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#146
vom 21. Juni 2024

Warum Klimaschützende jetzt also doch auf Kohle stehen

junger Mann mit schwarzer Kappe, runder Brille und Bart
von Florian Zinner
Hallöchen.

Seit diesem Jahr vegetiert auf meinem Balkon ein neckisches Feigenbäumchen. Außerdem stehen da schon seit Längerem eine Japanische Faserbanane (lässigerweise winterhart) und ein Lavendel, den ich in meinem mittlerweile gescheiterten Kleingartenprojekt ausgegraben habe (die Nachpächterinnen haben nichts gemerkt, also behalten Sie das bitte für sich).

Das mediterrane Dreiergespann hat etwas gemeinsam: Es vermittelt mir tagtäglich den Eindruck, ich würde es gewissermaßen „trockengießen“. Auch in diesem Moment, in dem ich diese Zeilen tippe – wie kann man denn nur derart zornig die Blätter hängen lassen? Völlig egal, welche unerbittlichen Mengen an kühlem Nass ich den dörren Gewächsen einverleibe, die Erde wird gefühlt mit jedem Male trockener. Sie ist ehrlicherweise auch nicht die beste.

Trockengießen, ja, das ist ja, als würde man mit dem Besen die Wohnung eindrecken oder das Klima durch Kohle retten wollen … Okay. Erwischt. Sie wissen, wohin die Reise geht – und gegen schlechte Pflanzenerde hilft das Ganze auch noch.

ZAHL DER WOCHE

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… von 27 Mitgliedsstaaten der EU haben sich in dieser Woche für das geplante Renaturierungsgesetz ausgesprochen. Die qualifizierte Mehrheit von 15 Ländern und 65 Prozent der EU-Bevölkerung konnte jedoch nur durch die wacklige Ja-Stimme Österreichs erreicht werden. Das Votum der grünen Umweltministerin Gewessler gegen den Willen der ÖVP-Fraktionspartner um Kanzler Nehammer hat im Land eine Regierungskrise ausgelöst. Das Gesetz sieht vor, bis 2030 zwanzig Prozent der geschädigten Flächen und Meeresgebiete wiederherzustellen, bis 2050 alle bedrohten Ökosysteme. Worum's genau geht, haben wir hier zusammengefasst

Pflanzenkohle – Everybody's Darling im Klimaschutz

Ausgerechnet Kohle, die Unvokabel des Klimaschutzes. Natürlich könnte die Einladung zur Verwunderung deutlicher nicht sein. Aber im neulich erschienenen zweiten Sachstandsbericht zur CO2-Entnahme wird zumindest eine ganz bestimmte Sorte Kohle gepriesen: Pflanzenkohle, der stille Hype in Sachen Restemissionen. „Vielleicht der einzige Bereich, in dem eventuell eine Industrie entstehen könnte, wo wir tatsächlich Dynamik sehen, ist wirklich die Pflanzenkohle“, das sagt der Nachhaltigkeitsforscher Jan Christoph Minx, der an dem Bericht mitgearbeitet hat.

Restemissionen? Genau, wie der letzte Rest im Joghurtbecher, der da hängen bleibt, wie sehr am auch kratzt: Bis 2050 möchte Europa klimaneutral sein, und die anderen Kontinente möchten das früher oder später auch. Gerade wenn wir über das 1,5-Grad-Ziel hinausschießen, werden wir die überschüssigen Emissionen irgendwann wieder loswerden müssen. Und Netto-Null schließt auch Emissionen aus, für deren Beseitigung wir derzeit noch gar keine kluge Antwort haben. Solche Emissionen entstehen zum Beispiel bei Industrieprozessen in der Stahl- und Zementindustrie. Und auch Lachgas und Methan aus der Landwirtschaft sind Treibhausgase.
Grafik zeigt, dass von den derzeit 2,2 Gigatonnen CO2 jährlich nur ein winzig kleiner Anteil auf neue Techniken wie Pflanzenkohle oder Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung fällt
Fünf Prozent der Treibhausgase in Deutschland können nicht vermieden werden, davon geht die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag aus. Das sind 62 Millionen Tonnen. Die alte Idee ist, zumindest das CO2 unter den Restemissionen durch Aufforstung zu kompensieren. Inzwischen gibt es aber auch allerhand neue Ansätze. So manche zeigen sich fasziniert von technischen Lösungen wie Direct Air Capture, dem Prinzip Staubsauger, bei dem das CO2 aus der Luft gefiltert und der Staubsaugerbeutel schlussendlich verbuddelt wird. Im Gegensatz dazu klingt die Sache mit der Pflanzenkohle fast schon wie eine fade Randnotiz, mit der Ausnahme, dass sie in besagtem Bericht als Technologie hervorsticht und bereits jetzt weltweit Anwendung findet. Anders gesagt: Pflanzenkohle steht mittlerweile im Baumarktregal.

