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#138
vom 26. April 2024

Spoiler: Gute Nachrichten gibt’s zum Schluss

Junger Mann mit schwarzer Kappe, runder Brille und Bart
von Florian Zinner
Hallöchen.

Lassen Sie sich nicht vom neuen Gewand dieses Newsletters blenden, mit dem wir diese Woche um die Ecke kommen. Sie wissen ja: Schönheit vergeht.

Und gleichsam vergangen ist der Winter, dachte man sich so, bis es hieß, die dicke Jacke wieder aus der Mottenkiste zu kramen. In einem Monat, in dem eine gefühlte Bevölkerungsmehrheit nach vorbildlich-bundesdeutscher Manier bereits angegrillt oder zumindest angesonnenbadet hatte.

Die Berg- und Talfahrt der Extreme, nun, ist das noch Wetter oder schon Klimawandel? Gut zu wissen, dass man mit dieser Frage nicht alleine dasteht und der Kontinent unter ständiger Beobachtung steht. Und zwar durch den Klimawandeldienst des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus. Das hat diese Woche seinen siebten Bericht zur Lage des Klimas in Europa vorgelegt.

Und Sie müssen ihn gar nicht lesen. Sie haben ja uns. 😙

ZAHL DER WOCHE

1,7

… Millionen Euro hat der Deutsche Bahn-Konzern für die Feierlichkeiten zum Start seiner neuen gemeinnützigen Infrastruktur-Tochter ausgegeben. Am 23. Januar haben 2000 Gäste in einem Hamburger Hotel den Start von InfraGo gefeiert. Die Gesellschaft bündelt die Verantwortung für Schienen und Bahnhöfe im Sinne einer klimafreundlichen Mobilitätswende. Hinzu kämen weitere 330.000 Euro für eine Feier mit der Bundespolitik am Vorabend in Berlin, schreibt der Spiegel. Die Bahn unterstrich die Bedeutung der neuen DB-Tochter und die Wichtigkeit, Aufbruchstimmung zu vermitteln. Sie erklärte, während der Pandemie auf größere Veranstaltungen verzichtet zu haben. Die Feiern wurden aus Eigenmitteln des 2023 mit 34 Milliarden Euro verschuldeten Staatskonzern finanziert.

Heiß, nass, Badewanne: Europa im Klimawandel

Wir müssen das ohnehin offensichtliche Resümee des European State Of The Climate Report 2023 (ESOTC) nicht künstlich in die Länge ziehen: Es ist nicht das Wetter, sondern der Klimawandel, ja, und es ist zudem alles andere als erbaulich. Das Jahr 2023 war das zweitwärmste in Europa seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (oder sogar das wärmste – kommt ein bisschen auf den Datensatz an). In Erinnerung dürfte den meisten zum Beispiel die Hitzewelle im September geblieben sein, dem wärmsten September, der jemals gemessen wurde. Gleichzeitig hat es Winterfreunde in Mitteleuropa besonders schwer getroffen, 2023 gab es weniger Schneetage als im Durchschnitt. Und, viele können diese Leier wahrscheinlich nicht mehr hören: Die europäischen Gletscher schmelzen weiter munter dahin. Besonders schlimm ist das in den Alpen, wo die Eispanzer in den vergangenen zwei Jahren zehn Prozent ihres Restvolumens verloren haben.

Zusammenfassend lässt sich sagen: 2023 war im Vergleich zum langjährigen Mittel in elf von zwölf Monaten zu warm. Mit Blick auf den Beginn des aktuellen Jahres und die nun fast gewöhnlich anmutenden Temperaturrekorde scheint der Trend eindeutig: Die Geschichte der vergangenen Jahre und Jahrzehnte wird fortgeschrieben. Zu dieser Geschichte gehört die Tatsache, dass die drei wärmsten Jahre in Europa alle seit 2020 aufgetreten sind. Und die zehn wärmsten alle seit 2007. Europa macht seinem Ruf also alle Ehre, als Kontinent, der sich von allen am schnellsten erwärmt.

