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#139
vom 10. Mai 2024

Wie Gott und die Welt bald im ewigen Eis versacken

junger Mann mit schwarzer Kappe und schwarzwandiger runder Brille und Bart
von Florian Zinner
Hallöchen.

Möglicherweise zählen Sie zu jenen zeitgeistlich bewanderten Menschen, die es pflegen, die schönsten Momente im Leben (Hochzeit, Ballonfahrt, bestandenes Seepferdchen) mit Achtziger-Technik für immer festzuhalten. Nicht nur die Fotofilmfotografie ist im stetigen Aufwind, sondern auch die Begeisterung für Sofortbildkameras seit Jahren stabil hoch.

Seien Sie auf Hut vor groben Enttäuschungen. Für immer heißt nicht für immer und die Erinnerungen an die schmucken Momente verblassen nicht nur im Kopf, sondern materialbedingt schon bald auch auf dem Fotopapier. Und auch wenn Sie altmodischerweise noch digital fotografieren: Selbst SSD-Speicher sind nicht für die Ewigkeit gemacht.

Ja, nun: Nicht einmal das Erinnerungserbe des Universums ist es! Denn perspektivisch gehen uns die weltallgeschichtlichen Festplatten verloren, auf denen Antworten auf nicht ganz unwesentliche Fragen gespeichert sind, wie etwa: Was ist da draußen? Wo kommen wir her? Wie entstand das Leben?

Und Schuld hat der Klimawandel.

ZAHL DER WOCHE

2,1 Mio.

… E-Bikes wurden im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft.  Die Absätze liegen etwas unter der Zahl von 2022. Durch den Rückgang der Verkaufszahlen von Rädern ohne Motor wurden erstmals mehr E-Bikes (Pedelecs) verkauft als „Bio-Bikes“. Zum Vergleich: Die Zulassungen für E-Autos 2023 belaufen sich auf etwas mehr als eine Million, was die Gesamtzahl der Zulassungen seit 2013 auf 2,3 Millionen fast verdoppelt hat. E-Bikes fahren insgesamt mehr als 13 Millionen in Deutschland.

Klimaschutz ist Meteoritenschutz

Es mag ja Menschen geben, denen es nichts gibt, so ein Ding aus Werweißvonwieweitweg in der Hand zu halten. Aber wahrscheinlich genau so viele, die ganz gern mal einen echten Meteoriten finden würden, so ein kleines Stückchen Weltraum für die Hosentasche. Daniel Farinotti gehört nicht zu den Glücklichen. Um Meteoriten kümmert er sich trotzdem, obwohl der Schweizer eigentlich Glaziologe ist. Genau genommen macht er sich Sorgen: Nicht um die achtzigtausend Meteoriten, die sich bereits in der sicheren Obhut der Menschheit befinden, sondern um die schätzungsweise 300.000 Stück, die in der Eiswüste des südlichen Kontinents darauf warten, endlich ein zünftiges Sammlerglück auszulösen.

In der Antarktis zumindest muss man sich als Weltraumsteinchensammler so fühlen wie Goldsuchende am Klondike zum Ende des vorletzten Jahrhunderts. Aber es ist Eile gefragt, zeigt aktuelle Forschung. Den Meteoriten in der Antarktis könnte es jetzt an den Kragen gehen und das dürfte nicht nur Abenteuerlustigen Unwohlsein bereiten.

Bis zur Mitte des Jahrhunderts könnte ein Viertel der Antarktis-Meteoriten von der Erdoberfläche verschwunden sein. Davon gehen Farinotti und der Rest des Teams aus, eine europäische Forschungsgruppe aus Belgien, der Schweiz und Großbritannien, die im April im Fachblatt Nature ihre Erkenntnisse publiziert hat. Mit jedem Zehntel Grad Erwärmung verschwinden 5.000 bis 12.000 Meteoriten im ewigen Eis der Antarktis.
Grafik zeigt, wie Meteoriten auf die Antarktis auftreffen, vom Gletschereis weitertransportiert werden, zu Tage treten und eventuell unter anderem durch Sonneneinstrahlung im Eis absacken
Dass sich daran überhaupt jemand stört, liegt an der Beschaffenheit der Eiswüste, eben dem Klondike der Meteoriten: „Die Antarktis wirkt sozusagen wie ein großer Trichter und sammelt Meteoriten auf sehr großen Flächen, die man dann in relativ kleinen Regionen sammeln kann“, erklärt Daniel Farinotti. Dabei ist es erstmal unerheblich, wo so ein Meteorit in der Antarktis landet. Vereinfacht gesagt: Gletscher fließen und transportieren Dinge wie Meteoriten in Regionen, wo sie bevorzugt zutage treten. Diese Regionen sind bekannt. Das helle Eis und die dunklen Steinchen aus dem All ergeben noch dazu einen schönen Kontrast – ein praktischer Umstand, wenn es ans Finden geht.

