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#139
vom 03. Mai 2024

Klimakiller Plastik  – müssen wir verzichten?

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von Inka Zimmermann
Liebe Lesende,
 
eine Meldung hat mich diese Woche sehr gerührt: Der 13-jährige Liutauras Cemolonskas hat nach zwei Jahren Suche einen Plastik-Oktopus gefunden, der dank seiner Seltenheit unter Sammlerinnen und Sammlern als "heiliger Gral" gilt.

Es handelt sich um eine Legofigur, die 1997 während eines Sturms vor Cornwalls Küste von einem Containerschiff gefallen war. Die britische Presse zelebriert den Fund aktuell, als ginge es um einen Jahrhundertschatz – geschadet haben die rund 30 Jahre Meerwasser dem kleinen Oktopus kaum, Plastik ist eben ein haltbares Material. 
Damit einher geht natürlich ein Problem: Die Verschmutzung unseres Planeten mit Plastik nimmt jährlich zu. Am Montag endeten die UN-Verhandlungen zum ersten globalen Abkommen gegen Plastikverschmutzung. Auch diese vierte Verhandlungsrunde sei zäh gewesen, zitiert die Deutsche Presse Agentur aus Verhandlungskreisen. Ein öffentliches Ergebnispapier gibt es noch nicht. Nun soll Ende November in Südkorea weiterverhandelt werden.

Neben der offensichtlichen Umweltverschmutzung hat Plastik aber auch weitreichende Auswirkungen auf unser Klima: Eine Studie schätzt, dass bis 2050 2,8 Gigatonnen CO2 pro Jahr durch Plastik verursacht werden. Das wären über zehn Prozent des geplanten CO2-Budgets. Warum es so viel ist und was wir besser machen können, verrate ich Ihnen gleich. An dieser Stelle zunächst unsere 

ZAHL DER WOCHE

600.000

… Barrel Öl transportiert die umstrittene Pipeline Trans Mountain seit diesem Mittwoch vom US-Bundesstaat Alberta an die kanadische Pazifikküste. Zur Einordnung: Ein Barrel sind knapp 159 Liter. Mit der neu gebauten Pipeline will Kanada seine Ölexporte nach Asien steigern. Kanada ist bereits jetzt der viertgrößte Rohölexporteur und lieferte bislang hauptsächlich an die USA. Die Pipeline ist bereits seit Beginn ihres Baus nicht nur aus Umwelt- und Klimagründen umstritten. Das Projekt koste mehr, als es einbringe – zu diesem Ergebnis kam 2022 eine parlamentarische Bewertung.
 
Zudem stehe die Pipeline "in komplettem Widerspruch" zur Zusage der Regierung, den CO2-Ausstoß des Landes bis 2030 um 40 bis 45 Prozent zu reduzieren, sagte Jean-Philippe Sapinski, Umweltprofessor an der Universität von Moncton. Kanada ist einer der zehn größten CO2-Emittenten weltweit. Gleichzeitig ist das Land besonders stark vom Klimawandel betroffen. Es heizt sich schneller als andere Weltregionen auf, in den vergangenen Jahren war es von mehreren Extremwetterereignissen betroffen. 2023 hat Kanada die schlimmste Waldbrandsaison seiner Geschichte erlebt.

Life in plastic – NOT fantastic

Schlecht für die Gesundheit und noch schlechter für die Umwelt – Plastik hat kein gutes Image. Zurecht! Denn dass Kunststoffe eine extrem schlechte Klimabilanz haben, wird dabei häufig noch gar nicht berücksichtigt. Voraussichtlich werden ihre Treibhausgasemissionen von der Wiege bis zur Bahre bis 2030 1,34 Gigatonnen pro Jahr und bis 2050 2,8 Gigatonnen pro Jahr erreichen. Damit spielt Plastik in einer ähnlichen Größenordnung wie die Zementindustrie. Aber warum sind Kunststoffe solche Klimakiller? Gehen wir den Lebenszyklus eines Kunststoffteilchens mal chronologisch durch. 

1.) Herstellung

Kunststoffe werden aus Öl und Gas hergestellt – zu über 99 Prozent basieren sie auf fossilen Rohstoffen. Förderung, Transport und Raffinierung von Gas und Öl zahlen also von Beginn an auf das CO2-Konto von Plastik ein. Dazu kommt, dass die weltweite Plastikproduktion immer noch steigt. In den kommenden 20 Jahren könnte sie sich noch einmal verdoppeln und damit auch alle Wirtschaftszweige, die auf die Herstellung petrochemischer Produkte setzen, weiter mit antreiben.
 