Klimaerwärmung: In Europa geht's besonders schnell

Nur, wieso bloß ist das so? Francesca Guglielmo ist leitende Wissenschaftlerin beim Copernicus Klimawandeldienst der Europäischen Union und damit eine, die es wissen muss. Sie betont erstmal, dass sich Europa unterschiedlich erwärmt: "In der Wintersaison ist die Erwärmung in den nördlichen Breiten stärker ausgeprägt. Im Sommer ist die Erwärmung in Mittel- und Südosteuropa sowie in der Mittelmeerregion am stärksten."
Grafik zeigt Temperaturabweichung vom langjährigen Mittel in Europa in Monaten Juni bis September. Juni West- und Nordeuropa zu warm, Juli Mitteleuropa leicht zu warm, Nordeuropa etwas zu kalt, Südosteuropa zu kalt, Südeuropa zu heiß, August Nord-und Ost- und Südeuropa zu heiß, September West-, Mittel, Nordeuropa viel zu heiß
Und das lässt sich beim Blick auf die vorliegenden Daten auch sehen, die zeigen, dass starke oder extreme Hitzestressbelastung in Südeuropa in den letzten Jahren vielerorts ein großes Thema waren. Der Grund für die schnelle Erwärmung Europas hat mehrere Faktoren. Ein Grund ist, dass unsere Luft sauberer geworden ist, auch wenn das paradox anmuten mag. Also Rußpartikel sind nicht mehr so das Thema, was an und für sich eine gute Nachricht ist. Damit wird aber auch weniger Sonneneinstrahlung abgeschirmt als im 20. Jahrhundert. Und es gibt noch mehr Gründe, sagt Francesca Guglielmo: "Darunter den Anteil des europäischen Territoriums in der Arktis, der sich am schnellsten erwärmenden Region der Erde und Änderungen in der atmosphärischen Zirkulation, die tendenziell häufiger sommerliche Hitzewellen begünstigen." So eine hatten wir vergangenes Jahr sogar im September.

Wenn man jetzt mal genau diesen September 2023 ausklammert: So rein vom Gefühl her war der Rest von 2023 aber zumindest in Mitteleuropa eher durchwachsen. Dieser Eindruck entsteht vielleicht auch, weil wir uns schlichtweg schon an die subtropischen Zustände gewöhnt haben und Mediterranisierung zum Lieblingssommerwort der Deutschen herangereift ist. Aber es stimmt auch, der Sommer war nicht durchgängig superheiß, sondern "nur leicht zu warm", möchte man fast sagen. Im Juli und August gab es in vielen Teilen Deutschlands teilweise keine oder nur wenig positive Abweichungen vom Mittel. Aber gerade im Südeuropa sah das ganz anders aus, dort ging eine Vielzahl von Tagen mit nicht nur hoher, sondern mit extremer Hitzebelastung einher. 23 der dreißig heftigsten Hitzewellen in Europa sind seit 2000 aufgetreten, fünf davon in den vergangenen drei Jahren.

Klimawandel heißt nicht warm und trocken

Der Klimawandel ist aber nicht einfach nur heißes Wetter, sondern zeigt sich in der Häufung von Wetterextremen. Dazu zählen nicht nur Hitzewellen, sondern auch Niederschlagsextreme. Eine Disziplin, in der das vergangene Jahr geradezu prototypisch war. Seit Beginn der Aufzeichnungen ist noch nie so viel Wasser die europäischen Flüsse heruntergeflossen, jeder dritte Fluss hatte Hochwasser und 16 Prozent sogar schweres Hochwasser, wie etwa in Norddeutschland, aber vor allem auch in den Alpen und Spanien.
Grafik zeigt Karte der Ozeane und Meere Europas und die Flächen, die 2023 am wärmsten, zweitwärmsten und wärmer als der Durchschnitt waren. Vor allem viel am wärmsten oder überdurchschnittlich, kaum unterdurchschnittlich warm.
Generell hat das Wasser bisher ungekannte Sorgen bereitet. Das haben möglicherweise alle mitbekommen, die 2023 im vermeintlichen kühlen Nass eine hübsche Sommerfrische gesucht haben. Und sich das Mittelmeer dann bedauerlicherweise eher wie ein Jacuzzi angefühlt hat. Durch die Bank weg waren die europäischen Meere wärmer als im Durchschnitt und die Gewässer von Schottland über große Teile des Atlantiks bis zum Mittelmeer sogar so warm wie noch nie. Da sprechen wir von bis zu fünf Grad über dem Durchschnitt, das ist bei Wasser eine ganze Menge.

Klimaschutz ist teuer, kein Klimaschutz noch teurer

Die Frage ist, was das alles nun bedeutet. Erstmal bedeutet es 13,4 Milliarden Euro. Das sind die geschätzten wetter- und klimabedingten Verluste für das Jahr 2023 in Europa, vor allem durch Überschwemmungen. Deutschlandticket, Wärmepumpenförderung, Ausbau der Erneuerbaren: Wenn wir davon sprechen, dass Klimaschutz eine Stange Geld kostet, sollte klar sein, dass "kein Klimaschutz" auf Dauer eben noch teurer wird.

