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Illustration: Junge in einem Lapttopbildschirm schiebt Einkaufswagen voller Spielwaren aus dem Bildschirm heraus, Text: Das MDR Klima-Update
Ausgabe #131
vom Freitag, 8. März 2024

Online oder im Laden shoppen: Verdammt, wie isses denn nun richtig?

junger Mann mit schwarzer Kappe, Bart und runder Brille
von Florian Zinner

Hallöchen.

Na? Sind Sie auch schon von der ganzen Frühlingsluft vorzeitig betüdelt? Frühjahrsputz schon durch? Nach dem Ausmisten ist vor dem Ausmisten und damit Zeit für Neues: Vielleicht ein pastellfarbenes Frühlingsleibchen, mit dem es sich erfrischt zwischen Osterglocken umherspringen lässt? Oder ein origineller Scheibenputzroboter, damit der Frühlingssonne nicht der Weg in die Wohnstube vernebelt wird?

Die Konsumlaune der Deutschen ist zwar gerade – gelinde gesagt – zurückhaltend, aber hinsichtlich Klimaschutz ist das nun nicht gerade die schlechteste Nachricht. Doch wer weiß, was die Märzenluft so aus den Konsumentinnen und Konsumenten noch herauskitzelt. Und dann blitzt sie wieder auf, die Onlineshopping-Scham. Und dann stehen sie wieder auf den Radwegen, die Lieferfahrzeuge. Und dann stapeln sie sich wieder außerhalb der blauen Tonne, die leeren Pappverpackungen.

Und dann rümpft der ökologisch sensibilisierte Mensch wieder die Nase und bestreitet seinen Weg zum stationären Einzelhandel, in der Hoffnung, ein Vorbild zu sein. Mit Recht? Gute Frage. Klären wir heute.

#️⃣ Zahl der Woche

6,6

… Grad warm war der Februar im Mittel. Das sind, mit Verlaub, mediterrane Umstände und Werte, wie sie in Venedig oder Genua zu dieser Jahreszeit üblich sind. Der DWD nennt den Februar beispiellos und verweist auf die international gültige Referenzperiode 1961 bis 1990 mit einem deutschen Mittel von 0,4 Grad und das neue warme Klimamittel 1991 bis 2020 mit 1,5 Grad. Der Winter 23/24, der statistisch am 29.2. geendet hat, ist der drittwärmste und einer der nassesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Auch weltweit war der Februar ein Rekordmonat (siehe unten).

Stationärer Handel oder Onlineshopping: Wohin mit der Einkaufsmoral?

Bevor Sie rügende E-Mails an uns schicken, sage ich es Ihnen lieber gleich: Die Themen Konsum und Konsumentscheidung sind derart vielseitig, dass wir gewisse Dimensionen von vornherein ausklammern müssen: zum Beispiel die prekären Arbeitsbedingungen in der Logistik-Branche. Oder die in den Warenlagern großer Onlineversandhäuser. Oder die zahlreichen Betrugsmaschen, wie die neuerliche Dreiecksmethode. Oder einfach der Dauerlauf zum Paketshop. Aber es gibt auch sonst genug, worüber es sich zu unterhalten lohnt.

Zum Beispiel über die eingangs genannte Sichtbarwerdung des Onlinehandelns, insbesondere in den Städten, wo sich neben verlassenen Ladengeschäften die Pappkartons und selbst nach Feierabend noch die Lieferfahrzeuge stapeln. „Das sind eben die Dinge, die man sieht und daher dann diese gefühlte Wahrheit, dass Onlinehandel per se deutlich schlechter ist als der stationäre Handel“, sagt Till Zimmermann, der sich bei Ökopol mit der umweltfreundlichen Gestaltung von Produktsystemen beschäftigt, zum Beispiel im Auftrag des Umweltbundesamts. Und der selbst ein Hybrid-Käufer ist – und die Vorteile des Onlineshoppings klar zu schätzen weiß.

