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#147
vom 28. Juni 2024

Krankenhäuser: Die extra CO2-Infusion für unseren Planeten? 

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von Inka Zimmermann

Liebe Lesende,

ich habe diese Woche eine kleine Müllsammlung gemacht. Auf dem Foto sehen Sie alle Abfälle, die bei mir aus medizinischen Gründen entstanden sind. Darunter viel Einwegplastik, Metallnadeln und häufig auch Elektroschrott.

Ich habe Diabetes Typ 1, was bedeutet, dass ich für die Kontrolle meiner Blutzuckerwerte auf diverse medizinische Einmalartikel angewiesen bin. Dass es die Technik gibt, hat mein Leben ganz wesentlich verbessert – aber ich ärgere mich häufig darüber, wie verschwenderisch die Hersteller dieser Medizinprodukte mit Plastikteilen und Wegwerf-Elektronik umgehen. Während sonst jeder Einweg-Kaffeebecher eingespart wird, scheint Nachhaltigkeit hier überhaupt kein Thema zu sein. Das gilt im Kleinen wie im Großen: Das Berliner-Charité-Klinikum produziert jeden Tag rund 27 Tonnen Abfall. Und unser gesamtes Gesundheitssystem in Deutschland ist einer Studie zufolge für 5,2 Prozent des nationalen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Damit spielt es in einer ähnlichen Liga wie Flug- oder Schiffsverkehr. Warum es so viel ist und wie sich die Medizin nachhaltiger gestalten ließe – dazu gleich mehr.

ZAHL DER WOCHE

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… Prozent der Befragten in Deutschland stimmten in einer aktuellen Umfrage des SINUS-Instituts der Aussage zu, Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz seien sozial ungerecht, da sie vor allem Geringverdienende belasten. Viele Menschen gaben außerdem in der Befragung eine hohe Bereitschaft an, selbst Maßnahmen zum Klimaschutz umzusetzen, schätzten aber gleichzeitig die Bereitschaft anderer Menschen eher gering ein. Die Befragung wurde im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt, die weitere Ergebnisse auf ihrer Website veröffentlicht hat. 

Ist Gesundheit nicht wichtiger als CO2 sparen? 

Wären alle Gesundheitssysteme auf unserem Planeten zusammengenommen ein Land, dann wären sie auf Platz fünf der Länder mit dem größten CO2-Ausstoß. 4,4 Prozent der weltweiten Emissionen sind ihnen zuzurechnen. Der Anteil, den das Gesundheitswesen am nationalen CO2-Ausstoß hat, variiert zwischen den einzelnen Ländern stark – und korreliert damit, wie viel ein Land für die Gesundheitsversorgung ausgibt. Sollte man hier also wirklich sparen? Schließlich werden die oben gezeigten Einmalplastikartikel ja hauptsächlich aus Hygienegründen verwendet. Um die Frage zu beantworten, schauen wir uns zunächst einmal an, woraus sich der hohe CO2-Impact unseres Gesundheitssystems so zusammensetzt.

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💉 Medizinprodukte und ihre Lieferketten 

Das ist der größte Batzen: 71 Prozent der mit unserem Gesundheitssystem verbundenen Emissionen entstehen an diesem Punkt, sie sind einer Behandlung also eher vor- und nachgelagert. Auch die erwähnten Versorgungsartikel für Typ 1-Diabetiker zählen beispielsweise dazu. Treibhausgase entstehen in dieser Kette an vielen Punkten, angefangen beim Raffinieren von Erdöl, das dann zur Plastikherstellung weiterverwendet wird. Besonders stark wirken sich an dieser Stelle auch Einwegartikel aus, die häufig in Asien hergestellt werden – was weite Transportwege zur Folge hat. Diese können die Emissionen eines Produktes gerne mal vervielfachen.  