Was sich schließlich am Ende gar nicht mehr mit Geld aufzuwiegen ist, sind die menschlichen Verluste. 2023 sind in Europa 63 Menschen durch Stürme, 44 durch Überschwemmungen und 44 durch Waldbrände ums Leben gekommen, so vorläufige Schätzungen. Hinzu kommt eine weitere Herausforderung für Menschen, aber auch die europäischen Gesundheitssysteme: Hitzestress.
Grafik zeigt Gebietsanteil von Südeuropa unter starkem oder extemem Hitzestress. 2023 gleich zwei Ausschläge, die über und fast vierzig Prozent von Südeuropa betrafen, auch 2022 weitverbreitet Hitzestress
Neben den direkten Auswirkungen einer hohen Wärmebelastung auf die menschliche Gesundheit – gerade in Kombination mit hoher Luftfeuchtigkeit – trägt Hitzestress auch zur Verstärkung von bestehenden Gesundheitszuständen bei. Der besorgte Blick ist hier besonders auf ältere Menschen gerichtet. Schaut man sich den Trend der vergangenen zwanzig Jahre an, ist die hitzebedingte Sterberate um dreißig Prozent gestiegen. Und das ist kein südeuropäisches Problem, sondern fast überall in Europa der Fall.

Europäische Klimapolitik zeigt Wirkung

Zusammenfassend kann man sagen: Der aktuelle Bericht zur Lage des Klimas in Europa bescheinigt abermals düstere Zeiten. Aber vom Kopp-in-Sand wird’s nicht besser, deshalb die gute Nachricht zum Schluss: Der Anteil an erneuerbaren Energien in Europa hat einen Rekordwert erreicht. 43 Prozent des Stroms in Europa kommt von Wind, Wasser, Sonne und Biomasse. Um zu sehen, woher wir gekommen sind: Vor sieben Jahren lag der Anteil von Erneuerbaren in ganz Europa bei erst 28 Prozent. Deutschland ist hier sogar Vorreiter, hierzulande kommt der Anteil von Erneuerbaren auf zwei Drittel, vierzig Prozent allein aus Windkraft.

2023 waren die Bedingungen für Erneuerbare besonders gut. Und die Klimapolitik scheint in Europa an dieser Stelle zu greifen. Was auch die Tatsache zeigt, dass wir im zweiten Jahr in Folge mehr Strom aus Erneuerbaren bezogen haben als aus fossilen Quellen. Ebenfalls eine gute Nachricht, denn die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas ist schließlich der Haupttreiber des Klimawandels. Das sollte natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kontinent auch künftig zweigleisig fahren muss und nicht müde werden kann, das Leben an die neuen Gegebenheiten anzupassen und ihnen gleichzeitig entgegenzuwirken.

Also Kopf hoch und weitermachen. Und die Winterjacke auch im April mit erleichterter Würde tragen.

Termine

bis Sonnabend, 27.4. – Sachsen
Bei den sächsischen Energietagen stehen auch vielerorts Veranstaltungen zu klimaschonender Energie- und Wärmeversorgung auf dem Programm – zum Beispiel der Tag der erneuerbaren Energien am 27.4. in Oederan.
Sonnabend, 27. April – vielerorts 
Tag der Streuobstwiese! Und weil Streuobstwiesen fast schon synonym für Artenvielfalt stehen, gibt’s vielerorts Veranstaltungen, etwa auf dem Steuobstwiesenfest am Steigerwald (Erfurt) oder das Obstblütenpicknick in Dessau-Roßlau.
Sonnabend, 4.5. – Plauen
Das Bündnis „KlimaNetz Vogtland“ lädt zum Klimatag anlässlich des Pflanzenflohmarkts auf dem Pfaffengut mit Vorträgen, Mitmachaktionen und Quiz. Für Essen und Getränke ist gesorgt. Infos hier
Mittwoch, 8.5. – online
Im Rahmen einer Ringvorlesung zur nachhaltigen Nutzung und Schutz von Meeren lädt der Warnemünder Ostseeforscher Matthias Gröger zur öffentlichen Vorlesung über Extremklima in Ostsee und Nordsee. Teilnahme hier