Einer der Gründungsväter der Idee lehrt an der Uni Halle-Wittenberg, heißt Bruno Glaser und ist Professor für Boden-Biogeochemie. Er hat sich den Begriff ausgedacht und das System maßgeblich geprägt. Offenbar hatte er den richtigen Riecher: Glaser hat es jüngst in die Liste der meistzitierten Forschenden der Welt geschafft. „Der Benefit ist ja, dass wir zusätzliche Ökosystemeffekte haben, die positiv wirken, wie zum Beispiel Wasser- oder Nährstoffspeicherung oder verminderte Emissionen von anderen Treibhausgasen.“

Wie Holzkohle, nur halt bisschen anders

Im Grunde ist Pflanzenkohle sowas wie Holzkohle (und so hieß sie auch, bis Bruno Glaser eine bessere Idee kam). Nur eben, dass kein Holz, sondern Pflanzenreste wie Grünschnitt verkohlt werden. Diese Pflanzenreste enthalten Kohlenstoff, den die Pflanzen im Laufe des Jahres aufnehmen. Wenn Bäume sich im Herbst ihrer Blätter entledigen, wird der dort enthaltene Kohlenstoff wieder freigesetzt. (Im Holz bleibt er gespeichert, solange der Baum am Leben ist.) Der Trick muss also sein, sämtlichen Kohlenstoff festzuhalten.
Grafik zeigt mit Bildern einen halben Kreislauf von CO2, das Pflanzen aufnehmen und in Pflanzenresten steckt, schließlich verkohlt wird wodurch auch Wärme- und Elektroenergie entstehen, als schwarzes Kohlegranulat auf Anbauflächen aufgetragen wird, wo es das Wachstum fördert und CO2 dauerhaft im Boden speichert.
Und genau dabei hilft der Prozess der Kohleherstellung. Kurz gesagt: Das ist ein thermochemischer Prozess unter hohen Temperaturen und – durch Luftabschluss – sauerstoffarmen Bedingungen. Pyrolyse heißt das und funktioniert unter industriellen Bedingungen mit einem überschaubaren Energieeinsatz. Die Abwärme lässt sich dabei zum Heizen oder zur Elektrizitätsgewinnung einsetzen. „Also insgesamt ist der Prozess der Pflanzenkohle-Herstellung exotherm, das heißt, es wird mehr Energie frei als man reinstecken muss“, so Glaser.

Der Kohlenstoff ist dann also in der Pflanzenkohle gespeichert und kann nicht mehr so leicht raus. Außer, man zündet sie an, im Rahmen einer zünftigen Grillparty. Bruno Glaser spricht jetzt von einem stabilen Kohlenstoff. „Stabil heißt mehr als hundert Jahre und deswegen entstehen da negative Emissionen.“ Die Pflanzenkohle lässt sich jetzt vortrefflich in den Boden einarbeiten und lässt auch dort den Kohlenstoff nicht so schnell wieder in die Atmosphäre.

Das ist so der Zielpunkt, den wir mit Technologien wie Direct Air Capture und CO2-Einlagerung irgendwann einmal erreichen wollen. Bei Pflanzenkohle geht es sogar noch weiter: „Ich scheide jetzt nicht nur den Kohlenstoff ab und mache den stabil, sondern ich habe die wissenschaftlich eindeutig belegten weiteren positiven Effekte auf Ökosystemfunktionen.“ Die verraten, dass das eigentlich alles ein alter Hut ist. Sogenannte Terra Preta, schwarze Erde, funktioniert ähnlich und wird in kleinem Maßstab von Völkern im Amazonasbecken seit jeher eingesetzt.

CO2-Speicherung ist jetzt Nebensache

Zum Beispiel können mit Pflanzenkohle angereicherte Böden besser Wasser aufnehmen, was im Zuge von klimawandelbedingtem Extremwetter wie Starkregen und Dürre ein praktischer Umstand ist. „Die Nährstoffe werden vermehrt gespeichert, es wird weniger Nitrat ausgewaschen, es werden weniger weitere Treibhausgase emittiert aus dem Boden, wie Methan oder Lachgas.“ Wie erwähnt: Auch die zählen zu den Restemissionen. Das alles geht mit höheren Pflanzenerträgen einher. Inzwischen lässt sich Pflanzenkohle aber auch in der Betonherstellung einsetzen, wo weniger Zement eingesetzt werden muss – was, so ein Zufall, wiederum ebenfalls bei der Bewältigung von Restemissionen helfen kann.

