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#156
vom 30. August 2024

Wann ist Klimapolitik effektiv? 

von Inka Zimmermann 
Liebe Lesenden,
 
in Sachsen und Thüringen wird am Sonntag gewählt – und auch aus Klimaperspektive ist diese Wahl spannend. Was die Parteien in Sachen Klima planen, lesen Sie hier für Sachsen und hier für Thüringen. 

Darüber hinaus stellt sich aus meiner Sicht aber auch angesichts der Wahlen die Frage, welche der versprochenen Klima-Politiken überhaupt effektiv CO2 einsparen werden. Eine aktuelle Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hat 1.500 Klimapolitik-Maßnahmen von 1998 bis 2022 untersucht. Als erfolgreich wurden lediglich 63 von ihnen eingestuft. Wir haben aus den Ergebnissen vier Learnings für eine effektivere Klimapolitik abgeleitet.

ZAHL DER WOCHE

1.700

… Meter tief liegt der Wasserstoffspeicher, mit dem die Firma Uniper in den kommenden zwei Jahren testen will, wie Materialien und Technik mit dem Gas zurechtkommen. Der Tank im ostfriesischen Krummhörn fasst 3.000 Kubikmeter und liegt in der Nähe des geplanten Wasserstoffpipeline-Kernnetzes. Die Erstbefüllung des Wasserstoffspeichers ist für Ende September geplant – dann soll CO2-neutral hergestellter ("grüner") Wasserstoff mit Tankwagen angeliefert werden. Nach Ansicht von Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies könnte das Vorhaben eine Schlüsselrolle beim Hochlauf der deutschen Wasserstoffwirtschaft spielen.

Vier Learnings für effektivere Klimapolitik

Die aktuelle Studie des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung versucht, Klimaschutz-Maßnahmen einzelner Nationen mit realen "CO2-Brüchen" in Verbindung zu bringen. Haben sich die Emissionen in einem bestimmten Wirtschaftssektor eines bestimmten Landes schlagartig verändert, so haben die Forschenden untersucht, ob sich die Veränderung mit politischen Maßnahmen, die vorher in diesem Land stattfanden, in Verbindung bringen lässt. So gelang es, besonders erfolgreiche Politiken mit großen Effekten in der realen Welt zu identifizieren. Aus diesen erfolgreichen Politiken lassen sich neue Erkenntnisse darüber gewinnen, was in der Klimapolitik funktioniert – und was nicht.  

1. Viel hilft nicht immer viel 

23 Milliarden Tonnen CO2 muss die Weltgemeinschaft laut den Vereinten Nationen bis 2030 einsparen – und zwar zusätzlich zu den Zielen, die sich die einzelnen Staaten bereits gesetzt haben. Das schreit nach mehr Klimaschutz-Maßnahmen auf allen politischen Ebenen. Moritz Schwarz ist Klimaökonom und einer der Autoren der aktuellen PIK-Studie. Er gibt zu bedenken: "Nur etwas anzukündigen oder umzusetzen führt nicht zwangsweise zu den gewünschten Effekten." Wenn man national und international Treibhausgasneutralität erreichen wolle, müsse man sich auch ansehen, mit welchen Instrumenten man das schaffen wolle.

Die Studie identifiziert vier politische Instrumente, die in der Klimakrise die wichtigsten Rollen spielen (hier aus dem Englischen übersetzt): Subventionen und Förderungen, Bepreisung, Verbote und Vorschriften sowie Informationskampagnen. Obwohl in der medialen Diskussion gerne mal Ausdrücke wie "Verbotspartei" fallen, spielen Verbote in der Klimapolitik tatsächlich eher eine untergeordnete Rolle. Moritz Schwarz sagt: "Wir sehen in unserer Sammlung von Maßnahmen nur wenige Verbote. Regierungen verbieten sehr selten etwas, oft versucht man eher, den Weg zu einem politischen Ziel ein wenig zu regulieren."

2. Bepreisung wirkt 

Ein politisches Instrument, das in der Studie in allen 41 Nationen sehr erfolgreich war, ist die Bepreisung fossiler Energieträger. "Den ökonomischen Anreiz richtig zu setzen, scheint eine Wirkung zu haben und ein essentieller Bestandteil einer funktionierenden Klimapolitik zu sein", betont Klimaökonom Schwarz. International spielt die Bepreisung fossiler Energieträger dennoch eher eine untergeordnete Rolle. Von den 1.500 untersuchten Politik-Maßnahmen der vergangenen 20 Jahre waren nur 116 als Bepreisung einzuordnen. Unter den marktbasierten Politiken waren Subventionen deutlich beliebter, wie die Studie ermittelt hat.  

3. Es kommt auf den Mix an 

Eine einzelne Klimaschutz-Maßnahme kann wirken, aber besonders erfolgreiche Klimaschutz-Maßnahmen sind häufig Kombinationen aus unterschiedlichen politischen Instrumenten. "Wir sollten uns immer ansehen, wie wir vielleicht auch politische Instrumente kombinieren können", erläutert Moritz Schwarz. Wenn man beispielsweise neue Standards für die Industrie vorgebe, müsse man sich überlegen, wie diese Standards dann auch umgesetzt werden können und wo gezielte Förderungen hilfreich sein könnten.

