Hinterhof-Szene mit kleinem Hinterhaus, an dem mehrere Solar-Paneele montiert sind, davor Zaun mit Graffitti, düstere Stimmung mit Lichtspot auf Hinterhaus und Paneele 3 min
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Stromausfall durch Erneuerbare Energien Blackout durch Solar-Infarkt? Warum wir keine Angst vor der Sonne haben müssen

10. April 2025, 18:07 Uhr

Die Sonne meint’s gut mit uns in diesem Frühjahr und schießt dabei etwas übers Ziel hinaus. Abgesehen von einer drohenden Dürre wird auch wieder die Angst vor Stromausfällen laut, weil zu viel Sonnenenergie ins Stromnetz eingespeist werden könnte. In den vergangenen Jahren sind viele neue PV-Anlagen ans Netz gegangen, allein 2024 in der Größenordnung mehrerer Atomkraftwerke. Aber reicht das für einen "Solar-Infarkt", wie ihn manche nennen? Kaum. Ein Blackout ist in der Theorie aber real.

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Bei Volker Quaschning grüßt das Murmeltier zumindest jährlich und lässt auch beim Vokabular nichts liegen: Solar-Infarkt. Das Wort für den Blackout durch zu viel Sonnenstrom zeichnet sich nicht gerade durch Wohlklang aus und ist eines dieser Vorurteile, die immer wieder rausgeholt werden, seitdem Quaschning vor über dreißig Jahren damit angefangen hat, sich mit Erneuerbaren zu beschäftigen.

Für das das Frühjahr 2025, in dem es die Sonne etwas zu gut meint, kann der Professor für regenerative Energiesysteme von der HTW Berlin schon mal Entwarnung geben: "Wenn wir jetzt mal noch einen Monat weitergehen, Mai, Juni, dann können das nochmal fünf oder zehn Prozent mehr werden, was die Solaranlagen liefern. Also das kriegen wir in den Stromnetzen auch noch verkraftet." Und zwar auch mittags, wenn die mitteleuropäische Sonne mit voller Kraft auf die Paneele donnert.

Blackout durch Erneuerbare? Blick auf die nächsten Jahre richten

In Deutschland ist der Ausbau der Erneuerbaren vielleicht nicht in vollem, aber zumindest im Gange. So auch der Zubau an Photovoltaik-Kapazitäten, besonders im Süden und Westen der Republik. Die Jahre 2023 und 2024 liegen weit über dem Boom um 2010 herum, gut die Hälfte der Neukapazitäten stammen aus Privathaushalten. Die insgesamt 14,8 Gigawatt aus dem Jahr 2024 entsprechen der Leistung von zehn Atomkraftwerken.

Statt in den nächsten Monaten unbegründete Sorgenfalten in Richtung Blackout zu ziehen, sei es viel wichtiger, auf die nächsten Jahre zu schauen, sagt Quaschning. "Natürlich muss die Energieversorgung dann in zehn Jahren auch ganz anders aussehen wie vor zehn Jahren, aber da muss man halt die Lösung adressieren und nicht permanent die Bevölkerung kirre machen." Das bedeutet: "Wir müssen uns überlegen, wie kriegen wir das System auch stabil, wenn wir doppelt so viele Solaranlagen haben."

Problem: Erneuerbare Energieerzeugung liefert keinen gleichmäßigen Strom

Denn dass erneuerbare Energiezeugung nicht so gleichmäßig funktioniert wie fossile, liegt in der Natur der Witterung: Bei Sonne gibt's viel Strom, bei Wind auch, bei einer Dunkelflaute weniger. Wenn aber zu viel oder auch zu wenig Energie ins Stromnetz eingespeist wird, kann das Netz zusammenbrechen. "Weil wenn zu viel Strom da ist, steigt die Netzfrequenz", erklärt Volker Quaschning, "und geht die über einen kritischen Punkt, dann schalten viele Anlagen automatisch aus, damit da nichts kaputtgeht." Das heißt: Am besten sollte immer so viel Energie erzeugt werden, wie auch verbraucht wird. Und am besten auch dort, wo sie verbraucht wird – zum Beispiel auf dem Dach des Eigenheims.

Um Schwankungen auszugleichen, helfen bei großen wie kleinen Anlagen Energiespeicher, zum Beispiel Batterien oder umgewandelter Wasserstoff. Seit Februar gibt es mit dem Solarspitzengesetz auch einen gesetzlichen Rahmen für Schwankungen. Quaschning: "Im Solarspitzengesetz ist erstmal geregelt, dass die Anlagen, wenn viel zu viel Strom im Netz ist, keine Vergütung mehr erhalten."

Im Dienste des Stromnetzes

Jens Schneider, Professor für vernetzte Energiesysteme an der HTWK in Leipzig, begrüßt solche Preissignale als Anreize, sich stromsystemdienlich zu verhalten – was für ein Wort. Für Privatpersonen mit Solardach heißt das: "Man kann sich ja schon mal technisch damit auseinandersetzen, wo man flexibel sein kann, ob man vielleicht schon einen Batteriespeicher mit eingebunden hat ins System, ob man die Wärmepumpe flexibel gegen den Wärmespeicher fahren kann."

Schneider hat zudem einen ganz praktischen Weg untersucht, die Stromspitzen in der Mittagssonne zu verhindern. "Wenn Sie Solarmodule nehmen, die auch von beiden Seiten Sonnenlicht in elektrische Energie wandeln können und Sie stellen die senkrecht hin, dann haben Sie mittags sogar relativ wenig Ertrag, weil die Sonne dann oben auf die Kante scheint." Dafür aber maximalen Ertrag am Vormittag und Nachmittag. Schneider sieht besonders auf landwirtschaftlichen Nutzflächen ein großes Potenzial für solche senkrechten Solarmodule.

