstelligt werden?

Wie wir die Empowerment-Wende schaffen können

Es wird sie vielleicht wenig überraschen, aber eine Konsequenz ist erst einmal, mehr Frauen in Führungspositionen und mehr Männer in die Care-Arbeit zu bekommen. Doch die Probleme sind weitläufig, die Lösungsansätze ebenso. Sexismus am Arbeitsplatz muss eisern bestraft, Rollenbilder schon in den Kindergärten aufgebrochen werden – etwa durch männliches Personal. Es braucht gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit und mehr Elternzeit für die Väter. Klingt nicht neu, wirklich angepackt wird aber zu wenig.

In meiner Wahlheimat Norwegen gibt es viele dieser Dinge: Väter haben einen mindestens dreimonatigen Pflichtteil in der Elternzeit, den sie alleine mit Kind zu Hause bleiben, Frauen haben während der Arbeit stillfrei und arbeiten zu fast gleichen Teilen in Führungspositionen wie Männer. Und Kinder erfahren dadurch von klein auf, dass beide Eltern beides machen, auch wenn dadurch die Belastung für die Frauen in Norwegen steigt (mehr dazu erfahren Sie hier in einer Reportage von MDR Aktuell). Trotzdem: Der positive Effekt für die Gesellschaft ist da, ermöglicht durch politische Maßnahmen, etwa die Frauenquote, deren Nichteinhaltung in Norwegen hart bestraft wird. Braucht es so etwas also auch in Deutschland? 

Auch Jacqueline Klingen hat darüber nachgedacht, ist aber skeptisch: "Es gibt natürlich Studien, die zeigen, dass Frauen in Führungspositionen für die Gesamtwirtschaft besser sind. Aber wenn ich mir jetzt vorstelle, unter unveränderten Rahmenbedingungen in eine hohe Position zu kommen, mit der gesamten Verantwortung für Arbeit und Familie, dann wüsste ich nicht, wie das möglich sein soll."

Empowern heißt ermutigen und befähigen. Es sei entsprechend wichtig, dass die Politik die nötigen Rahmenbedingungen für selbstbestimmte Entscheidungen schafft: Dazu müssten falsche Anreize wie das Ehegattensplitting abgeschafft werden. Auch ein längerer Pflichtteil für Väter in der Elternzeit kann helfen, Väter zu ermutigen, eine aktivere Rolle einzunehmen und diese Rolle ein Stück weit Normalität werden zu lassen. Das wichtigste sei aber, dass Beruf und Sorgearbeit vereinbar sind, einerseits durch verlässliche und flächendeckende Betreuungsangebote, aber zum Beispiel auch durch eine Arbeitszeitverkürzung auf eine 32 oder 34-Stunden-Woche.
 
"Häufig wird vor allem in Führungspositionen davon ausgegangen, dass es kein Privatleben gibt, in dem es auch große Herausforderungen geben kann", so die Forscherin. Das anzuerkennen, sei aber ein extrem wichtiger Baustein. Mit flexiblen Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitmodellen hätten alle Menschen in Deutschland mehr Zeit für sich und andere. Mehr Zeit für die Kinder, Zeit für die Gemeinschaft, Zeit für den Klimaschutz, Zeit für gesünderes Essen, Zeit für Sport, Zeit für mehr Verantwortung im Job oder einfach nur Zeit, abends mehr als nur ein paar Seiten im Buch zu lesen. 

Termine

Bis Ende Oktober – Mühlhausen
Das Smart City Team lädt herzlich zur Dauerausstellung "Wald verbindet". Die Ausstellung beleuchtet die zentrale Rolle des Waldes für den Erhalt bedrohter Arten. Eintritt ist frei. Weitere Infos
Samstag, 19. Oktober – Witznitz
Lust einen Solarpark hautnah zu erleben? Der BUND Sachsen-Anhalt lädt dazu ein, den größten Solarpark Deutschlands zu besuchen und dort auch kritische Fragen, etwa nach den Umweltfolgen, zu stellen. Mehr dazu 
Samstag, 26. Oktober – bundesweit/online
Die deutsche Bundesstiftung Umwelt lädt zu einem Symposium, das sich mit Vertretern und Vertreterinnen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft der Frage widmet, wie die enormen Kosten für die Klimaneutralität gestemmt werden können. Nicht geladene Gäste können die Veranstaltung per Livestream verfolgen. Mehr Infos