Die Grafik zeigt, wie die Kombination von politischen Maßnahmen in diversen Sektoren wirken kann. Dort, wo sich die Kreise überlagern, wurden mehrere Maßnahmen in einem politischen Programm vereint. Zu sehen sind ausschließlich Modelle aus den Industrienationen, die in der Studie untersucht wurden. In Entwicklungs- und Schwellenländern sieht es mitunter etwas anders aus, aber auch in diesen Ländern haben kombinierte Maßnahmen einen hohen Anteil an der Vermeidung von CO2-Emissionen.

Die Prozent-Anteile in der Grafik zeigen, welchen Anteil die jeweilige Klimaschutz-Maßnahme an der Gesamtmenge erfolgreicher Politiken in dem entsprechenden Sektor hatte. 

Ein Beispiel für eine besonders erfolgreiche Kombination von Maßnahmen sei der britische Stromsektor, sagt Moritz Schwarz. 2013 habe man dort einen CO2-Mindestpreis eingeführt, der die Emissionen in diesem Sektor massiv verringert habe. Durch die CO2-Bepreisung sei es gelungen, den Kohlestrom quasi aus dem Strommix "herauszupreisen" – geschafft habe man das allerdings nur, weil es ergänzende Maßnahmen gegeben habe. Die britische Regierung habe stark auf erneuerbare Energien gesetzt, dafür Förderungen entwickelt und Maßnahmen der Regulierung umgesetzt, die einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hätten, den gesamten Sektor zu dekarbonisieren. Klimaökonom Schwarz sagt, aus seiner Sicht sei dieses Modell auch für den deutschen Sektor relevant, quasi ein Vorbild.

Auch aus Deutschland gibt es zwei Beispiele für besonders effektive Klimapolitik, beide im Verkehrssektor: Hier hat man 1999 mit der Öko-Steuerreform die Emissionen in dem Sektor um sieben Prozent gesenkt. Damals wurden Anreize gezielt so gesetzt, dass die Menschen leichtere und sparsamere Fahrzeuge kauften. 2005 gelang es dann mit der LKW-Maut, die Emissionen nochmals um elf Prozent zu senken – ein Effekt, der langfristig anhielt.

Was bei der Kombination verschiedener Politik-Maßnahmen außerdem wichtig ist: Sie muss adaptiv sein, also sich anpassen und die Gegebenheiten in verschiedenen Wirtschaftssektoren und Nationen berücksichtigen. Die Studie zeigt auch, wie unterschiedlich verschiedene Wirtschaftssektoren in diversen Ländern funktionieren. Wer gute Politik machen will, muss die entsprechenden Vorbedingungen genau kennen und sich daran adaptieren, was möglich ist und was nicht. Moritz Schwarz sagt, er fände es unter diesem Gesichtspunkt wichtig, noch mehr Daten aus Ländern auf dem afrikanischen oder asiatischen Kontinent  zu erfassen. Große Entwicklungsländer wie China, Indien und Südafrika seien zwar im Vergleich zu Vorstudien erstmals beachtet worden, würden sich aber mitunter stark von den Industrienationen unterscheiden und seien in der Studie weiter unterrepräsentiert.

4. Soziale Komponenten mitdenken 

Moritz Schwarz betont, Parteien müssen sich bewusst sein, dass viele Ängste und Bedenken von Bürgerinnen und Bürgern mitunter durchaus berechtigt seien. "Wenn ich keine Alternativen habe, um beispielsweise auf den ÖPNV umzusteigen oder keine Möglichkeiten, klimafreundlich zu heizen, dann sind das natürlich berechtigte Bedenken." Die Politik dürfe aus seiner Sicht nicht vergessen, dass die Maßnahmen auch immer soziale und gesellschaftspolitische Konsequenzen haben. "Gerade, wenn ich speziell einkommensschwache Haushalte treffe, muss ich mir Gedanken machen, wie ich hier die Effekte abfedere."

Termine

Freitag, 30. August bis Sonntag 1. September – Jena 
Im Fledermauscamp des Nabu beantworten Experten alle Fragen zu den nachtaktiven Säugetieren. Außerdem werden Fledermauskästen gebaut. Mehr Informationen gibt's auf den Seiten des Nabu Thüringen. 
Ab Freitag, den 30. August – Leipzig 
Wie radfreundlich die Stadt Leipzig ist, können Sie beim diesjährigen Stadtradeln prüfen. Bis zum 19. September findet der Wettbewerb statt. In drei Wochen sollen so viele alltägliche Kilometer wie möglich mit dem Rad zurückgelegt werden. Alles Weitere auf den Seiten der Stadt Leipzig. 
 
Das Stadtradeln findet nicht nur in Leipzig statt, auch viele andere Städte deutschlandweit sind dabei. Zum Beispiel Querfurt, Jena, Bernburg und viele mehr. 
Donnerstag, 19. September – Leipzig 
Die Diplom-Volkswirtin Anny Hartmann ist mit ihrem Comedyprogramm "Die Klima-Ballerina" im Kabarett Academixer und erklärt wirtschaftliche und politische Zusammenhänge in der Klimakrise. Mehr Infos hier. 