Weitere Einsatzbereiche sind die Wasserreinigung (Stichwort Aktivkohlefilter) oder in der Tiernahrung. Bruno Glaser kehrt den Spieß einfach um und bezeichnet angesichts der mannigfaltigen Möglichkeiten die CO2-Speicherung schlichtweg als Zusatzbenefit. Was für ein Understatement.
😏
Und klingt alles zu schön, um wahr zu sein. Also, wo ist der Haken? Bruno Glaser hat ihn selbst ausgerechnet, den Haken: „Wenn wir die zehn Milliarden Tonnen Kohlenstoff, die wir jedes Jahr emittieren, mit Pflanzenkohle kompensieren wollen, dann bräuchte es ungefähr 20.000 Cheops-Pyramiden, die aus Pflanzenkohle bestehen.“ Und nicht nur das: Die Biomasse – also der Grünschnitt, wenn man es so mag – muss auch irgendwo herkommen. Immer wieder betont Glaser, dass auch Pflanzenkohle – so faszinierend sie auch sein mag – nur ein Baustein von vielen sein kann und sämtliche Hebel zur CO2-Reduktion umgelegt werden müssen.

Und dann ist das Ganze natürlich auch nicht ganz billig. Landwirtinnen und Landwirte bekommen Pflanzenkohle nicht säckchenweise und unentgeltlich vor die Hoftüre gestellt. 500 bis 800 Euro pro Tonne sind es, die auch erwirtschaftet werden wollen – am besten nicht durch Ertragmaximierung. Denn ausgerechnet im Land der Pflanzenkohlenidee, Deutschland, vermisst Glaser echte Anreize, damit Pflanzenkohle nicht nur ein Hype, sondern Mainstream wird und sich in der Fläche entfalten kann.

Dabei geht es um eine ganz grundsätzliche Frage. Ein hübsches Pflanzenwachstum und gesunde Tiere mögen zwar nette Benefits sein, aber die Ökosystemdienstleistungen der Pflanzenkohle gehören ebenfalls vergütet, in welcher Form auch immer, findet Glaser. „Gesunde Nahrungsmittel oder sauberes Wasser sind ja in der Regel auch nicht gratis zu haben.“

Dennoch: Die Idee funktioniert schlichtweg, das kann man schon mal sagen, eben bisher auf freiwilliger Basis. Für Bruno Glaser gehört hinter das Wort Pflanzenkohle deshalb ein grüner Haken. ✅ Für eine Klimaschutzidee ja auch mal ganz schön.

Termine

ab Freitag, 21. Juni – Hoyerswerda-Knappenrode
In der Energiefabrik setzt sich bis Oktober die Ausstellung „Revier.Umwelt.Protest!“ mit Umweltprotest im Raum Hoyerswerda auseinander, zum Beispiel in der DDR-Kunst. Infos
ab Sonnabend, 22. Juni – Chemnitz
Das Public Art-Projekt New Ecologies im Stadtraum Chemnitz möchte mit Themen wie Nachhaltigkeit, Sensibilisierung und Teilhabe durch renommierte wie auch junge Kunstschaffende sowie lokale Initiativen die Klimakrise sichtbar machen. Infos
Donnerstag, 27. Juni – Karlsruhe/bundesweit
Am Bundesgerichtshof wird das Urteil im Berufungsverfahren zur Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ erwartet, hier im Falle des Süßenwarenherstellers Katjes.

