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vom 09. August 2024

Landtagswahlen: Wer darf hier eigentlich was beim Klima? 

von Katja Evers
Liebe Lesende,

wenn Landespolitik auf Bundespolitik trifft, ist bei mir das Augenrollen eigentlich vorprogrammiert. Es wird gezankt wie im Kindergarten. Darum, wer bestimmen darf. Darum, dass man etwas haben möchte, was ein anderer hat. Oder darum, dass sich irgendjemand übergangen fühlt. Zuletzt bei der Krankenhausreform oder beim Deutschlandticket.
 
Schon die Profis scheinen oft Probleme dabei zu haben, die Kompetenzen genau zuzuweisen, die Laien erst Recht. Nicht immer unpraktisch, denn bei Landtagswahlen lassen sich dadurch auch mal Themen der Landespolitik mit der des Bundes, die dem Wähler oft präsenter sind, vermischen.
 
Mit zwei anstehenden Landtagswahlen – in Thüringen und Sachsen – wird es also höchste Zeit, einen Blick darauf zu werfen, was die Länder in Sachen Klimapolitik eigentlich bewirken können und wo das ein oder andere Wahlprogramm die Grenzen des juristisch machbaren überschritten hat.
 
Erst aber wie gewohnt zur …

ZAHL DER WOCHE

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... Prominente aus der Klimaszene haben in einem offenen Brief ihre Unterstützung für die US-Präsidentschaftskandidatur von Kamala Harris angekündigt. Darunter der ehemalige Außenminister und Klimabeauftragte John Kerry oder die ehemalige Leiterin von Greenpeace USA. Im Brief loben die Unterzeichnenden den Einsatz von Harris für den Klimaschutz. So habe sie sich als Generalstaatsanwältin von Kalifornien mit großen Ölkonzernen wegen ihrer irreführenden Aussagen zum Klimawandel angelegt, sich als Senatorin für das Ziel eingesetzt, bis 2045 Netto-Null-Emissionen zu erreichen und als Vizepräsidentin die USA im Kampf gegen den Klimawandel zurück auf Kurs gebracht. Ein Lob, das zwar nicht alle so überschwänglich verteilen. Im Hinblick auf Harris‘ Gegner Trump sind sich viele aber einig: Die Wahl für oder gegen Harris wird auch eine Wahl für oder gegen das Klima. 

Länder vs. Bund: Warum es tatsächlich nicht so einfach ist

Wir Deutschen neigen dazu, es uns schwer zu machen. Dazu gehört auch der Föderalismus. Denn so positiv es oft ist, die Macht nicht gebündelt zu haben, so unglaublich verwirrend und undurchsichtig ist es oft in der Praxis. 

Kleine Kostprobe gefällig? Bei der Gesetzgebung gibt es Bereiche, die sowohl den Ländern als auch dem Bund zustehen. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nennt man das und heißt vereinfacht nichts anderes als: Was der Bund nicht schon geregelt hat, dürfen die Länder regeln. 

In Sachen Klimaschutz gehört dazu beispielsweise das Recht der Energiewirtschaft. Und damit beginnt der Spaß: Um die „Lücken“ für die Länder zu finden, müssen diese die Gesamtheit aller Bundes-Regelungen zur Energiewirtschaft betrachten. Und die stehen im Energiewirtschaftsgesetz, im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, im Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, im Energiesicherungsgesetz, dem Bundesberggesetz, im Energiesteuergesetz und so weiter … Auch gestandene Juristen blicken nicht unbedingt durch. 

Abseits dieser Grauzonen gibt es aber auch Themen, die ganz klar Bundessache sind. Welche das sind, warum sie trotzdem in dem ein oder anderen Wahlprogramm auftauchen und was die Länder wirklich für den Klimaschutz tun können. Das schauen wir uns jetzt mal an. Kleiner Spoiler: Die vielleicht wichtigste Stellschraube taucht in keinem der Wahlprogramme auf. 

Ein Schritt zu viel: Wo die Länder Kompetenzen überschreiten

Als einfache Faustregel können Sie sich Folgendes merken:  EU-Recht steht über dem Bundesrecht (oder hat zumindest Vorrang), Bundesrecht steht über dem Länderrecht. "Länder und Kommunen dürfen primär dort etwas regeln, wo die höheren Ebenen EU und Bund ihnen Spielräume gelassen haben", sagt Felix Ekardt – Jurist, Soziologe, Philosoph, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Vorsitzender des BUND-Landesverbandes Sachsen.

Den übergeordneten Gesetzen zuwiderhandeln dürfen die Länder dabei nicht. Klingt logisch, wird aber nicht unbedingt auch so kommuniziert. Die beiden Wahlprogramme der AfD lesen sich in Sachen Klimaschutz jedenfalls wie eine Beispielliste ebensolcher Zuwiderhandlungen: Sachsen vor der EU-Klimapolitik schützen, den Ausbau von Windrädern verhindern oder aber Erdgas aus Russland importieren.

