In der Serie "Politisch motiviert" ergründen unsere Autorinnen und Autoren politische Themen der Woche. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 29/2024.

Rückwärts lässt sich die Bürgermeisterin von der Leiter ins Wasser gleiten, ihre Unterarme und Waden sind frei, der restliche Körper von einem grau-orangenen Neoprenanzug geschützt. Die Seine ist kalt in Paris, und vor allem ist sie dreckig. Anne Hidalgo lässt sich treiben, macht einige geübte Kraulzüge, eine Schwimmbrille hat sie auch dabei, und als ihr jemand zuruft, ob es gut sei im Wasser, ruft sie zurück, so ist es auf einem Video zu sehen: "Super! C’est geniale!"

Wenn eine Politikerin Baden geht, ist das immer eine Nachricht wert. In Hidalgos Fall, weil sie beweisen wollte, dass die Seine pünktlich zu den Olympischen Spielen sauber ist – oder zumindest nicht mehr eklig. Die knapp anderthalb Milliarden Euro, die ausgegeben wurden, damit weniger Dreck und Abfall im Wasser landet, müssen sich schließlich gelohnt haben. 

Hidalgo knüpft mit ihrem Badeausflug an eine der überraschendsten und aufschlussreichsten Bildtraditionen politischer Macht an: Karl der Große, Mao Tse-tung, Mussolini, Kurt Georg Kiesinger, Klaus Töpfer – sie alle sprangen ins Wasser und legten Wert darauf, dabei gesehen, gemalt, fotografiert oder gefilmt zu werden. Wie bei Hidalgo war bei ihnen das Schwimmen ein symbolischer Akt, der die eigene Herrschaft schützen und stärken sollte. 

Herrscher hoch zu Ross

Die Schwimmbilder sind deshalb so besonders, weil sie überhaupt nicht zur üblichen Ikonografie und Metaphorik politischer Macht zu passen scheinen. Nein, wer herrscht, sitzt traditionell lieber hoch zu Ross. Europäische Hauptstädte sind voll mit Reiterstandbildern von Königen und Kaisern. Auch Wladimir Putin platzierte fürs Foto seinen durchtrainierten Herrscherkörper auf einem Pferd, das ihm natürlich, darum geht es ja, gehorchte.

Schwimmen hingegen: Nasse Haare, Wasser bis zum Hals, womöglich allzu gut sichtbare Wohlstandsbäuche und andere sogenannte Problemzonen – alles ästhetisch potenziell irre unvorteilhaft und deshalb gefährlich. 

Als im August 1919 ein Foto des damals neuen Reichspräsidenten Friedrich Ebert auftauchte, wie er in einer labbrigen Badehose knietief und oberkörperfrei in der Ostsee stand, schlachteten seine politischen Gegner die vermeintliche Ungehörigkeit dieses Auftritts nach Kräften aus. Bei Auftritten von Ebert sollen danach sogar aus Spott Badehosen geschwenkt worden sein. Der hatte das Risiko der Schwimmbilder, als er da im Wasser stand, noch selbst erkannt, er hatte dem Fotografen eigentlich sogar das Versprechen abgenommen, es müsste privat bleiben. 

Auch metaphorisch scheint im Wasser auf den ersten Blick wenig gewinnen zu geben. Welcher Politiker will schon "ins Schwimmen geraten" oder "baden gehen"? Schwimmer befehlen nicht, sondern müssen dem Wasser gehorchen. Sie überblicken die Dinge nicht von oben wie die aristokratischen Reiter zu Pferde, sondern sind bis zum Hals der Strömung ausgeliefert. Sie sind, politisch gesprochen, der Masse gerade nicht enthoben, sondern schwimmen in und auf ihr. Das wiederum macht das Wasser doch wieder reizvoll für Politiker, zumindest für manche.