Vor wenigen Tagen ging das Steinkohlekraftwerk Zolling 5 in Bayern vom Netz. Das Kraftwerk war der letzte große Kohleverstromer des Freistaates – nur zwei kleine Anlagen in Schweinfurt sind nun noch in Betrieb.

Immer seltener hatte das Kraftwerk neben den erneuerbaren Energien Platz auf dem Strommarkt. Vergangenes Jahr lag die Auslastung bei nur noch 24 Prozent, wie der Bayerische Rundfunk berichtete.

 

Betriebswirtschaftlich habe es sich dennoch bis zuletzt gerechnet, teilte die Betreiberfirma Onyx Power mit, eine Tochter des Risikokapitalspezialisten Riverstone. Für die vorzeitige Stilllegung erhielt das Unternehmen vom Bund deshalb eine Entschädigung von gut 46 Millionen Euro.

Verglichen mit den Entschädigungssummen, die in den Braunkohleregionen fällig werden, ein bescheidener Betrag. Das Energieunternehmen RWE soll für die Stilllegung der Kraftwerke im rheinischen Revier bis 2030 rund 2,6 Milliarden Euro erhalten, die Leag für die Stilllegung bis 2038 in der Lausitz 1,75 Milliarden Euro.

Ob sich diese Milliardensummen wirklich rechtfertigen lassen, ist umstritten. Einige Prognosen sagen voraus, dass sich die Kohleverstromung vor dem Hintergrund steigender CO2-Preise ohnehin ab 2030 nicht mehr rechnet.

Ähnlich argumentiert auf Nachfrage der EU-Abgeordnete Michael Bloss von den Grünen. "Der Kohleausstieg kommt marktgetrieben, Kohlekonzerne brauchen dafür keine Entschädigungen." Nötig seien stattdessen Investitionen vor Ort, etwa in die Infrastruktur und Weiterbildung.

Eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag nährt nun weitere Zweifel an der Sinnhaftigkeit des politisch beschlossenen Kohleausstiegs.

Die Bundesregierung gehe davon aus, dass durch das schrittweise Zurückfahren der Kohleverstromung entsprechend dem Kohleausstiegsgesetz jedes Jahr von 2020 bis 2030 im Schnitt zehn Millionen Tonnen CO2 vermieden werden, heißt es in der Anfrage. Damit es eine Klimawirkung gebe, müsse dabei aber die entsprechende Menge an Emissionsberechtigungen gelöscht und damit dem EU-Emissionshandel entzogen werden.

Kohleausstieg immer noch ohne Klimawirkung

Damit bezieht sich die FDP auf die Logik des Emissionshandels. Wenn ein Energieerzeuger oder ein Industrieunternehmen CO2 emittiert, müssen dafür Zertifikate erworben werden. Um die Klimaziele zu erreichen, begrenzt die EU die Anzahl dieser Zertifikate.

Wenn ein Kohlekraftwerk vom Netz geht, verschwindet allerdings nicht automatisch auch die entsprechende Anzahl an Zertifikaten. Stattdessen muss das EU-Land, in dem das Kraftwerk steht, die Löschung der Emissionsrechte beantragen – sonst kann ein anderes Unternehmen die Zertifikate erwerben und in entsprechendem Umfang CO2 emittieren.

Jahrelang protestierte die Klimabewegung gegen die Kohleverstromung. (Bild: KRA)

Die wie üblich in zahlreiche Teilfragen untergliederte Anfrage der FDP-Fraktion und die Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums sind insoweit erhellend, als bisher durch die Kraftwerksstilllegungen keine Emissionszertifikate gelöscht wurden.

Die Bundesregierung hatte dies für die Stilllegungen der Jahre 2020 und 2021 zwar beantragt, aber die Europäische Kommission stimmte dem Antrag nicht zu. Die Kommission begründete das laut Wirtschaftsministerium damit, dass sie die deutsche Berechnungsmethode nicht anerkennt.