Übrigens: Auch die Frage nach einem Atommüllendlager, dass die Thüringer Linke und die BSW aus Thüringen fernhalten wollen, liegt eigentlich im Zuständigkeitsbereich des Bundes. Der ist per Grundgesetz ausschließlich für die Beseitigung radioaktiver Stoffe zuständig. Die Länder könnten aber Zuarbeit liefern, um es unmöglich zu machen oder zu verzögern, etwa durch Gutachten, meint Jasper Finkeldey, Politikwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg. 

Dass Parteien im Landtagswahlkampf Bundesthemen aufgreifen, sieht er in allen politischen Lagern. Auch in vermeintlich harmlosen Formulierungen: "Also zum Beispiel schreiben die Grünen in ihr sächsisches Wahlprogramm: Sachsen hilft beim Wiederaufbau der Ukraine." Auch das würde den Eindruck vermitteln, dass nur Sachsen allein einen großen Beitrag leisten könne. Eine bewusste Taktik für die Wähler: "In gewisser Weise möchte ich [als Wähler] da so ein bisschen Konfetti. Ich möchte auch, dass Wahlkampf irgendwie spannend ist und vielleicht auch über das hinausgeht, was er eigentlich tatsächlich ist."

Und Sie? Vielleicht beobachten Sie sich jetzt einfach einmal selbst, wie viel Konfetti Sie brauchen. Hier kommt das, was die Länder tatsächlich tun können. 

Klein, aber fein: Wo die Länder sich fürs Klima einsetzen können

Für Wahlplakate eignen sich die meisten Themen schon mal nicht: Statt "Windkraft stoppen" wäre eher die Formulierung "Abstandsregeln für Windräder (ungünstig) verändern" richtig. Oder statt "Klima retten" eher "mehr Regeln für energiesparende Heizungsanlagen schaffen". Klingt natürlich alles deutlich unattraktiver. In den Wahlprogrammen finden sich aber einige der Landesthemen dann doch. Freiflächen für die Photovoltaik wollen zum Beispiel bis auf die AfD alle großen Parteien in beiden Ländern schaffen. Auch Bauvorschriften zur Energieeinsparung finden sich als Versprechen bei einzelnen Wahlprogrammen wieder – etwa bei den Thüringer Grünen, der sächsischen FDP und SPD sowie der Thüringer BSW (hier allerdings nur für kleine und mittelständische Unternehmen).

Die Kompetenz der Länder liegt bei den kleinen Stellschrauben, die das Gesamtkonstrukt halten und die die auf höchster Ebene getroffenen Entscheidungen auch umsetzbar machen. Etwa beim Aus fossiler Brennstoffe, erklärt Felix Ekardt: "Das erfordert, dass die Kommunen beispielsweise den Nahverkehr ausbauen. Das erfordert, dass die Kommunen sich mehr Gedanken machen über kurze Wege von Arbeiten und Wohnen, dass also die Bauleitplanung und Verkehrsplanung anders erfolgt. Und so etwas liegt juristisch auf der kommunalen Ebene und kann auch nur in Kenntnis aller Umstände vor Ort bewirkt werden."

Auch Jasper Finkeldey sieht den größten Vorteil der Länder in der Ortskenntnis und der Nähe zu den Menschen. Das sei gerade auch für das Gefühl der Menschen, mehr beteiligt zu sein, entscheidend. Gerade in Sachen Klima gebe es zunehmend eine Internationalisierung von Politik und damit vielleicht auch oft ein Gefühl der Ohnmacht. Ein Gefühl, dass eigentlich auch nur ein Gefühl ist, denn die Länder haben durchaus großen Einfluss. Da sind sich Politikwissenschaftler und Jurist einig. Für Felix Ekardt ist sogar die wichtigste Maßnahme eine, die in keinem der Wahlprogramme vorkommt.

Haltung ist alles: Die verkannte Macht der Länder

Der Erfolg vieler Rechtsakte oder um es weniger sperrig auszudrücken, der Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse sind nämlich von der Haltung der Länder abhängig, so Felix Ekardt. Also, ob sie Gesetze mittragen oder verhindern wollen. In Deutschland hätte das einen direkten Einfluss, denn einige Gesetze müssten erst durch den Bundesrat abgesegnet werden, in dem die einzelnen Landesregierungen vertreten sind.
 
Und auch ohne direkte Vetomacht würden Länder gehört. Jasper Finkeldey nennt etwa den Kohleausstieg: "Das hat das Land natürlich nicht alleine zu entscheiden. Und wenn man jetzt den Ausstieg vom Ausstieg haben wollte, dann wäre es schwierig. Aber es hätte natürlich eine große Signalwirkung, wenn ein Land, was eben noch Kohle fördert, sich jetzt dagegenstellt." Gleiches gilt laut Felix Ekardt auf der EU-Ebene: "Je mehr Widerstand aus der Fläche, aus den Regionen kommt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die EU ausreichend ambitionierte Maßnahmen angreift." Oder umgedreht, wenn alle dabei sind, gibt es keinen Grund, es nicht zu tun.

Im Moment scheinen wir davon aber weit entfernt. Felix Ekardt spricht von einer oft gezeigten Blockadehaltung der Länder und auch Jasper Finkeldey bestätigt das Gefühl, dass man in der Öffentlichkeit bekommt: Länder und Bund laufen oft gegen- statt miteinander. Nicht zuletzt durch die Frage der Kompetenz. 