„Das ist auch der Grund, warum etwa sechzig Prozent aller Meteoriten, die jeweils auf der Erde gefunden wurden, aus der Antarktis stammen“, so Farinotti. Durch den Klimawandel ist also der bevorzugte Fundort für Asteroiden bedroht. Dass es cool ist, außerirdisches Zeug in der Hand zu halten, haben wir bereits festgestellt. Aber warum ist das nun ein Problem, wenn man es nicht mehr kann?

Wen kümmern unzugängliche Meteoriten?

„Wenn man Fragen nachgeht, wie der Entstehung von Planeten und womöglich auch der Entstehung des Lebens im Universum, dann kann man entweder mit einem Raumschiff rausfliegen und Material einsammeln, oder man nimmt sich eben Meteoriten an, die auf der Erde schon da sind.“ Zum Beispiel können uns Meteoriten interessante Erkenntnisse über die chemischen und physikalischen Umstände des frühen Sonnensystems liefern. So enthalten Meteoriten etwa Aminosäuren und Kohlenwasserstoffe – die Bausteine für das, was hier grad fleißig vor sich hin tippt oder fleißig vor sich hin liest.

Bevor sie die Wissenschaft zu Gesicht bekommt, droht Meteoriten also die Versackung im Eis. Und das, obwohl längst nicht überall in der Antarktis im Laufe des Jahres sommerliche Plusgrade herrschen. Vielmehr wird den Meteoriten ihre Beschaffenheit zum Verhängnis: ihre dunkle Farbe und hohe Wärmeleitfähigkeit, weil sie oftmals Metall enthalten. Die Sonnenstrahlung gibt neben den gestiegenen Umgebungstemperaturen den entscheidenden Anstoß, um den Schmelzprozess unter den Gesteinen in Gang zu bekommen. Farinotti: „Man kann sich das in etwa so vorstellen, wenn man in eine Speise in die Mikrowelle stellt, dann wird sie ja auch erwärmt, obwohl die Luft in der Mikrowelle nicht sonderlich warm wird.“

Es gibt wichtigeres, aber …

Auch der Glaziologe Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven betont die Wichtigkeit der antarktischen Meteoritensammelbecken, eine „echte Fundgrube“ für Forschende nennt er sie. Wie Farinotti sieht Eisen die Rolle der einstigen Himmelskörper als Informationsspeicher. Er räumt jedoch ein: „In sozioökonomischer Hinsicht ist das aber letztendlich nicht von großer Relevanz, da ist eher viel mehr zu beachten, dass eine zunehmende Erwärmung des Klimas dazu führt, dass der Meeresspiegel ansteigen wird, auch mit Beiträgen aus der Antarktis.“

Die Erkenntnis, dass uns die Meteoriten durch Klimawandel und ihre eingebauten Mikrowellenöfen langsam abhandenkommen, basiert auf einem wissenschaftlichen KI-Modell, das das internationale Forschungsteam entwickelt und mit Variablen gefüttert hat. „Also man hat geschaut, wo wurden in der Vergangenheit Meteoriten gefunden? Wie sieht die Topografie aus? Wie ist der Eisfluss?“ Aber auch die Wetterbedingungen und Sonneneinstrahlung spielen eine große Rolle. In Verbindung mit Klimamodellen lässt sich dann zeigen, dass die Chance, Meteoriten aufzuspüren, in der Antarktis künftig nicht besser wird.

 Ja und nun?

Schnell Richtung Südpol und einsammeln, was noch geht? Nun, das wäre zumindest nicht die schlechteste Idee, meint Farinotti. Ähnlich wie Projekte, die Eisbohrkerne aus Gletschereis für wissenschaftliche Zwecke sichern, bevor die abgetaut sind, könnte sich der Schweizer Glaziologe ein Meteoritenprojekt vorstellen. Wichtiger ist nach Ansicht der Forschenden aber ein weniger originell anmutender Vorschlag: die Reduzierung der Treibhausgasemissionen und damit der Erderwärmung. Ansonsten müssten wir mit der Meteoritenbergung warten, bis die Polkappen vollends geschmolzen sind. Ob uns dann noch der Sinn danach steht, den Ursprung des Lebens zu erforschen, ist eine andere Frage.

Termine

Sonnabend, 11. Mai – Salzwedel-Hoyersburg
Der BUND lädt zur Führung durch das Bürgerholz und die Salzwiesen, einen der größten unzerschnittenen Feuchtwälder Deutschlands und Lebensraum für zahlreiche Arten. Treff ist 14 Uhr
bis Sonntag, 12. Mai – vielerorts
Anlässlich der Zählaktion „Stunde der Gartenvögel“ (9. bis 12.5.) lädt der Nabu vielerorts zu Aktionen – zum Beispiel zur Vogelstimmenwanderung in Coswig (Sachsen) und Meißen. Infos zur Aktion und Kalender
Montag, 13. Mai – Dresden
Unter dem Titel „Verbrannt und gut?“ lädt die AG Wärmewende zu einem Infoabend zur geplanten thermischen Abfallbehandlungs- und Verwertungsanlage, die sich bald um nicht recyclingfähige Abfälle in Dresden kümmern soll.