Klima und Menschheit

Schlechte Ernte dank dem Klimawandel  
Das Bundesagrarministerium hat seinen jährlichen Bericht veröffentlicht. Der Bericht zeigt, dass die deutsche Ernte in diesem Jahr vorraussichtlich unterdurchschnittlich ausfallen wird. Fast alle Agrarbereiche haben schlechte Prognosen. So fällt beispielsweise die Getreideernte mit 34,5 Millionen Tonnen in diesem Jahr vorraussichtlich um neun Prozent geringer aus als im Vorjahr. Die Flächen für den Kartoffelanbau wurden zwar um neun Prozent gestiegert, dennoch erwartet das Bundesagrarministerium Einbußen von sechs Prozent in diesem Bereich. 
 
Hintergründe gibt's hier auf den Seiten der tagesschau. 
Der Deutsche Umweltpreis geht an Moorforschung und E-Auto-Aufladung 
Die Entwicklung eines Hochleistungs-Ladesystems für Elektroautos und der Einsatz für die Renaturierung von Mooren werden in diesem Jahr mit dem Deutschen Umweltpreis gewürdigt. Die mit insgesamt 500.000 Euro dotierte Auszeichnung bekommen der Elektrotechnik-Ingenieur Thomas Speidel aus Nürtingen bei Stuttgart und die Moorforscherin Franziska Tanneberger aus Greifswald, wie die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) mitteilte. Speidel habe als Gründer und Geschäftsführer seiner ads-tec Energy innovative Hochleistungssysteme entwickelt, die unter anderem das Aufladen von Elektroautos innerhalb von Minuten ermöglichten, hieß es. Tanneberger gilt laut DBU als treibende Kraft bei der Revitalisierung und Wiedervernässung von Mooren. Natürliche und nasse Moore spielen eine wichtige Rolle beim Klimaschutz, weil sie der Atmosphäre Kohlendioxid entnehmen und ihn speichern.
Alpen-Berghütten haben Wassermangel 

Der Klimawandel macht den Hüttenbetreibern des Deutschen Alpenvereins (DAV) immer mehr zu schaffen. Steigende Temperaturen im Gebirge und zunehmender Wassermangel erschweren den Betrieb der hoch gelegenen Unterkünfte, wie Robert Kolbitsch, Ressortleiter Hütten und Wege beim DAV-Bundesverband in München, sagte. Von den rund 200 bewirtschafteten DAV-Hütten gebe es bereits bei rund 10 Prozent akuten Handlungsbedarf - Tendenz steigend. Entweder, weil die Wasserversorgung langfristig nicht mehr sichergestellt sei oder auch, weil die Energieversorgung nicht mehr im gleichen Umfang möglich sei wie bisher. Eine Hütte, an der sich die Auswirkungen des Klimawandels in den Alpen besonders deutlich zeigen, liegt auf rund 2.800 Metern über dem Meeresspiegel in den Hohen Tauern in Österreich: Die Neue Prager Hütte musste zum dritten Mal in Folge vorzeitig schließen, da den Betreibern das Wasser ausging.

ARD, ZDF und DRADIO

Das Klima im Kohleland 

Klimaforscher drängen auf eine schnellere Energiewende - doch vielen Menschen geht es schon jetzt zu schnell. Das zeigt sich vor allem in der Braunkohleregion im Süden Brandenburgs. 

Mit Apps gegen den Klimawandel 

Weniger fliegen, weniger Fleisch essen, Energie sparen - kann alles helfen gegen das eigene Ohnmachtsgefühl in der Klimakrise. Unsere Reporterin Nadja Mitzkat hat mithilfe der App "Earth Hero" ihre Ernährung umgestellt und versucht Energie zu sparen.

Heißer Spätsommer: Ist das die neue Normalität?

Der Spätsommer 2024 zeigt sich sonnig, heiß und hochsomerlich. Kurz vor Freibadschluss stellt sich die Frage: Dürfen wir uns auf lange Sommer einstellen? Ein Blick auf neue Daten.

👋 Zum Schluss

Im Vorfeld der Wahlen in Sachsen und Thüringen versprechen diverse Parteien, sich für den Klimaschutz zu engagieren. Andere werben damit, Klimaschutzmaßnahmen reduzieren zu wollen. Klimaökonom Moritz Schwarz betont an dieser Stelle: "Wir sind bereits auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität." Die gesamte Welt sei auf diesem Kurs, das könne man auf regionaler Ebene oder nationaler Ebene vielleicht noch ein paar Jahre in Frage stellen, aber eigentlich gebe es kein Ausweichen. "Wenn wir jetzt nicht Strategien entwickeln, wie wir als starker Wirtschaftsstandort dahin kommen, dann werden wir langfristig nicht viel gewinnen."  

Ich wünsche Ihnen ein schönes (Wahl-)Wochenende. 

Inka Zimmermann

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