Dazu kommt, dass die Herstellung von Plastik energieintensiv ist. Diese Energie kommt laut einer Studie der ETH Zürich häufig aus Kohlekraft. Länder, die viele Plastikprodukte herstellen und exportieren, sind China und die Länder des globalen Südens. Das bedeutet: Wenn wir in Deutschland beispielsweise Plastik importieren, entstehen Emissionen in den Herkunftsländern, die wir vermutlich nicht auf dem Schirm haben. Die Europäische Union konnte ihre Plastik-Emissionen in den vergangenen Jahren senken – aber eben nur, weil diese quasi auf Nicht-EU-Länder „ausgelagert“ wurden.
 
An diesem Punkt in ihrem Lebenszyklus haben Kunststoffe bereits einen fulminanten Start hingelegt, für den Großteil ihres CO2-Impacts ist nämlich die Herstellung verantwortlich. 
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Nachdem ein Plastikprodukt genutzt wurde, gibt es mehrere Szenarien für sein weiteres Leben. Ich spiele sie einmal durch. 

2.) Unsachgemäß entsorgt

Wenn Plastikmüll ins Meer gelangt, ist das für die dort existierenden Ökosysteme gefährlich. Die niedliche Meeresschildkröte, verstrickt in ein Plastiknetz. Dieses Bild kennen Sie vielleicht. Klingt erstmal eher nach einem tragischen Einzelschicksal, aber das stimmt nicht: Unsere Ozeane sind enorm wichtige Kohlenstoffsenken im Kampf gegen den Klimawandel. In einem perfekt funktionierenden Ökosystem wird CO2 besonders effektiv gespeichert. Nimmt das Ökosystem Schaden, speichert es weniger CO2 – der Stoff wird in die Atmosphäre abgegeben.
 
Abgesehen von diesem indirekten Zusammenhang ist Plastik im Meer aber auch auf direktem Wege mit weiteren Emissionen verbunden. Plastikmaterialien zersetzen sich im Wasser zwar langsam, aber es passiert. Beim Abbau werden ebenfalls Treibhausgase freigesetzt. Durch Sonnenlicht und Hitze werden aus den Kunststoffen Methan und Ethylen abgegeben. Und zwar meistens schneller und mehr, je länger sich das Plastikteil schon im Meer befindet. 

3.) Verbrennen

Eine Möglichkeit, mit Plastikabfall umzugehen, ist ihn schlichtweg zu verbrennen. In vielen Teilen der Welt werden Abfälle offen verbrannt, das bedeutet eine ganze Bandbreite an giftigen Chemikalien gelangt direkt in die Luft. Darunter beispielsweise Ruß, ein schwerwiegender Schadstoff, der ein circa 5.000 Mal größeres Treibhauspotenzial als CO2 hat.
 
Neben dem offenen Verbrennen gibt es aber auch noch eine etwas sicherere Form der Plastik-Verbrennung. Waste-to-Energy-Technologie nennt sich das, die entsprechenden Anlagen können dem Plastikmüll immerhin noch einen Teil der Energie entziehen und diese in Form von Elektrizität zur Verfügung stellen. Auch dabei entstehen allerdings Treibhausgase – und so richtig effizient ist es auch nicht. Die Europäische Kommission stuft Waste-to-Energy deshalb als "nicht nachhaltig" ein. Die Branchenverbände im Verband kommunaler Unternehmen sehen das anders.
 
Global wird der meiste Kunststoff entweder verbrannt (25 Prozent) oder auf Müllhalden deponiert (40 Prozent, Stand 2016). Der Rest landet einfach so in der Umwelt oder wird zum Recycling gesammelt (2016 waren das 16 Prozent).
 
Recycling klingt natürlich gut! Ein Beispiel: Diverse Unternehmen bieten mittlerweile Textilien aus "Ocean Plastic" an, der Begriff suggeriert: Plastikabfälle aus den Meeren werden gesammelt und für die Produktion wiederverwertet. Das klingt toll, allerdings gibt es auch Kritik. Der Anteil des wiederverwendeten Plastiks ist möglicherweise nicht immer hoch und es lassen sich auch nur bestimmte Plastikabfälle überhaupt recyceln.