Und damit keinesfalls in einen Interessenkonflikt gerät. Denn die Studienlage zu dem Thema zeichnet ein mindestens differenziertes, wenn nicht gar eindeutiges Bild: „Wenn wir in die Studien reingucken, die den durchschnittlichen Kauf im Onlinehandel mit dem durchschnittlichen Kauf im stationären Einzelhandel vergleichen, ist es tatsächlich so, dass in der Mehrheit dieser Studien dem Onlinehandel eine ökologische Vorteilhaftigkeit bescheinigt wird.“
Onlineshopping: Wieso ist das auf einmal besser?
Das große Aber kommt zum Schluss, erstmal bleibt nur ein: Na sowas. Schauen wir mal rein, in so einer Studie. Zum Beispiel in die der Unternehmensberatung Oliver Wyman zusammen mit Forschenden der Universität St. Gallen. (Kleine Transparenznotiz: Die Studie wurde von Amazon in Auftrag gegeben, die Forschenden versichern laut Handelsblatt aber, dass der Onlinehändler keinen Einfluss auf Methodik, Analyse und Ergebnisse hatte.) Die Untersuchung hat ergeben, dass die durchschnittlich freigesetzten CO2-Äquivalente im stationären Handel mehr als doppelt so groß sind wie im Onlinehandel. Betrachtet man das Einkaufsverhalten in Deutschland, werden beim Kauf eines Produkts im Laden sogar fast dreimal so viele CO2-Äquivalente freigesetzt.

Wie konnte uns die eigene Klimaspürnase nur derart täuschen? Ach nun, hat sie vielleicht gar nicht, aber dazu später. Von der Herstellung des Produkts über den Transport bis hin zum Händler gibt es erstmal grundlegend keinen Unterschied zwischen Versand- und stationärem Handel. Und dann geht es los: „Wir haben das Ladengeschäft, was beleuchtet wird, was beheizt wird und wo die Produkte eben so präsentiert werden, dass sie ansprechend sind, dass sie gekauft werden“, erklärt Till Zimmermann. Und dann eben die Kundschaft, die erstmal zum Geschäft und wieder nach Hause kommen muss – die legendäre letzte Meile. „Im Durchschnitt fahren die Deutschen überwiegend mit dem Auto in das Ladengeschäft und das ist eben ein ganz relevanter Punkt, der auch hier in die ökologische Bewertung mit reinfließt.“ Denken Sie nur, wie viele Einkaufsbummeltaschen in einen einzelnen gelben, blauen oder braunen Paketlieferwagen passen würden.

🚚💨

Bei diesen Faktoren steht der Versandhandel ohne Frage besser dar. Zwar müssen auch dort große Lagerhallen mit Energie versorgt werden und Lieferautos betrieben werden. Runtergerechnet auf das einzelne Produkt ist diese Form aber am effektivsten. Hinzu kommen die Bestrebungen der Versandhäuser und der Logistikbranche, ihre Klimabilanz zu verbessern. Der Vorstandschef der Otto Group, zu der neben Otto zum Beispiel auch About You und Manufactum gehören, hat gegenüber dem Handelsblatt betont, die Zeiten des Greenwashings seien endgültig vorbei und klimafaires Verhalten die Betriebsgrundlage. Kein origineller Schachzug, klar, aber immerhin ein Statement. 
Zwischenfazit!
Es steht also eins zu null für den Onlinehandel. (Außer bei Produkten, für die eine Kühlkette eingehalten werden muss. Hier schneiden Supermärkte Till Zimmermann zufolge in der Regel besser ab.) Nur, wie sieht es jetzt dem ökologisch produzierten T-Shirt aus der kleinen, im absoluten Energieverbrauch eher bescheidenen Innenstadtboutique aus, im Vergleich zum Kauf des gleichen T-Shirts in einem großen Onlineversandhaus? Das sei ein besonders treffendes Beispiel, sagt Till Zimmermann. Schon allein der Transport zur Boutique könnte in der Klimabilanz schlechter ausfallen, wenn er nicht in einem großen, voll beladenen Fahrzeug geschieht. „Wenn wir uns dann den kleinen Bekleidungsladen angucken, der einen deutlich, deutlich geringeren Produktumsatz hat, der gleichzeitig die Produkte präsentieren muss, im Winter muss er heizen, im Sommer wird er vielleicht gegebenenfalls sogar klimatisiert, damit die Kunden sich wohlfühlen“, dann wirke sich das alles deutlich negativer auf das Einzelprodukt aus. Im Schnitt fallen, der Schweizer Studie zufolge, sechzig Prozent der CO2-Äquivalente pro Produkt auf den Energiebedarf der Immobilie im Einzelhandel, beim Versand sind es nur zwanzig Prozent. Wenn dann auch noch der Weg zum Geschäft mit dem Privatwagen erfolgt – nun denn.
Obacht, es geht nicht ohne das ABER!
Das können auch die eingesparten Versandverpackungen nicht mehr rausreißen, obgleich die ein wichtiger Posten bei der Klimabilanz sind. Wohl aber andere Faktoren. Wir erinnern uns: Der Klimavorteil des Onlinehandels ist eine Momentaufnahme und orientiert sich am durchschnittlichen Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten. Und der Ladenbetreiberinnen und -betreiber. Stellt das Geschäft auf eine umweltfreundliche Heizung und Stromquelle um und kommt die Kundschaft vorrangig mit dem Fahrrad oder ÖPNV zum Einkauf, sieht es schon viel besser aus. Aber auch das ist nicht der Weisheit letzter Schluss.

