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#162
vom 11. Oktober 2024

Wie der Wald von der CO2-Senke zur Quelle wurde

von Inka Zimmermann
Liebe Lesende,
 
ich berichte jetzt schon eine ganze Weile über das Klimapotenzial unserer Wälder. Weniger CO2 in der Atmosphäre, dafür frische Luft, wertvoller Lebensraum für Tiere und Pflanzen – und schön anzusehen sind sie auch noch. Es ist gewissermaßen eines meiner Lieblingsthemen.
 
Dementsprechend schockiert war ich Anfang der Woche, als die vierte Bundeswaldinventur veröffentlicht wurde. Darin steht, dass Deutschlands Wälder seit 2017 mehr CO2 in die Atmosphäre abgegeben als aufgenommen haben. Sie sind von der CO2-Senke zur Quelle geworden. Wie es dazu kam und warum das die Klimaschutz-Ziele der Bundesregierung aktuell in Bedrängnis bringt, lesen Sie diese Woche.

ZAHL DER WOCHE

Erster!🥇

Beim Kohleausstieg ist Großbritannien. Das Land hat zum Oktober das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet. Damit ist das Vereinigte Königreich das erste westliche Industrieland, das dieses Ziel erreicht hat – nach mehr als 140 Jahren. Das Land gilt als Geburtsort der Kohleverstromung. 2023 lag der Anteil der Kohle am Energiemix noch bei rund drei Prozent. Auf Atomkraft zur Energiegewinnung setzt Großbritannien weiterhin. Die Regierung plant sogar einen Ausbau der Technologie und möchte bis 2050 elf neue Kernkraftwerke bauen. 2023 setzte sich der Energiemix in Großbritannien abseits der Kohle laut der Internationalen Energieagentur (IEA) grob folgendermaßen zusammen: sieben Prozent Kernenergie, 38 Prozent Erdgasverstromung, 36 Prozent Ölkraftwerke (mit Erdölprodukten betrieben), sechs Prozent Wind und Solar, zehn Prozent Biokraftstoffe und Abfälle. Eine untergeordnete Rolle spielt die Wasserkraft mit noch nicht einmal einem Prozent. 

Wie kann der Wald überhaupt eine CO2-Quelle sein? 

Dass unsere heimischen Laub- und Nadelwälder eine Quelle für CO2 sein sollen, klingt zunächst ein wenig paradox. Immerhin nutzen Sie CO2 für die Photosynthese und wandeln das in Sauerstoff um. Der verbleibende Kohlenstoff wird in Form von Zucker und anderen Kohlenstoffverbindungen im Holz gespeichert. Und ist damit unschädlich gemacht. Allerdings natürlich nur für eine gewisse Zeit: Stirbt der Baum, zersetzt sich das Holz langsam. Dabei wandelt sich der Kohlenstoff wieder in CO2 um, das an die Luft zurückgegeben wird. Dieser Prozess dauert mehrere Jahre bis Jahrzehnte. Außerdem gibt es im Wald viele Organismen, die sich am Totholz bedienen und so den enthaltenen Kohlenstoff aufnehmen. Man nennt das den "Kohlenstoff-Kreislauf". Besonders effizient sind solche Kreisläufe in gesunden Ökosystemen: Hier hat jeder Organismus seine Funktion, jedes tote Lebewesen wird von anderen Lebewesen aufgenommen.

Wird das Holz aus dem Wald beispielsweise verfeuert, gelangt der Kohlenstoff sofort zurück in die Atmosphäre. Wird es dagegen als Baumaterial verwendet, bleibt der Kohlenstoff gebunden. Laut der aktuellen Bundeswaldinventur sind derzeit alleine in den Bäumen 1.184 Millionen Tonnen Kohlenstoff gebunden. Insgesamt ist es aber noch ein wenig mehr. Auch Totholz, im Wald liegendes Holz und der Boden speichern zusätzlich Kohlenstoff. Die Grafik zeigt, wie sich die Kohlenstoffspeicher im Wald zusammensetzen.