Häufig kommt das "Ocean Plastic" auch nicht aus dem Meer, sondern wurde am Strand gesammelt, dieser Müll ist einfacher zu recyceln. Unsere Kolleg*innen von Report Mainz haben das Thema ausführlich recherchiert (das Video dazu gibt es in den Empfehlungen) und kommen zu dem Schluss, Produkte mit "Ocean Plastic" ist oft mehr Schein als Sein, um nicht zu sagen "Greenwashing". 

Sollen wir verzichten?

Auch wenn sie nicht im Meer gelegen haben, sind viele Plastik-Güter schwer zu recyceln. Der Vorgang ist aufwendig und energieintensiv. Sollten wir also einfach auf Plastik verzichten? Natürlich gibt es Menschen, die die Strapazen eines plastikfreien Lebens erfolgreich meistern und als leuchtende Idealbeispiele vorangehen. Allerdings: Sie müssten ganz schön viel auf sich nehmen, um überraschend wenig zu verändern. Die größte Quelle für Mikroplastik in der Umwelt sind beispielsweise weder Kosmetika noch Fleecejacken, sondern der Abrieb von Autoreifen.
 
Sollten wir Kunststoffe also in Anbetracht dieser Tatsachen einfach gesetzlich verbieten? Auch nicht gut, denn alternative Materialien haben häufig sogar noch größere Umweltauswirkungen, betonen die Forschenden der ETH Zürich in einer Studie von 2021. Aus Sicht der Forschenden ergibt es am meisten Sinn, die CO2-Emissionen von Kunststoffen an jedem Punkt ihres Lebenszyklus zu reduzieren. Also beispielsweise kein Plastik mit Kohlestrom zu produzieren sowie die Energieeffizienz der Produktion zu verbessern.

Das zentrale politische Instrument könnte laut der Studie eine konsequente CO2-Bepreisung sein. Wenn es erst mal so richtig viel kostet, wird die Dekarbonsierung von Plastik wirtschaftlich für viele Unternehmen sinnvoll. Tatsächlich gibt es bereits Kunststoffe, die eine negative CO2-Bilanz haben, weil sie beispielsweise Biokohlenstoff speichern und damit eine Art Mini "CO2-Senke" sind – einen spannenden Bericht können Sie hier lesen.  

Termine

Sonntag, 05. Mai – Leipzig 
Unter dem Motto "Straßen sind für alle da!" lädt das bundesweite Aktionsbündnis Kidical Mass ab 14 Uhr zu einer Fahrraddemo. Gefordert wird ein kinder- und radfreundliches Leipzig. Infos hier
Sonntag, 05. Mai – Authausen/Dübener Heide
Der Verein Dübener Heide e.V. lädt am Sonntag zum großen Naturparkfest. Neben Tanz-, Musik- und Showeinlagen auf der Bühne, gibt es viele Bastel-, Informations- und Mitmachangebote, darunter Nistkasten bauen oder selbst melken und buttern. Das Fest ist nur eines von vielen Maiangeboten in der Dübener Heide. Infos hier
Montag, 13. Mai – Dresden
Wie kommen wir aus der Plastikkrise? Darüber spricht Dr. Rolf Buschmann, Referent für technischen Umweltschutz beim BUND Deutschland, und Matthias Röder von der HolyPoly GmbH. Begleitet wird der Abend vom Blechbläserensemble Kraftblech. Daneben kann die Ausstellung "Pack aus! Plastik, Müll und ich" besichtigt werden. Der Eintritt ist frei. Infos hier

Klima und Menschheit

Klimawandel bedroht europäische Bäume
Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die im Fachmagazin Nature Ecology & Evolution veröffentlicht wurde. Demnach könnte rund ein Drittel der Baumarten in Europa dem Klima zum Opfer fallen. Die Forschenden der Universität Wien und der Technischen Universität München haben dafür die Verbreitung der häufigsten 69 Baumarten in ganz Europa untersucht. Dann wurden die Klimabedingungen dort bis zum Ende des Jahrhunderts modelliert und geprüft, welche Bäume in Zukunft dort wachsen könnten.

Im Ergebnis seien nur wenige Baumarten flexibel genug, um die angenommenen Klimabedingungen auszuhalten, so die Forschenden. Die durchschnittliche Anzahl der Baumarten pro Quadratkilometer könnte je nach Szenario zwischen 33 und 49 Prozent abnehmen.