Klima und Menschheit

Deutsche Hilfe für Südsee-Staaten
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat den südpazifischen Inselstaaten die Unterstützung Deutschlands im Kampf gegen die Klimakrise zugesichert. So kündigte sie bei einem Besuch in Fidschi wirtschaftliche Hilfe und die Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien an. Fidschi war die dritte und letzte Station ihrer einwöchigen Indopazifik-Reise. Dazu zählte auch der Besuch eines der in Fidschi zahlreichen von Überschwemmung und Bodenerosion bedrohten Dörfer sowie eine Diskussion mit Studierenden an der Universität des südlichen Pazifik.
Wärmster April aller Zeiten
Und monatlich grüßt Copernicus: Der April 2024 war der wärmste April seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und zudem der erste mit einer globalen Durchschnittstemperatur von über 15 Grad, wie aus Daten des Klimawandeldienstes des europäischen Erdbeobachtungsnetzwerks Copernicus hervorgeht. Die Lufttemperatur an der Oberfläche lag im April bei durchschnittlich 15,03 Grad und damit 0,67 Grad höher als im April-Durchschnitt des neuen Klimamittels der Jahre 1991 bis 2020. In Europa war der April sogar 1,49 Grad wärmer als im Vergleichszeitraum.
TV- und YouTube-Werbung: Ein Drittel klimaschädlich
Etwa ein Drittel der im Fernsehen und bei YouTube ausgestrahlten Werbung wirbt für klimaschädliche Produkte. Zu diesem Ergebnis kommen Forschende der Universität Leipzig in einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung. Nach Auffassung der Forschungsgruppe werde damit gegen den Medienstaatsvertrag verstoßen. Dort heißt es, Werbung dürfe nicht „Verhaltensweisen fördern, die die Gesundheit oder Sicherheit sowie in hohem Maße den Schutz der Umwelt gefährden.“ Dies treffe nach Ansicht der Forschenden jedoch zu. Das Team hat insgesamt 9700 Werbespots analysiert und den CO2-Fußabdruck der beworbenen Produkte berechnet. Bei etwa 3000 handele es sich um klimaschädliche Waren und Dienstleistungen, wie etwa Produkte um Autos oder Süßwaren.
Direktzüge zwischen Deutschland und London nur langfristiges Ziel
Eurostar plant derzeit keinen direkten Zugverkehr von Deutschland nach England. Das sagte die Betreibergesellschaft für durchgängige Zugverbindungen zwischen Belgien, Frankreich und Großbritannien anlässlich des dreißigjährigen Bestehens des Eurotunnels. Dem stünden vor allem technische Gründe im Weg. Eurostar benötige Züge, die den Strom- und Sicherheitsanforderungen aller vier Länder gerecht werden müssten. Zudem müssten Grenzabfertigungen an Bahnhöfen hergerichtet werden, zum Beispiel in Köln. Der Tunnelbetreiber Getlink ist bestrebt, neben Eurostar den Tunnel für weitere Betreiber zu öffnen. So plant das Start-up Evolyn, ab 2025 mit Eurostar in Konkurrenz zu treten. Auch die Deutsche Bahn strebt langfristig Direktverbindungen nach London an, hat das Projekt jedoch vorerst zurückgestellt. Derzeit bestehen im Eurotunnel noch hohe ungenutzte Kapazitäten.

ARD, ZDF und DRADIO

Frau vor Wiese hat großes Gemüse in Händen

Ackern gegen den Klimawandel

Bäume auf dem Acker, Wasserrinnen auf dem Feld – mit neuen Formen der Landnutzung reagieren Landwirtinnen und Landwirte auf den Klimawandel.
Menschen mit Gespann auf Weg mit rotem Sand

Klima: Fall fürs Asylrecht?

Ein Drittel aller Menschen könnte bis zum Ende des Jahrhunderts die Heimat verlieren. Verdienen sie dann internationalen Schutz?
Seegraswiese unter Wasser und Titel Wunderwelt Seegraswiesen

Wunderwelt Seegraswiesen

Seegras speichert nicht nur die größten Zuckervorräte unseres Planeten – diese Pflanze schützt weltweit die Strände vor Erosion.

👋 Zum Schluss

Ich weiß nicht, ob Sie sich diese große Frage auch schon mal gestellt haben, aber mir kam sie eben in den Sinn: Ist digitale Fotografie nun eigentlich klima- und umweltfreundlicher als analoge?

Digitalfotos brauchen keine giftigen Chemikalien für die Entwicklung. Die müssen also weder hergestellt werden noch gelangen sie in die Umwelt. Prima. Indirekt sieht es aber anders aus: Die Knippskisten und Smartphones, die Speichermedien, die Verarbeitungsgeräte benötigen nicht nur Rohstoffe, deren Abbau verheerende Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, sondern auch der Betrieb der Gerätschaften ist eine Emissionsschleuder. Zudem ist naturgemäß bei Analogkameras die Fülle an Bildern geringer und ausgewählter, kostet ja auch.

Je nach Laborbedingungen und dem eigenen Fotografierverhalten scheinen Retrofotos aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten keine so schlechte Wahl zu sein.

Was auch immer Sie jetzt mit dieser Info anfangen.

Passen Sie auf sich und die Welt auf, herzlich
Florian Zinner

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