Ansicht von oben: Künstliche Bewässerung durch einen quer laufenden Strahl eines trockenen Kartoffelackers mit symmetrischen Rillen 3 min
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Klimaforschung 1,5-Grad-Ziel: Haben wir es doch schon bald geknackt?

06. Juni 2025, 21:33 Uhr

Felder so trocken wie Mürbeteigkekse. Oder der staubige Radieschenacker im eigenen Garten: Der ausbleibende Niederschlag in diesem Jahr war vielerorts zu spüren – eine durch den Klimawandel besonders begünstigte Situation. Damit so etwas künftig nicht noch häufiger vorkommt, hat sich die internationale Staatengemeinschaft verständigt, die Erderwärmung auf 1,5 bis zwei Grad zu begrenzen. Bislang galt: Dass diese Werte erreicht sind, dafür braucht es noch ein paar Jahre. Aktuelle Forschung aus Leipzig und Graz sieht das anders.

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Deutlich unter zwei Grad, aber nach Möglichkeit einskommafünf. Nun ja: Das große Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen klang schon immer etwas vage. Völlig zu Recht wird es deshalb auf "1,5-Grad-Ziel" verknappt und heißt im Grunde: Wärmer sollte es auf der Welt in einem zwanzigjährigen Mittel am besten nicht werden – bis zum Ende des Jahrhunderts. Der aktuelle Weltklimabericht des IPCC zeigt aber: Diese symbolträchtigen 1,5 Grad könnten bereits zwischen 2030 und 2035 geknackt werden.

Forschende der Uni Graz sagen jetzt: Das reicht nicht. Denn schon 2024 lag das langjährige Mittel bei 1,4 Grad. "Und wenn man das dann weiter fortschreibt über ein Jahrzehnt, dann sieht man eben, diese mittlere Zwanzig-Jahre-Temperatur überschreitet 2028 erstmals die 1,5 Grad-Schwelle." Plus-minus zwei Jahre, wohlgemerkt, sagt Gottfried Kirchengast, Klimaforscher an der Uni Graz.

Neue Berechnungsmethode, klarere Daten

Verschiedene Kurven zeigen an, dass das langjährige Mittel 2024 knapp unter dem 1,5-Grad-Ziel lag, dass 2028 der Mittelwert bei 1,5 Grad liegen könnte und dass nur ambitionierter Klimaschutz die Kurve knapp über 1,5 Grad halten kann bzw. wieder leicht nach unten korrigieren kann.
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Er und sein Team haben sich die Fortschritte in der Klimaphysik zunutze gemacht und konnten die weltweite Oberflächentemperatur genauer berechnen als zuvor. Bisher lag den Berechnungen eine Mischtemperatur aus Luft und der obersten Wasserschicht der Ozeane zugrunde – letztere wurde durch Messbojen aufgezeichnet. Mit der jetzt im Fachblatt Nature Communications Earth & Environment veröffentlichten Methode, basiert die Berechnung nur noch auf der weltweiten Lufttemperatur nahe der Erdoberfläche, egal ob an Land oder zur See. Außerdem lässt sich so der menschengemachte Temperaturanstieg von speziellen Klimaphänomenen wie El Niño und anderen natürlichen Schwankungen besser unterscheiden. Die Erwärmung ist den neuen Daten zufolge bereits sechs Prozent stärker ausgefallen als in bisherigen Berechnungen.

Die neue Methode ist plausibel, so die Einschätzung von Jakob Zscheischler, Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. "Das ist auch konsistent mit einem Ergebnis von uns vor ein paar Monaten, wo wir uns angeschaut haben, wie schnell wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen, wenn wir schon ein Jahr beobachtet haben, was jetzt 1,5 Grad wärmer war als in vorindustrieller Zeit."

Das ist – wie die derzeitige Serie an Temperaturrekorden zeigt – seit fast zwei Jahren der Fall. Die Forschungsarbeit vom UFZ legt deshalb nahe: Wahrscheinlich befinden wir uns schon jetzt in dem Zwanzig-Jahre-Zeitraum, in dem die Erde 1,5 Grad zu warm ist.