Klima und Menschheit

Forscher kritisiert mangelhafte Weitsicht bei CO2-Abscheidung
Der Chemiker und Sachbuchautor Bernhard Weßling kritisiert im Interview mit MDR WISSEN Vorstöße zur CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS). Bei diesem Verfahren wird CO2 aus Mischgasen gefiltert und eingelagert. Weßling verweist auf den thermodynamischen Wirkungsgrad, wodurch mehr Primärenergie eingesetzt werden müsse als am Ende zur Verfügung stehe. Das zeige sich auch an der physikalischen Größe der Entropie, die das Streben des Universums von einem geordneten zu einem ungeordneten Zustand beschreibt und nun unausgeglichen bleibe. CCS-Fabriken hätten einen hohen Preis in Form von Abfallhalden, Grundwasserabsenkungen durch Rohstoffabbau und einem Verlust an Biodiversität an Orten, wo solche Fabriken. So würden mehr Umweltschäden verursacht als atmosphärischer Schaden repariert. Weßling kritisiert, dass Entropie als „lebensfremdes abstraktes Konzept“ angesehen werde. Erst kürzlich hatte sich die Gelehrtengesellschaft Leopoldina für eine Speicherung von CO2 auch an Land ausgesprochen.
Umweltverbände starten Klimawandelcheck zur Europawahl
Ein Zusammenschluss verschiedener Umweltverbände hat im Vorfeld der Europawahl einen parteipolitischen Klimacheck als Onlineangebot gestartet. Das Werkzeug befragt – vergleichbar mit dem bekannten Wahl-O-Mat – Nutzende zu Einschätzungen hinsichtlich drängender klimapolitischer Entscheidungen und vergleicht dahingehend die Parteiprogramme auf Zustimmung. Im Vorfeld wurden die Programme der sechs größten deutschen, im EU-Parlament vertretenen Parteien im Hinblick auf Klimaschutz untersucht. Neben der Deutschen Klima-Allianz und Protect the Planet sind an dem Angebot der Naturschutzbund Nabu und der Deutsche Naturschutzring beteiligt.
BUND: Berliner 29-Euro-Ticket „große Verantwortungslosigkeit“
Der Umweltverband BUND hat das vom Berliner Senat im Alleingang geplante stadtweite 29-Euro-Nahverkehrsticket kritisiert. Das Ticket sei für die Verkehrswende nicht hilfreich, die Auswirkungen seien hingegen bundesweit zu spüren. Es sei sinnvoller, rabattierte Deutschlandtickets für Menschen mit geringem Einkommen anzubieten und gespartes Geld in den Ausbau der Infrastruktur zu stecken. Bundesverkehrsminister Wissing kritisierte, statt Geld für ein eigenes Ticket in die Hand zu nehmen, solle lieber der Ticketpreis des 49-Euro-Tickets gehalten werden. Der bayerische Verkehrsminister Bernreiter betonte, durch den Länderfinanzausgleich, von dem Berlin profitiere, würde das Ticket „quasi mit bayerischem Geld“ finanziert. Das von der Berliner Koalition aus CDU und SPD beschlossene Ticket soll ab Mai im Jahresabonnement gelten und etwa 300 Millionen Euro jährlich kosten.

ARD, ZDF und DRADIO

Logo Gute Nachrichten vom Planeten

Neue gute Nachrichten für Klima und Umwelt

Die ARTE-Serie "Gute Nachrichten vom Planeten" zeigt, wie guter Klima- und Umweltschutz jetzt schon funktioniert. Fünf neue Filme gibt es jetzt.
Reporter und Kamerafrau in Hochwasser

Klimaschutz statt Klimafrust

Berichte über den Klimawandel frustrieren zumeist. Muss sich Klimajournalismus ändern, um Menschen für das Thema zu sensibilisieren?
zwei Personen auf Alm mit Kühen

Braunvieh, Ziegenmist und Bergkartoffeln

Im Leben der Bergbauern spielen auch Naturgewalten wie Starkregen, Trockenheit und Bergrutsche eine Rolle. Die Herausforderungen wachsen angesichts der Klimaveränderungen.

👋 Zum Schluss

Ich sag's Ihnen in bestmöglicher Aufrichtigkeit: Uns ist durchaus klar, dass der europäische Klimabericht mal wieder so ein Thema ist, das Ihnen nicht unbedingt das Wochenende versüßen wird. Vielleicht lösen diese Nachrichten Schulterzucken aus, vielleicht Aktionismus, vielleicht Wut oder möglicherweise auch Hilflosigkeit.

Also, tun Sie sich was Gutes. Zum Beispiel mit der neuen Staffel "Gute Nachrichten vom Planeten", die wir Ihnen schon weiter oben empfohlen haben. Neben den fünf Folgen der ersten sind nun auch die fünf Folgen der zweiten Staffel in der ARD-Mediathek verfügbar.

Schauen Sie rein. Und essen Sie eine Portion Eiscreme. Oder zwei.

Herzlich
Florian Zinner

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