Die Erderwärmung sei dabei laut Studie vergleichbar mit einem Flaschenhals: Bäumen, die mit den heutigen Bedingungen noch klarkommen, ist es in Zukunft zu warm. Andere Baumarten kommen mit der Wärme klar, können aber jetzt noch nicht angepflanzt werden, weil es im Winter mitunter noch zu kalt ist. Das enge laut Forschenden die Optionen für eine Wiederaufforstung stark ein.
Deutschlands natürliche Ressourcen sind aufgebraucht
und das seit gestern (02. Mai). Das sagen Berechnungen des Global Footprint Networks. Den Rest des Jahres 2024 nutzen wir mehr Ressourcen, als maximal innerhalb eines Jahres nachwachsen. Sprich: Wir haben mehr Wälder und Bäume abgeholzt, mehr Rohstoffe genutzt, mehr Co2 ausgestoßen, als uns rein rechnerisch zusteht. Im internationalen Vergleich ist Deutschland damit wie auch viele andere Industriestaaten relativ früh am Ressourcenlimit angekommen. Der weltweite Überlastungstag liegt Ende Juli/Anfang August.

Die Umweltorganisation Germanwatch macht unter anderem den Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten für den raschen Verbrauch natürlicher Ressourcen verantwortlich. In Deutschland werden rund 60 Prozent der Agrarfläche für die Produktion von Futtermitteln verwendet, so die Organisation. Hinzu kämen zahlreiche Flächen im Ausland.

Klimawissenschaftler führen außerdem einen zu hohen Energieverbrauch an. Die Berechnungen des Global Footprint Networks werden aber auch immer wieder kritisiert. So würden Fakten miteinander verrechnet, die nicht in Relation gebracht werden könnten. 
Verkehrslärm sollte als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelten
Das fordern Forschende aus Mainz. In ihrer aktuellen Studie bieten sie einen aktuellen Überblick über die epidemiologische Forschung zu den Auswirkungen von Transportlärm auf kardiovaskuläre Risikofaktoren und Krankheiten und diskutieren die neuesten Erkenntnisse. Eine in den Übersichtsartikel integrierte aktuelle Analyse belegt eindrücklich, dass pro zehn dBA das Risiko für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz um 3,2 Prozent signifikant ansteigt.

"Bei einem zunehmenden Anteil der Bevölkerung, der schädlichem Verkehrslärm auch nach Beendigung der Covid-Pandemie ausgesetzt ist, sind Lärmschutzbemühungen und Gesetze zur Lärmreduzierung für die künftige öffentliche Gesundheit von großer Bedeutung", resümiert der Studienautor Thomas Münzel von der Mainzer Universitätsmedizin. "Für uns ist es ebenfalls wichtig, dass aufgrund der starken Evidenz Verkehrslärm nun endlich als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen anerkannt wird."

ARD, ZDF und DRADIO

zwei Personen auf Alm

Der deutsche Wald stirbt

Diese Angst gab es schon in den 80er-Jahren und trotzdem steht er noch. Ist unsere Angst also übertrieben?
zwei Personen auf Alm

Klimagerecht Wirtschaften

Das versuchen Firmen aus Sachsen-Anhalt. Zum Beispiel mit dem Recycling von Windkraftanlagen. 

zwei Personen auf Alm

Das Label"Ocean Plastic"

Damit bewirbt die Industrie Recyclingprodukte. Aber werden die Meere durch diesen neuen Trend wirklich sauberer?

👋 Zum Schluss

Dass Plastik so einen gigantischen Anteil am globalen CO2-Ausstoß hat, hat mich überrascht. Und dann zu merken, wie weit wir von einer Dekarbonisierung dieses Sektors aktuell entfernt sind, hat mich deprimiert. Zur Aufheiterung an dieser Stelle deshalb noch eine kurze Ergänzung zur Plastik-Oktopus-Geschichte vom Anfang dieses Newsletters.

Als der Lego-Oktopus Ende der 1990er-Jahre vor der britischen Küste über Bord ging, war er nicht alleine. Ungefähr fünf Millionen Legofiguren landeten damals im Wasser – und Sammlerinnen und Sammler suchen sie seitdem an den Stränden von Cornwall. Falls Sie sich die Funde zu Gemüte führen wollen, empfehle ich den Instagram-Account Lego lost at Sea – selten wurde die bittersüße Ästhetik von Ozeanplastik derart liebevoll dokumentiert.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende 😊 
Inka Zimmermann 

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