1,5 Grad bald geknackt? Eigentlich wenig überraschend

Auch Johanna Baehr, die an der Uni Hamburg selbst an Klimamodellen arbeitet, schätzt die Ergebnisse aus Graz, auch, wenn sie das Ganze nicht unbedingt überrascht: "Wir sehen schon jetzt, dass an einzelnen Orten die Erwärmung lokal deutlich über 1,5 Grad hinausgeht." Baehr betont, dass nicht nur das Einhalten von politischen Grenzwerten wichtig ist, sondern es schlichtweg um jedes einzelne Zehntel Grad Erwärmung geht, das vermieden werden muss, um Klimafolgen wie Hitze, Dürre und Überschwemmungen zu verhindern.

Die Konsequenzen sprechen eine deutliche Sprache: Wenn das 1,5 Grad-Ziel bereits so früh geknackt wird, muss sich die Menschheit wahrscheinlich noch mehr ins Zeug legen, als sie es ohnehin schon muss, um bis zum Ende des Jahrhunderts wieder den akzeptablen Erwärmungspfad einzuschlagen. Soll heißen: Ein Überschreiten der 1,5 Grad ist zwar drin, macht die Sache unterm Strich aber noch beschwerlicher als ohnehin schon.

Gottfried Kirchengast von der Uni Graz weist noch auf einen weiteren Umstand hin: Wenn die 1,5 Grad näher als gedacht sind, dann wirkt sich das auch auf den Rest an Treibhausgasen aus, die jeder Mensch und jedes Land noch ausstoßen darf. Weltweit bedeutet das, "dass nach dieser Rechnung ungefähr 200 Gigatonnen CO2 weniger zur Verfügung stehen". Für sein Heimatland Österreich hat Kirchengast schon einmal die Konsequenzen durchgerechnet. In dem Industriestaat ist das CO2-Restbudget dann nicht erst 2025 aufgebraucht, sondern war es bereits vor drei Jahren.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 03. Juni 2025 | 19:24 Uhr

48 Kommentare

DiE wAhRhEiT vor 3 Tagen

Das lustige an Leuten, die den menschengemachten Klimawandel leugnen, ist, dass jeder einzelne von denen eine eigene Theorie hat, warum die Erde nun wärmer wird. Mal sind es die Messmethoden, mal die Luftverschmutzung, mal ist es die Sonne und ein anders mal der Mond. Es ist schon fast lustig, wenn es nicht so erbärmlich wäre.
Die Menschheit rennt gerade in den sicheren Tod, reißt die meisten anderen Lebewesen mit sich und anstatt zu versuchen, noch etwas dagegen anzukämpfen, wird es einfach komplett verleugnet und die Gesellschaft so sehr gespalten, dass am Ende gar nichts passiert. Es ist traurig, dass die Realitätsverweigerer diejenigen sind, die ihren Mund am weitesten aufreißen, um so viel Unsinn wie möglich zu verbreiten - auf jeder Plattform, in jeder Kommentarspalte. Auf der anderen Seite sind Menschen, die einheitlich mit denselben Fakten argumentieren, aber kaum eine Chance haben.
Ich persönlich habe kaum noch Hoffnung und bin gespannt, was in den nächsten Jahren passiert.

dimehl vor 5 Wochen

@mbo77:
Zum Einen:
"Sie" bitte.
Zum Anderen:
Suizid? Wäre schade, wäre Jemand, der gar nicht so "problematisch" ist:
kein eigenes Fahrzeug, nur Bahn und ÖPNV, keine Flugreisen, wenn möglich, Bio... ;-)
" Geboren in einer Region mit hoher Bevölkerungsdichte und überdurchschnittlichem Konsum. "
Das dürfte sehr wahrscheinlich auch auf Sie zutreffen:
wer im Glashaus wohnt, der sollte nicht mit Steinen werfen ... ;-)

mbo77 vor 5 Wochen

Das ist falsch. Menschen wie du sind natürlich problematisch.

Geboren in einer Region mit hoher Bevölkerungsdichte und überdurchschnittlichem Konsum.

Aber was soll wir daraus folgern? Dass dein Suizid die Antwort darauf ist? Wohl kaum, oder?

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