Seit den Neunzigern konnten die Wälder in Deutschland immer mehr Kohlenstoff speichern. "Bis 2017 war der Zustand im Wald eigentlich sehr positiv", sagt Thomas Riedel. Er arbeitet am staatlichen Thünen-Institut und leitet die Bundeswaldinventur. Man habe es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, den Wald in vielen Teilen klimagerecht umzubauen, den Laubholzanteil zu erhöhen – weg von Nadelwald-Monokulturen – und gleichzeitig den Kohlenstoffvorrat in den Wäldern immer weiter ausgebaut.

Aber in den vergangenen Jahren hat sich der Trend umgekehrt. Von 2017 bis 2022 hat sich der Kohlenstoffspeicher im Wald um drei Prozent reduziert und somit 41,5 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre abgegeben. "Das ist tatsächlich seit Jahrzehnten ein absolutes Novum", betont Forstwissenschaftler Riedel.

Politische Ziele und Realität klaffen auseinander 

Dass unsere Wälder Kohlenstoff freigeben, ist unglücklich, weil sie eigentlich eine wichtige Rolle als Senke einnehmen sollten – so zumindest hatte es die Bundesregierung geplant. Und hier wird es politisch richtig spannend: Bis 2045 soll der Landnutzungssektor, dazu gehören Wälder und Moore, 40 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente speichern. Erst im September wurde ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg rechtskräftig, das die Bundesregierung dazu verpflichtet, für den Landnutzungssektor neue Maßnahmen vorzulegen, mit denen die Klimaziele irgendwie noch erreicht werden können. Bis Ende Oktober müssen die Pläne als Entwurf vorliegen und dann innerhalb von sechs Monaten verabschiedet werden. 

Die Bundeswaldinventur dürfte hier den Druck aktuell noch erhöhen, denn: Sie führt vor Augen, wie weit unsere Wälder davon entfernt sind, die Zielvorgaben zu erreichen. "Davor haben wir als Förster schon seit Jahren gewarnt", erzählt Thomas Riedel. Dass Deutschlands Wälder in den kommenden knapp 20 Jahren diese Kapazität speichern sollen, sei nicht realistisch. "Diese Ziele wären nur zu erreichen, wenn man jetzt quasi einen kompletten Einschlagstop in unseren Wäldern vornehmen würde – also sprich überhaupt kein Holz mehr genutzt würde."

Warum fällen wir überhaupt noch so viele Bäume? 

Aber warum eigentlich wäre das keine Option? Forst-Influencer Peter Wohlleben hat diese Woche in einem Gespräch mit dem WDR die derzeitige Nutzung unserer Wälder als Holzquelle folgendermaßen eingeordnet: "Das ist so, als wenn man einem Schwerkranken noch einen kräftigen Aderlass verschreibt." Aus seiner Sicht müsse man bei der Bewirtschaftung des Waldes kräftig auf die Bremse treten. Die wirtschaftliche Nutzung der Wälder ein wenig reduzieren – da geht Forstwissenschaftler Riedel noch mit. Einen kompletten Einschlagstop findet er aber nicht realistisch: "Das wäre mit einer ganzen Menge Kollateralschäden verbunden. Immerhin hängen ungefähr zwei Millionen Jobs an der Forstwirtschaft", betont er.

Riedel sagt, unsere Wirtschaft befände sich in einem Transformationsprozess hin zu einer Bioökonomie. Der nachwachsende Rohstoff Holz werde dabei eine immens wichtige Rolle spielen. Dafür müssen unsere Wälder immer mehr Holz zur Verfügung stellen – ohne dabei zu sehr beschnitten zu werden. Denn, so führt Riedel an: Holz kann eine wichtige Rolle dabei spielen, klimaschädliche Materialien zu ersetzen, beispielsweise beim Hausbau. Das stehe im Widerspruch zu dem Ziel, den Kohlenstoffspeicher im Wald zu erhöhen. 