Ich denke, aus technischer Sicht ist es wichtig, dass wir unser Energiesystem viel besser kennenlernen

Prof. Dr.-Ing. Jens Schneider HTWK Leipzig

PV-Anlagen: Am Mittag alle auf einmal? Bitte nicht!

Auch bei Volker Quaschnings Forschung in Berlin geht es darum, wie verhindert werden kann, dass die Solarmodule der Republik zur Siesta allesamt gehörig Strom ins Netz pumpen. Seine Lösung, die seiner Auffassung nach in die Werkseinstellung jeder privaten Solaranlage gehört: Den Batteriespeicher nicht morgens auffüllen, sondern zur Mittagszeit. Das trage zur Netzstabilität bei, aber auch zu höheren Erträgen für den eingespeisten Strom und zu einer längeren Lebensdauer. "Man kann die Speicher einfach durch ein paar Mausklicks umprogrammieren." Eine kleine Maßnahme, die, wenn sie erst einmal zur Vorschrift würde, einen großen Effekt für das große Ganze haben kann.

Rendezvous mit dem Stromsystem

Für dieses große Ganze sieht Jens Schneider von der HTWK Leipzig einen Punkt als besonders entscheidend: "Ich denke, aus technischer Sicht ist es wichtig, dass wir unser Energiesystem viel besser kennenlernen." So, wie es sich für Eheleute schickt, nach Jahrzehnten mal wieder auf ein gemeinsames Date zu geben. Denn das neue System ist ein anderes geworden und unterscheidet sich vom fossilen System grundlegend. Der seit dem Solarspitzengesetz für größere Anlagen verpflichtende Einbau von smarten Stromzählern ist da schon mal ein Schritt zu diesem besseren Kennenlernen, sagt Schneider, die Angst vorm "Solar-Infarkt" hingegen nur ein Zeichen dafür, dass die Erneuerbaren ernst genommen werden.

Und auch Volker Quaschning aus Berlin hat noch eine Entwarnung in petto: Zu viel Sonne schadet Solaranlagen nicht, die sind dafür gebaut. Vor klimawandelbedingten Hochwasserschäden an der Photovoltaikanlage – erst recht am empfindlichen Wechselrichter – hat er zumindest mehr Angst.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 11. April 2025 | 00:00 Uhr

8 Kommentare

mandomaze vor 7 Wochen

Man kann diese Idee durchaus ausbauen: (Energieintensive) Unternehmen könnten eine Förderung (Steuerentlastung etc.) erhalten wenn sie in Großspeicher Container investieren. Diese könnten sie (tagsüber) mit billigem Überschussstrom Aufladen und in teuren Stromphasen verwenden (derzeit schalten wir oftmals deren PV-Anlagen ab. So belohnt mein keine Investoren. Leider reden manche Politiker noch von Pumpspeichern - welch ein Unsinn die Landschaft zu verschandeln statt endlich in Speichertechnologien zu investieren bevor wir diese woanders teuer kaufen müssen (Vanadium- oder Lignin Redox Flow o.ä.). Stromnetz Stabilisierung und billige Energie sind kein Problem, wenn man sich endlich vom Rückwärtsgang verabschiedet.

MDR-Team vor 7 Wochen

Hallo @mandomaze,
vielen Dank für Ihren Beitrag. Ihre Idee ist nachvollziehbar. Bei hoher Sonneneinstrahlung kommt es oft zu Stromüberschüssen, was zu negativen Börsenstrompreisen führt (Quelle: Bundesnetzagentur, 2024). Intelligentes oder zeitlich gesteuertes Laden könnte helfen, diese Überschüsse sinnvoll zu nutzen und das Netz zu entlasten. Studien und Pilotprojekte, z. B. von Fraunhofer ISE und der Agora Verkehrswende, bestätigen das Potenzial (Quellen: Fraunhofer ISE 2023, Agora Verkehrswende 2022). Seit 2025 sind Energieversorger gesetzlich verpflichtet, dynamische Stromtarife anzubieten (§ 41a EnWG). Eine kostenlose Ladung in Überschusszeiten ist theoretisch denkbar, wird aber derzeit durch Abgaben, Netzentgelte und fehlende Echtzeit-Abrechnung erschwert (Quelle: BMWK, Monitoringbericht 2023). Ihre Anregung zeigt deutlich, wie sektorübergreifendes Denken zur Energiewende beitragen kann.
Herzliche Grüße

mandomaze vor 7 Wochen

Ich denke, dass es sehr viel zur Netzstabilität beitragen könnte, wenn bei Solarstromüberschuss das Laden von Elektroautos an öffentlichen Ladesäulen kostenlos wäre. Das ist derzeit mit 60-90 ct / kW viel zu teuer und der eigentliche Block für den Umstieg zur Elektromobilität. Elektroauto fährt doch nur noch der, der selber PV laden kann. Kostenlos laden zwischen 10 und 16 Uhr wäre doch mal was! Es wäre auch ein viel besserer Kaufanreiz für Elektroautos als eine Anschaffungsprämie oder ein Ladekontingent, die beide nur wieder von entsprechenden Konzernen abgezockt werden. Insofern könnte man hier zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Netzstabilität und Elektroautokauf.

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