🤕 Emissionen, die von Krankenhäusern und Co. direkt verursacht werden 

Das entspricht circa 17 Prozent der weltweiten Emissionen aus dem Gesundheitssystem. Hier tragen mitunter auch die verwendeten Narkosegase enorm zum Klima-Impact bei. Beispielsweise das häufig verwendete Gas Desfluran. Es hat schätzungsweise eine 2.450 Mal stärkere Treibhauswirkung als CO2. Eine siebenstündige Operation, bei der Desfluran verwendet wird, hat in etwa die gleiche Klimabilanz wie eine Autofahrt von Deutschland nach China (es wird mit 8.000 Kilometern gerechnet). In Schottland und England ist Desfluran sogar verboten – in Deutschland aber weiterhin erlaubt.

Auch bildgebende Diagnostik wie CT und MRT tragen wesentlich zum Klima-Impact eines Krankenhauses bei: Im Schnitt liegen die Emissionen bei MRT und CT bei 17,5 kg und 9,2 kg je Scan.

🏥 Emissionen, die indirekt von Krankenhäusern und Co. verursacht werden 

Das sind rund 12 Prozent der Gesamtemissionen. Dazu zählen beispielsweise der CO2-Impact des im Krankenhaus genutzten Stromes sowie Kühlung und Heizung.

Kleine Anmerkung: Die genannten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2014.

Nachhaltigkeit ist auch eine finanzielle Frage 

Trotz des wesentlichen Klima-Impacts, den der Gesundheitssektor hat, scheint das Thema Nachhaltigkeit erst langsam dort anzukommen: Im Januar dieses Jahres veröffentlichte das Deutsche Krankenhaus-Institut den "Klinik Report Nachhaltigkeit", mit dem Ergebnis: 44 Prozent der Krankenhäuser haben sich bereits mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, 50 Prozent nur "ansatzweise", sechs Prozent planen immerhin, dies zu tun. Was einer besseren Klimabilanz laut den Krankenhäusern selbst im Wege steht: fehlende finanzielle Anreize und mangelnde Personalressourcen. Der Deutsche Ärztetag hat sich bereits 2021 dafür ausgesprochen, dass das gesamte Gesundheitswesen bis 2030 klimaneutral werden soll.

Es gibt auch durchaus Krankenhäuser, die bereits versuchen, ihre Emissionen zu reduzieren. Ein Beispiel ist das Charité-Krankenhaus in Berlin. Dort hat man beispielsweise das klimaschädliche Narkosegas Desfluran durch eine weniger schädigende Alternative ersetzt. Im Energiebereich sorgt ein kleines Blockheizkraftwerk für eine bessere Bilanz, außerdem wird eine große Photovoltaik-Anlage aufs Dach gebaut. Dennoch fehle für viele sinnvolle Klimaschutz-Maßnahmen das Geld, erklärt Nachhaltigkeits-Manager Jannis Michael bei unseren Kollegen von NDR Info.

Neben den hauseigenen Emissionen der Krankenhäuer wäre es für weniger CO2 im Gesundheitswesen aber auch ganz wesentlich, die vorgelagerten Produktionsketten für Medizinprodukte so CO2-neutral wie möglich zu gestalten. Krankenhäuser hätten hier beispielsweise die Möglichkeit, Produkte wie Einweghandschuhe von Herstellern zu beziehen, die auf Klimafreundlichkeit achten. 

Ein weiteres Beispiel für überflüssigen Müll sind auch die teilweise viel zu großen Verpackungen für Tabletten. Anders als beispielsweise im amerikanischen Raum sind Tabletten und Kapseln in Europa jeweils einzeln in hohlen Kammern eines sogenannten Blisterstreifens verschweißt. Wären die Tabletten platzsparender auf dem Blisterstreifen angeordnet, könnte das alleine in Deutschland rund 3.000 Tonnen Verpackungsmaterial jährlich vermeiden. Das hat eine Studie von Forschenden an der Universität Heidelberg ermittelt. Die Bundesärztekammer empfiehlt, wo möglich, darauf zu achten, dass Einmalartikel biologisch abbaubar sind und wo möglich ohnehin auf Mehrweg zu setzen. Längerfristig sei es wichtig, dass Lieferketten gemeinsam mit den Herstellern optimiert werden. 