Klima und Menschheit

„Ende Gelände“ ist extremistischer Verdachtsfall
Die Klimaaktivistengruppe wird vom Verfassungsschutz als linksextremistischer Verdachtsfall geführt. Das geht aus dem am Dienstag veröffentlichten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 hervor. Die Gruppe, die vor allem durch Proteste gegen den Kohle-Bergbau in Erscheinung getreten war, habe Aktionsformen zunehmend verschärft „bis hin zur Sabotage“, hieß es. Grundsatzpapiere der Gruppe ließen "deutlich eine Radikalisierung im Hinblick auf die vorherrschenden ideologischen Positionen" erkennen. Die Einstufung als Verdachtsfall gibt dem Verfassungsschutz mehr Befugnisse bei der Beobachtung mit geheimdienstlichen Mitteln von „Ende Gelände“. So ist es etwa möglich, V-Leute anzuwerben, außerdem dürfen Menschen observiert werden.
Mehr Leistung für alle durch Landwirtschaft ohne Düngemittel und Pestizide
Sogenannte extensive Landwirtschaft kann unter jetzigen und künftigen Klimabedingungen die meisten Leistungsbedürfnisse befriedigen. Das haben Forschende am mitteldeutschen Biodiversitätsforschungszentrum iDiv herausgefunden. Als extensive Landwirtschaft bezeichnet man im Gegensatz zu intensiver Landwirtschaft etwa den Verzicht auf mineralische Düngemittel sowie Pesti- und Herbizide, im landwirtschaftlichen Sektor auch Pflanzenschutzmittel genannt. Die untersuchten Leistungsbedürfnisse würden dabei die Präferenzen unterschiedlicher Interessengruppen berücksichtigen, neben der Landwirtschaft etwa auch die von Tourismusverbänden oder der Gesellschaft an sich. In die Studie flossen sowohl ökologische als auch ökonomische Gesichtspunkte ein.
Flussschifffahrt sorgt für Artenrückgang
Die Binnenschifffahrt hat in den vergangenen Jahrzehnten zu einem deutlichen Verlust der biologischen Vielfalt von Fischen und anderen Tieren in europäischen Flüssen beigetragen. Das zeigt eine neue Studie des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Der Rückgang betreffe sowohl den Reichtum und die Häufigkeit von Arten als auch die Vielfalt der ökologischen Gilden, also der Gruppen von Arten mit gleichen Ansprüchen an bestimmte Umweltfaktoren, wie zum Beispiel die Strömung. Bei den Fischen gingen so in den letzten Jahrzehnten viele flusstypische Fischarten wie Barbe, Nase oder Zährte zurück und invasive Arten wie die Schwarzmundgrundel breiteten sich aus. In die Untersuchung sind mehr als 19.500 Beobachtungen von über 4.000 Probestellen aus den letzten 32 Jahren eingeflossen.
Temperatur des Bodensees um ein Drittel gestiegen
Der größte See Deutschlands hat sich einer Auswertung des Seeforschungsinstituts Langenargen zufolge in den vergangenen Jahren stark erwärmt. Nach einem durchschnittlichen Höchstwert der Wasseroberfläche von 14,1 Grad im vergangenen Jahr, lag der Wert im vergangenen Jahr bei 13,6 Grad. Zu Beginn der Messungen 1962 waren es im Schnitt nur 10,5 Grad. Im Bodensee gehe die Erwärmung mit einem schwachen Austausch des Tiefenwassers mit dem Oberflächenwasser einher. Dadurch reduziere sich der Transport von Sauerstoff in die Tiefe und erhöhe so die Gefahr eines Sauerstoffmangels für die dort lebenden Organismen.

ARD, ZDF und DRADIO

Demo mit Transparent gegen Klimahysterie

Aktiv gegen Klimaschutz

In Wien hat sich jetzt das "Who is Who" der internationalen Klimawandel-Leugnerszene getroffen. Organisiert hat die zweitägige Konferenz ein Verein mit Sitz im thüringischen Jena.
Frau mit ironischer Denkpose und angeklebtem Bart

Sind Männer schlecht fürs Klima?

Funkkolleg: Wurde der Klimawandel vor allem von Männern verursacht? Auf den ersten Blick sieht es so aus: Männer essen deutlich mehr Fleisch als Frauen und fahren häufiger Auto.
Stadtansicht von oben mit Seilbahn im Vordergrund

Wie wir Städte lebenswert machen

Gute Nachrichten vom Planeten: Städte sind zubetoniert und anfällig für Naturkatastrophen. Es gibt aber originelle Ideen, mit denen wir Städte grüner und lebenswerter gestalten können. 

👋 Zum Schluss

Das mit der Pflanzenkohle ist schon weiter gediehen als man denkt. Das Produkt ist sozusagen angekommen, in einer Welt, in der man Konsumierenden nicht zu viel abverlangen möchte, in der fertig angerührter Eiskaffee und sich selbst erhitzende Nudelsuppen im Verkaufsregal ganz selbstverständlich auf Kundschaft warten. Auch Pflanzenkohle gibt es mittlerweile fertig angerührt – im Vierzig-Liter-Sack Blumenerde. Und wenn das so weiter geht, bestimmt auch bald in der handlichen Zwanzig-Liter-Packung.
 
Passen Sie auf sich und die Welt auf, herzlich
Florian Zinner

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