Die Zukunft: Waldumbau und Hoffen 🙏

Was können wir also außer einem Einschlagsstop unternehmen, um unsere Wälder wieder zu einer effektiven Kohlenstoffsenke zu machen? Zum einen gilt es, alle Wälder in Deutschland klimawandel-fest zu machen. Das bedeutet beispielsweise, reine Fichten- und Kiefernwälder zu reduzieren. Für Schädlinge wie den Borkenkäfer ist eine von Trockenheit geschwächte Fichtenmonokultur nämlich das ideale Opfer. Hier kann der Käfer sich massenhaft vermehren und von einem Baum zum anderen fliegen. In einem Mischwald mit 30 Prozent Laubbäumen passiert das nicht so schnell, weil sich die meisten Käferarten nur auf eine Baumart spezialisiert haben. Eine gute Mischung im Wald macht also widerstandsfähig gegen Wetterextreme und Schädlinge.

Die aktuelle Bundeswaldinventur zeigt, dass es hier noch immer Potenzial gibt: "Wir haben immer noch nicht klimaresiliente Bestände", sagt Thomas Riedel. Diese müsse man umbauen. Ein Problem dabei dürfte aber auch sein: Von den 11,5 Millionen Hektar Wald in Deutschland sind 48 Prozent Privatwald. Häufig handelt es sich um Eigentümergemeinschaften, diese Leute müssen alle einzeln für den Waldumbau sensibilisiert werden.

Abschließend muss man allerdings auch noch sagen: Wie es für den deutschen Wald wirklich weitergeht, haben wir gar nicht komplett in der Hand. Wenn sich die Klimabedingungen stark verändern, kann an einem gewissen Punkt auch der beste Waldumbau nichts mehr ausrichten. Thünen-Forscher Thomas Riedel erinnert an den Sturm "Lothar", der mit über 200 km/h auf den Schwarzwald traf. "Wenn sich diese Windgeschwindigkeiten in Zukunft noch erhöhen sollten, dann sind alle Baumarten von Schäden betroffen. Das betrifft dann nicht mehr nur die Fichte, sondern genauso die Buche – eigentlich alle Baumarten. Wir wissen, dass künftige Extremereignisse häufiger und verstärkter auftreten werden, als derzeit." Man müsse sehen, ob der Wald unter den veränderten Klimabedingungen noch eine Kohlenstoffsenke werden kann.

Einen Auszug aus der Bundeswaldinventur zum Weiterlesen finden Sie übrigens hier. 

Termine

18. – 20. Oktober – Dresden
In Dresden finden kommendes Wochenende die "Political Art Days" statt. Das Motto in diesem Jahr: Degrowth – Wohlstand ohne Wachstum? Das Programm und weitere Informationen finden Sie hier online. 
Ab Montag, 28. Oktober – Bad Düben
Im NaturparkHaus Dübener Heide gastiert die Foto-Ausstellung "Die Natur kehrt zurück: Naturaufnahmen von Thomas Düntsch". Der Leipziger Fotograf hat beobachtet, wie die Natur sich Wege bahnt, beispielsweise durch das Mauerwerk alter Häuser. Alle weiteren Informationen gibt es hier. 
Mittwoch, 6. November – Leipzig
An dieser Stelle kurz Werbung in eigener Sache: Die Universität Leipzig und das ARD-Kompetenzcenter Klima veranstalten im Vorfeld des Klimagipfels COP 29 in Baku zwei Gesprächsrunden. Es geht um Klimaberichterstattung, aber auch um grundlegendere Fragen. Beispielsweise darum, wie Klimawandel und ökologische Vielfalt zusammenhängen. Die Veranstaltung ist kostenlos im Paulinum der Uni Leipzig am Augustusplatz. Wenn Sie teilnehmen wollen, können Sie sich hier registieren. 