Abgesehen davon gibt es noch einige alltagsnähere Bereiche, in denen Krankenhäuser Emissionen sparen könnten, beispielsweise beim Krankenhausessen. Das ist immerhin für 17 Prozent aller Emissionen eines Krankenhauses verantwortlich, der Impact könnte durch mehr regionale vegetarische Gerichte ein wenig gesenkt werden. Auch die Heizung eines gesamten Krankenhauses spielt eine wesentliche Rolle bei dessen Energiebilanz (circa ein Viertel). Hier könnte man Emissionen reduzieren, indem die Temperatur auf Fluren und in ungenutzten Räumen abgesenkt wird.

Um an dieser Stelle noch einmal auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Natürlich ist eine sichere Gesundheitsversorgung extrem wichtig, aber es ließen sich auch bereits große Mengen CO2 einsparen, ohne dass Themen wie Hygiene und Technologiefortschritt überhaupt beschnitten werden müssten.

Termine

Mittwoch, 3. Juli – weltweit 
Am kommenden Mittwoch findet der jährliche Plastic Bag Free Day statt. Weltweit gibt es an diesem Tag Aktionen, Konzerte und Demonstrationen für eine plastiktütenfreie Welt, organisiert vom europäischen Netzwerk Zero Waste. 
Donnerstag, 4. Juli – Bautzen
Um den Klimawandel als Herausforderung und Chance für den gesellschaftlichen Zusammenhalt geht es auf dem Hauptmarkt in Bautzen ab 18 Uhr. Es diskutieren u.A. der Meteorologe Matthias Mauder und der Politikwissenschaftler Manès Weisskircher im Rahmen einer Veranstaltung der TU Dresden. Details hier. 
Freitag, 5. Juli – Radebeul 
Der BUND Radebeul lädt ein, den Schaugarten Hoflößnitz zu besichtigen. Dort steht eine Schau- und Lehranlage der Wildpflanzen der Weinberge zur Verfügung, die vielleicht auch Anregungen für die Gartengestaltung bietet. Weitere Infos hier. 
Freitag, 5. Juli – online
Starkregen, Überschwemmung, Rückstau – was muss ich tun? Wie kann ich meine Immobilie schützen? Zu diesem Thema veranstaltet die Verbraucherzentrale NRW ein kostenfreies Online-Seminar. Weitere Informationen hier. 

Klima und Menschheit

Dänemark plant die weltweit erste Steuer für Fleisch- und Milchproduktion 

Dänemark plant als weltweit erstes Land eine Klimasteuer für Schweinemast- und Milchbetriebe. Zuvor hatte eine Fachkommission das Vorhaben empfohlen. Die Landwirtschaft ist für 35 Prozent der Gesamtemissionen des Landes verantwortlich. In Deutschland, wo keine vergleichbare Steuer existiert, sind es acht Prozent. Vorgesehen ist, dass Betriebe umgerechnet etwa vierzig Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2030 zahlen, die dann auf etwa hundert im Jahr 2035 steigen sollen. Im Gegenzug sollen Landwirtinnen und Landwirte Entlastungen bei der Einkommenssteuer erhalten, so dass die effektive Belastung zwischen rund 15 und vierzig Euro pro Tonne CO2 liegen wird. Das Gesetzesvorhaben benötigt noch die Zustimmung des Parlaments. Ihm werden gute Chancen zugeschrieben, da Regeln für Treibhausgasemissionen im Agrarsektor in Dänemark insgesamt hohen Anklang finden, auch in der Branche selbst. Dänemark möchte seine Emissionen bis 2030 um siebzig Prozent reduzieren gegenüber 1990. 