Klima und Menschheit

Bäume bleiben auch nach Millionen Jahren Klimawandel anpassungsfähig
Das ist das Ergebnis einer großen Studie unter Führung der Universität Uppsala in Schweden, an der Wissenschaftler von 22 europäischen Instituten mitgewirkt haben. Demnach sind Bäume in der Lage, ihre genetische Vielfalt auch unter großen Umweltveränderungen über Millionen Jahre des Klimawandels zu erhalten. Eine Überraschung für die Forschenden, die das Gegenteil vermutet hatten. Untersucht hatten sie die DNA-Analysen von rund 3.500 Bäumen in 164 verschiedenen Populationen in ganz Europa. Mehr dazu
Den idealen Landkreis im Jahr 2070
haben junge Erwachsene in der Zukunftswerkstatt „Landwende: Wie wollen wir leben?“ der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina entwickelt. Dabei ging es vor allen Dingen um das Trilemma, wie ökologische, ökonomische und soziale Anforderungen an die Landnutzung gegeneinander abgewogen werden können. Der entstandene ideale Landkreis ist ein ganzheitlicher Ansatz, bei dem Fragen des gemeinsamen nachhaltigen Wirtschaftens mit denen des sozial gerechten Zusammenlebens in Einklang gebracht werden sollen. Und er zeigt, dass weitaus mehr Aspekte als das Klima, die Landwirtschaft und die Ökosysteme eine Rolle spielen: Die Ideen reichen von der Entsiegelung von Flächen, über die regionale Wertschöpfung und die nachhaltige Landwirtschaft bis hin zu Ansätzen, welche Gemeinschaft es braucht, um die großen Veränderungen zu stemmen. Die Ergebnisse wurden in einer Graphic Novel veröffentlicht. 
EU setzt sich Ziele für Weltklimakonferenz
Diese soll in knapp einem Monat stattfinden. Die Umweltminister der EU-Staaten haben sich deshalb in dieser Woche auf klare Ziele verständigt, die sie bei der Konferenz vertreten möchten. Darunter zählt das 1,5-Grad-Ziel für das die EU mehr Ehrgeiz bei nationalen Klimaplänen fordern will, die 2025 vorgelegt werden sollen. Diese Pläne sollten wirtschaftsweite und absolute Reduktionsziele enthalten, die alle Treibhausgase abdecken. Zudem will die EU dafür werben, ein neues gemeinsames Ziel für die Unterstützung von Entwicklungs- und Schwellenländern zu vereinbaren. Bei der sogenannten Klimafinanzierung soll demnach eine breitere Gruppe von Beitragszahlern einbezogen werden. Die Weltklimakonferenz COP29 soll am 11. November in Aserbaidschans Hauptstadt Baku eröffnet werden und bis zum 22. November dauern. Mehr dazu

ARD, ZDF und DRADIO

Das Ende der Insekten?

"Tatort"-Star und Hobbyimkerin Maria Furtwängler begibt sich auf Spurensuche.

Hochwasser und Klimawandel

Eine Podcast-Folge darüber, wie beides zusammenhängt und wie man in den Niederlanden mit dem Anstieg des Meeresspiegels umgeht. 

Grüner Wasserstoff

soll alles richten. Nur es passiert nicht genug und nicht schnell genug. 

👋 Zum Schluss

Falls Sie nun denken: Klingt super, aber auch zu schön, um wahr zu sein! Auch für die Finanzierung hält das Buch Ansätze bereit. Die für die Autoren und Autorinnen sinnvollsten: Weniger Konsum, die Verbesserung gemeinschaftlicher Infrastrukturen (um statt eines Autos den Bus nehmen zu können), die Abkehr von überhöhten Erwartungen an das Wirtschaftswachstum. Das wichtigste sei aber eine Umverteilung, also die Besteuerung der sehr großen Vermögen (vor allem Erbschaften), vielleicht sogar eine Kopplung der Steuern an die Staatsbürgerschaft. Das würde der Logik der Forschenden zufolge die Wenden finanzieren, Ungleichheiten reduzieren und eine friedlichere Gesellschaft nach sich ziehen, die auch gemeinsam daran arbeitet, ihren Lebensraum zu erhalten.

Auf die Frage, ob dann nicht der Frust sich auf die Reichen verschieben könnte, hat Hans Haake, Forscher in der Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik am Wuppertal Institut und Autor der Ungleichheitswende folgende Antwort: "Es gibt Studien, die zeigen, dass eine zu ungleiche Verteilung, auch, wie wir es in Deutschland momentan haben, einfach insgesamt von den Ergebnissen her schlechter ist, also, dass wir dann schlechtere Standards haben bei der Bildung, im Gesundheitswesen, auch subjektiven Wohlbefinden. Also, wir haben ganz viele negative Effekte: Kriminalität, die Lebensqualität sinkt bei höherer Ungleichheit."

Reiche könnten sich davon vielleicht ein Stück weit herausnehmen, wären aber eben von einer gespaltenen Gesellschaft trotzdem betroffen: "Grundsätzlich werden die Ergebnisse eben für alle schlechter." Besonders auch in Sachen Klima. "Das muss man auf dem Schirm haben." Genauso wie die anderen Wenden, die wir hier nur unzureichend besprechen können. Falls sie also nach einer Wochenendlektüre suchen … 😉

Liebe Grüße
Katja Evers

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