Klima und Menschheit

Flixtrain expandiert in die Fläche 
Der Fernzuganbieter Flixtrain erweitert zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember seine Kooperationen im Regionalverkehr. So solle mehr Menschen Zugang zu dem Angebot ermöglicht werden. Dadurch ist es möglich, mit einem durchgehenden Ticket sowohl örtliche Regional- und S-Bahn-Linien als auch Flixtrain selbst zu nutzen, weshalb auch die europäischen Fahrgastrechte bei Anschlussverlust Anwendung finden. Durch das Verfahren sind bereits seit einiger Zeit Städte wie Jena und Zwickau ans Netz angebunden. Im Zuge der Expansion des Angebots können jetzt auch kleinere Städte in Schleswig-Holstein, Bayern und Südwestdeutschland erreicht werden, aber auch Großstädte wie Kiel oder Würzburg. Flixtrain ist der derzeit einzige private Fernzuganbieter in Deutschland und betreibt fünf Linien, etwa von Dresden nach Aachen oder Leipzig nach Hamburg.
Klage gegen Bohrgenehmigung
Die Deutsche Umwelthilfe hat nach eigenen Angaben gegen eine Bohrgenehmigung zur Gasförderung vor der Insel Borkum Klage eingereicht. "Die Genehmigung des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie ist aus wirtschafts- und klimapolitischer Sicht nicht nachvollziehbar", erklärt der Bundesgeschäftsführer der Organisation, Sascha Müller-Kraenner. Der Verband warnt vor den potenziellen Folgen für die Umwelt. Das niederländische Unternehmen One Dyas will auf niederländischem Hoheitsgebiet eine Gasförderplattform installieren. Die Bohrungen unter dem Meeresboden sollen teilweise auf deutschem Hoheitsgebiet verlaufen, weshalb die deutsche Seite in die Planungen einbezogen wurde. Das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) hatte dagegen keine Einwände erhoben. Der Borkumer Bürgermeister Jürgen Akkermann hatte die Erlaubnis bereits im August dieses Jahres kritisiert. Er verwies darauf, dass die geplanten Bohrungen den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer gefährden könnten und damit die Lebensgrundlagen der Insulanerinnen und Insulaner. 
Anspannung vor dem Klimagipfel COP 29

Vor dem im November anstehenden Weltklimagipfel in Aserbaidschan warnen Wissenschaftler: Der Klimawandel schreitet so schnell voran, wie nie zuvor. Laut einem Report im Fachmagazin BioScience zeigen 25 von 35 Vitalparametern des Erdsystems negative Rekordwerte. Demnach stiegen sowohl die Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energien, als auch die Nutztierhaltung, die Größe der Weltbevölkerung, die Konzentration der Treibhausgase und die gemessenen Durchschnittstemperaturen in Atmosphäre und Ozeanen auf neue Maximalwerte. Die Studie empfiehlt unter anderem einen globalen Preis für CO2-Emissionen, der fossile Energien unattraktiv und Klimaschutz finanzierbar machen soll. Der Klimagipfel COP 29 findet vom 18. bis zum 22. November in Baku statt.

 
Hintergrundinformationen gibt's bei MDR WISSEN. 

ARD, ZDF und DRADIO

Der CO2-Beweis 

Woher weiß man, dass CO2 tatsächlich die Erde aufheizt? Überraschenderweise braucht es dafür gar keine Klimaforschung – die Frage lässt sich bereits mithilfe der Physik beantworten. Video-Empfehlung aus der Reihe "Terra X". 

Klangkunst über die Brände am Amazonas

Dieser Medientipp ist vielleicht ein wenig unkonventionell: Die Komposition "Ash Noise" macht Zerstörung und Widerstand am Amazonas  hörbar.

Hessen in 15 Jahren 

Unsere Kolleginnen und Kollegen vom hr haben untersucht, wie sich Frankfurt bis 2039 verändern wird. Die spannenden Ergebnisse gibt es jetzt online.

👋 Zum Schluss

Es tut mir leid, wenn ich Ihnen mit diesem Klima-Update nicht unbedingt Hoffnung gemacht habe. Auch bei mir überwiegen ehrlicherweise gemischte Gefühle, wenn ich daran denke, wie hoch gesteckt die Ziele für die CO2-Senke Wald sind – und wie weit entfernt davon die Realität aktuell ist.

Was mich dennoch hoffnungsvoll stimmt, ist zum Beispiel eine junge Försterin, die ich 2022 für zwei Tage im Thüringer Wald begleiten durfte. Die Unermüdlichkeit und der Optimismus, mit dem sie gegen die Ausbreitung des Borkenkäfers in "ihrem" 3.000 Hektar großen Wald kämpft, haben mich sehr beeindruckt. Den entsprechenden Film dazu können Sie sich hier in der ARD-Mediathek ansehen.

Haben Sie ein schönes Wochenende 🍃

Inka Zimmermann 

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