Bedrohte Arten könnten auf 1,2 Prozent der Landfläche gerettet werden 

Forschende aus zwanzig Institutionen haben einen Plan erarbeitet, um das Aussterben bedrohter Arten mit möglichst geringem Flächen- und finanziellen Aufwand verhindern zu können. Die Gruppe schreibt, dass hierfür nur 1,2 Prozent der Landfläche notwendig wären, verteilt auf fast 17.000 Standorte. Grund für den geringen Flächenaufwand sei die Tatsache, dass die meisten bedrohten Arten gleichzeitig auch selten seien und nur ein kleines Verbreitungsgebiet oder eine kleine Verbreitungsdichte hätten. Eine solche Schutzinitiative würde etwa 34 Milliarden Dollar pro Jahr kosten. Dies sei weniger als 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Vereinigten Staaten und weniger als neun Prozent der jährlichen Subventionen, von denen die globale fossile Brennstoffindustrie profitiere. Artenschutz hat auch eine Schlüsselfunktion in der Eindämmung der Klimakrise.

Mehr Informationen bei MDR WISSEN. 

Frauen brauchen durch den Klimawandel mehr Zeit fürs Wasserholen 

Das haben Forschende am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ermittelt. Grund seien sinkende Wasserspiegel und erschwerter Zugang zu Süßwasserquellen. Basis der Forschung sind Daten aus Haushaltserhebungen in fast 350 Regionen auf vier Kontinenten zwischen 1990 und 2019. So hätten höhere Temperaturen und weniger Niederschlag bereits in der Vergangenheit zu längeren Wasserholzeiten geführt. In vielen Regionen des globalen Südens ist die Tätigkeit der Trinkwasserversorgung eine Aufgabe, die von Frauen und Mädchen übernommen wird und oftmals eine psychische und physische Belastung darstellt. Für Betroffene bedeutet sie einen Zeitverlust in den Bereichen Bildung, Arbeit und Freizeit. Die Forschenden gehen davon aus, dass durch den Arbeitszeitverlust "Dutzende bis Hunderte von Millionen US-Dollar pro Land und Jahr" verloren gehen könnten.

Mehr Informationen gibt es hier. 

ARD, ZDF und DRADIO

zwei Personen auf Alm

Trockengelegte Moore 

verursachen mehr CO2 als der bundesweite Flugverkehr. Eine neue EU-Verordnung soll das ändern und ist Thema bei Kemferts Klima-Podcast. 
zwei Personen auf Alm

Naturwunder Gemüsegarten 

Eine aktuelle Folge der WDR-Sendereihe Erlebnis Erde zeigt, wie Artenvielfalt und Symbiose im Gemüsegarten funktionieren. 
zwei Personen auf Alm

Blitz und Donner 

Unwetter werden mit dem Klimawandel gefährlicher. Aber lassen sich Gewitter kontrollieren? Das beleuchten unsere Kolleg*innen von Das Wissen. 

👋 Zum Schluss

Das Beispiel Gesundheitswesen zeigt aus meiner Sicht auch, wie komplex es manchmal sein kann, Nachhaltigkeit mit technischem Fortschritt und Produktsicherheit zu kombinieren. Ich fühle mich ja auch jede Woche schlecht, wenn ich die oben gezeigten Müllmengen entsorge. Diverse Hersteller von Diabetes-Produkten haben in den vergangenen Jahren betont, dass sie auf Nachhaltigkeit achten wollen – gleichzeitig beobachte ich aber auch, wie die Menge an Einweg-Elektroprodukten, die ich für meinen Diabetes verwende, sich beinahe jährlich steigert.

Das ist eigentlich sogar ziemlich paradox: Der Klimawandel kann zu Situationen führen, die für unsere Gesundheit bedrohlich sind, aber gleichzeitig scheint Klimaschutz im Gesundheitssektor weiterhin nur eine Hintergrundrolle zu spielen. Aus medizinischer Sicht sei eine Überschreitung des 1,5 Grad-Ziel nicht zu verantworten, schreibt der Bundesverband der Deutschen Chirurgie. Da erscheint es nur naheliegend, auch im Gesundheitswesen alle verfügbaren Weichen für den Klimaschutz zu stellen.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!
Inka Zimmermann 

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