Denn wo wir etwas kaufen, wird fast unwichtig, wenn wir darauf schauen, was wir eigentlich kaufen: „Natürlich müssen wir hier zwischen den verschiedenen Arten von Produkten entscheiden, aber in den allermeisten Fällen ist es so, dass erstmal mit der Herstellung des Produkts und dann später auch in der Nutzung des Produkts potenziell deutlich mehr Umweltwirkungen verursacht werden als im Handel.“ Ein ökologisches T-Shirt aus dem Einzelhandel wäre also einem konventionell produzierten aus dem Onlinehandel unter Umständen vorzuziehen. Deutlich wird es beim Blick auf den Lebenszyklus eines Produkts, etwa eines Laptops: Fast siebzig Prozent der Emissionen fallen bei der Herstellung an. Bei einem Buch sind es sogar über neunzig Prozent, obgleich dessen Gesamtemissionen weitaus kleiner ausfallen und keine durch die Nutzung anfallen.
Grafik zeigt zwei Kreisdiagramme für Emissionsanteile am Lebenszyklus von Büchern und Laptops. Herstellung bei Buch 92 Prozent, bei Notebooks 69 Prozent. Handel bei Notebooks 10 Prozent, bei Büchern 2 Prozent.
Die finale Logik dieser Erkenntnis: Der beste Konsum ist gar keiner. Gerade der Onlinehandel kann aber Gegenteiliges bewirken. Hier kommt es ganz klar auf die Dimension an, die wir betrachten: Wenn alle Menschen am Black Friday konsumieren und das restliche Jahr nicht, dann könnte sich die Klimabilanz sogar verbessern, weil dann die Transportfahrzeuge besser ausgelastet sind. „Aber es geht ja darum, eben Konsum zu schaffen, wo sonst keiner wäre“, sagt Till Zimmermann. „Wenn hier dann noch eine Retour stattfindet, also wenn ich das Produkt zurückschicke, habe ich wieder Transport mit Umweltwirkungen.“ Klarer Punkt für den Einzelhandel: Dort lassen sich Sachen vorher anprobieren.

Zwar locken auch örtliche Geschäfte mit Vergünstigungen. Doch gerade im Onlinehandel ist der Preiskampf intensiv und die bequeme Verheißung, ohne Aufwand Produkte einzukaufen, ungleich höher als sich erst zur stationären Ladenzeile zu bequemen. Nur um dann festzustellen, dort doch nichts Passendes gefunden zu haben.

Im Idealfall stellen wir aber genau das fest – dass wir nichts brauchen.

🗓 Klimatermine

Sonnabend, 9.3. – Merseburg

Die Heinrich-Böll-Stiftung und der Nabu laden zur Buchvorstellung „Das Liebesleben der Vögel“ mit dem Ökochemiker Ernst Paul Dörfler, in der Artenvielfalt und -schutz „mit Witz und Leichtigkeit“ vermittelt werden. Vorher gibt es einen Nistkasten-Workshop. Infos

Montag, 11.3. – Leipzig

In einem Vortrag am Mediencampus Villa Ida analysiert MDR-Meteorologin Michaela Koschak den Jetzt-Zustand unseres Planeten und schaut mit uns in eine bessere Zukunft. 19 Uhr geht’s los.

Montag, 11.3. – München und online

In einem Vortrag erläutert der Jurist Christoph Meyer, inwiefern Eigentümerinnen und Mieter vom neuen Heizungsgesetz betroffen sind. 19 Uhr geht’s los, Anmeldung hier.

bis 7.4. – bundesweit

Die Initiative Culture4Climate vergibt erstmals den „Wirkmächtig“-Preis und zeichnet damit besondere Klimaschutz-Initiativen im Kulturbereich aus. Noch bis Anfang April können Projekte hier angemeldet werden.