Tatsächlich ist die EU-Vorgabe für die Löschung von Zertifikaten relativ einfach. Es können so viele Zertifikate gelöscht werden, wie das Werk in den fünf Jahren vor der Schließung verbraucht hat. Die Bundesregierung ließ die Anzahl der Zertifikate hingegen gemäß dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz über zwei unabhängige Gutachten im Nachhinein ermitteln.

Das entspricht zwar deutschem Recht, ist aber nicht mit EU-Recht vereinbar. Die EU-Kommission habe ihre Vorgaben zur Berechnung der zu löschenden Zertifikate allerdings nicht im Vorhinein bekannt gegeben, so das Ministerium.

Das ändert nichts daran, dass die 2020 und 2021 stillgelegten Kohlekraftwerke bislang keine Klimaschutzwirkung hatten. Die Regierung zeigt sich in ihrer Antwort dennoch optimistisch, dass die eingesparten Emissionen durch die ab 2022 abgeschalteten Kohlekraftwerke gelöscht oder in die sogenannte Marktstabilitätsreserve (MSR) überführt werden können.

Die MSR ist eine Art Emissions-Sicherheitsnetz. Dorthin fließen überschüssige Zertifikate, die wenn nötig zu einem späteren Zeitpunkt wieder in den Markt eingespeist oder, wenn dies nicht geschieht, gelöscht werden. So oder so sind sie dem Markt erstmal entzogen und treiben damit den CO2-Preis in die Höhe.

Zertifikatelöschung wird in Zukunft einfacher

Der Optimismus der Bundesregierung scheint nicht ganz unbegründet, da die Reform des EU-Emissionshandels von 2023 den Mitgliedsstaaten mehr Handlungsspielraum bei der Berechnung der Zertifikate einräumt. Um die Zertifikate im Zusammenhang mit den 2022 stillgelegten Kraftwerken löschen zu lassen, muss jetzt nur noch ein entsprechender Antrag bis Ende Mai 2025 gestellt werden. Es sei vorgesehen, erklärte das Ministerium, diese sogenannte Löschungsnotifizierung rechtzeitig zu übermitteln.

Selbstverständlich sei es nach europäischem Recht auch möglich, Emissionszertifikate rückwirkend zu löschen, erklärt Michael Bloss. Es liege grundsätzlich im Ermessen des Mitgliedsstaates, wie viele Zertifikate er löschen lassen wolle.

Und die Löschung sei auch nötig, so Bloss. Andernfalls wäre "der Ausstieg nur eine symbolische Maßnahme". 

Für den FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler ist der Kohleausstieg ein kostspieliger "energiepolitischer Irrweg" von SPD und Grünen, wie er die Antwort des Wirtschaftsministeriums in der Tageszeitung Handelsblatt kommentierte.

Michael Bloss teilt stattdessen gegen den ehemaligen FDP-Finanzminister Christian Lindner aus. Für den Grünen steht fest, dass der Minister "gerne die Einnahmen aus den Versteigerungen von Zertifikaten behalten wollte und dafür noch mehr Klimaverschmutzung in Kauf nahm".

 

Ehrlicherweise sind das alles old news. Dass für die 2020 und 2021 stillgelegten Kraftwerke keine Zertifikate gelöscht wurden, hatte die Wochenzeitung Die Zeit bereits vor drei Jahren berichtet und im folgenden weitere Blätter. Auch der Bundesrechnungshof hatte vergangenes Jahr kritisiert, dass die Kraftwerksstilllegungen ohne Klimaeffekt seien.

Die FDP-Anfrage muss deshalb wohl vor allem vor dem Hintergrund des Wahlkampfs betrachtet werden. Die Anfrage wurde am 10. Januar gestellt und wenige Tage vor dem Wahlsonntag kam die Antwort des Ministeriums.

Abzuwarten bleibt, ob die künftige Bundesregierung die Löschung der Zertifikate vorantreibt. Zumindest da sind sich Köhler und Bloss einig: Für wirklichen Klimaschutz müssen die Zertifikate vom Markt genommen werden.

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