Termine

Mittwoch, 21. August – Leipzig
Das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung lädt zu einem Vortrag über die Verwundbarkeit von Ökosystemen im Hinblick auf Extremereignisse und Störungen in einem sich ändernden Klima. Mehr Infos dazu
Sonntag, 11. August – Sachsen/Thüringen
Bis zu diesem Tag sollten Sie ihre Wahlbenachrichtigung für die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen erhalten haben. Wer per Brief wählen möchte, sollte dies schnellstmöglich beantragen und bis spätestens Mittwoch vor der Wahl (28.08) abschicken. 

Klima und Menschheit

Straßenlaternen machen Baumblätter ungenießbar
Und zwar für Insekten. Das fanden chinesische Forscher heraus. Demnach nutzten einige Bäume das Licht der nächtlichen Straßenbeleuchtung, um ihre Blätter ungenießbar für bestimmte Insekten zu machen. Die auf die Blätter angewiesenen Spezies finden dadurch in Städten keine Nahrung mehr, was die Insektenvielfalt in urbanen Regionen reduziert. Gezeigt hatte das eine Analyse von über 5.500 Blättern, die die Forschenden an rund 30 Probeorten von zwei Baumarten gesammelt hatten. Beide Baumarten hatten deutlich härtere Blätter, wenn sie nächtlichem Straßenlicht ausgesetzt waren. Derart verstärkte Blätter wiederum zeigten weniger Fraßspuren. Mehr dazu
Waldschäden verändern CO2-Bilanz von Teilen des Amazonas-Regenwaldes
Der südliche Amazonas-Regenwald stößt durch Waldschäden mittlerweile deutlich mehr CO2 aus, als er aufnimmt. Das ergibt sich aus der Auswertung von Luftaufnahmen in den brasilianischen Bundesstaaten Rondônia, Mato Grosso und Pará in den Jahren 2016 bis 2018. Wie die Studie unter Leitung von Ovidiu Csillik vom California Institute of Technology in Pasadena zeigt, sind mehr als ein Fünftel der untersuchten Fläche von Waldschäden betroffen. Fast ein Viertel davon sind auf den Menschen zurückzuführen – etwa durch Holzfällung Landwirtschaft oder Feuer. Daneben hinterließ auch heftiger Wind deutliche Spuren. Die Schäden auf der übrigen Fläche führt das Team auf kleinere natürliche und menschengemachte Störungen zurück, die nicht mit hoher Sicherheit identifiziert werden konnten. Weitere Infos
Grundwasserpegel in Südeuropa stabiler als erwartet
Das ist das Ergebnis einer neuen Studie von Forschenden des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig-Halle. Und das trotz zunehmender Trockenheit. Das Team um den Hydrologen Seifeddine Jomaa analysierte die Entwicklung der Wasserpegel in über 12.000 Grundwasserbrunnen in Portugal, Spanien, Frankreich und Italien in den Jahren 1960 bis 2020. Demnach weisen 68 Prozent der Brunnen in den vergangenen 30 Jahren stabile Werte auf. Nur bei 12 Prozent der Brunnen fielen die Grundwasserspiegel, bei 20 Prozent stiegen sie sogar. Verantwortlich dafür sei einerseits die Nähe zu großen Städten, andererseits die Landwirtschaft, so die Forschenden. Mehr dazu

ARD, ZDF und DRADIO

Streit um Trinkwasser

Warum und wieso er auch in Deutschland längst begonnen hat. 

Ist grünes Fliegen möglich?

Oder müssen wir auf Dauer verzichten? Dieser Frage geht die Doku nach.

Wie wir Arten schützen

Das zeigt die Doku, etwa durch das Beispiel brasilianischer Farmer, die mit Naturschützern kooperieren. 

👋 Zum Schluss

Die Wahlprogramme und -plakate sind für die Wähler und die Wahl gedacht. Ob die Punkte juristisch überhaupt umsetzbar sind, interessiert da oft wenig. Stichwort Konfetti! Ich will Sie deshalb ermutigen, genauer hinzuschauen und den Glitzer wegzuwischen – in den Wahlprogrammen (die haben meine Kollegen und Kolleginnen von MDR Aktuell hier für Sie wunderbar zusammengefasst) als auch in anderen Bereichen.
 
Ein hilfreiches Tool etwa ist "Was nützt..." von Klimafakten. Dort finden Sie in kleinen Faktenchecks den aktuellen Stand der Forschung zu verschiedenen Klimaschutzlösungen – sowohl jene, die in der breiten Öffentlichkeit als unbrauchbar abgestempelt werden, obwohl die Forschung sie als sinnvoll erachtet, als auch jene, die hoch gelobt werden, obwohl sie wissenschaftlich gesehen noch nicht ausgereift sind. 

Nur so können wir in der Gesellschaft auch konstruktive Debatten führen. Eine Fähigkeit, die wir in einer Demokratie, speziell im Hinblick auf Wahlen, nicht hoch genug halten können.

Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
Katja Evers

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