📰 Klimaforschung und Menschheit

Wärmster Februar, Meerwasser-Rekord und weiterhin über 1,5 Grad

Das hat der Europäische Erdbeobachtungsdienst Copernicus bekannt gegeben. So lag die weltweite Durchschnittstemperatur mit 13,54 Grad um 0,81 Grad über dem neuen Klimamittel zwischen 1991 und 2020 und noch mal 0,12 Grad über dem bisher wärmsten Februar 2016. Die Temperatur der letzten zwölf Monate liegt weiterhin über 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Trotz Abschwächung des El Niño-Effekts im äquatorialen Pazifik bleiben die Wasseroberflächentemperaturen der Meere weiterhin hoch und haben mit über 21 Grad weltweiten Durchschnitt den Rekord vom August 2023 eingestellt.

Weltweiter (fossiler) Energiehunger steigt weiter

Der weltweite Energiebedarf hat 2022 ein neues Rekordniveau erreicht, das ergab eine aktuelle Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Demnach steige auch weiterhin die Produktion fossiler Brennstoffe, im Gegensatz zum von Klimaforschenden geforderten drastischen Rückgang. So hätte sich die globale Erdölförderung um fünf Prozent erhöht, die Hartkohlenförderung um acht Prozent. Auch der Ausbau erneuerbarer Energien erreichte 2022 einen Rekordwert, konnte dem Anstieg beim CO2-Ausstoß aber nicht entgegenwirken. Hintergründe bei Utopia

Wärmepumpen-Absatz in Europa eingebrochen

Im vergangenen Jahr ist der Verkauf von Wärmepumpen in acht europäischen Ländern eingebrochen, darunter Frankreich, Italien, Österreich und die Schweiz. In fünf Ländern wie Deutschland und Spanien stieg der Absatz zwar etwas, sank jedoch im vierten Quartal. Der Herstellerverband EHPA geht von einem Pessimismus aufgrund des ursprünglich für Anfang 2024 angesetzten Aktionsplans durch die EU-Kommission zurück. Der wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Weitere Gründe seien erschwerte Investitionen durch hohe Zinsen und Einstellung von Förderung in etlichen Ländern. Mehr Infos bei der taz

📻 Klima in MDR und ARD

Frau mit Brille und schulterlangen blonden Haaren

Regierung darf Meyer Burger nicht ziehen lassen

In Kemferts Klima-Podcast betont die Energieökonomin die Bedeutung deutscher Solarunternehmen und forderte die Bundesregierung auf, einen sogenannten Resilienzbonus einzuführen.

Artikel im MDR
Podcast ARD-Audiothek

Kristalle in Sand

Warum Norwegen Tiefseebergbau will

… trotz des Ausmaßes für Umwelt und Klima. Genau damit argumentiert allerdings auch die norwegische Regierung.
Bebauter Sandstrand und Text Der Wind, Motor des Klimawandels

Wind: Motor des Klimawandels

Der Wind sorgt in unseren Breitengraden für den Wechsel zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten. Doch der Klimawandel verändert die bestehenden Windverhältnisse überall auf der Erde. 

👋 Zum Schluss

Sind Sie beim Thema Einkaufen jetzt genau so verwirrt und in Ihrem Weltbild entrückt wie ich? Weia. Na, vielleicht helfen ja folgende Fragen weiter, die es sich bei jeder Anschaffung zu stellen lohnt:

1️⃣ Brauche ich das Produkt denn wirklich ganz dringend?
2️⃣ Kann ich das Produkt gebraucht kaufen?
3️⃣ Gibt es eine umweltfreundliche (und ethische) Variante für das Produkt?
4️⃣ Und ist sie auch potenziell langlebig?
5️⃣ Brauche ich das Produkt immer noch?
6️⃣ Gibt es einen Laden in meiner Nähe, den ich zu Fuß, mit dem Rad oder ÖPNV erreichen kann – und der sich sogar um eine gute Klimabilanz bemüht und das Produkt oder ein vergleichbares führt?
7️⃣ Brauche ich das Produkt wirklich immer noch?

Fröhliches Frühjahrsshopping Ihnen!

Und passen Sie auf sich und die Welt auf.

Herzlich
Florian Zinner