Tennet-Chef: „Je schneller wir die Netze ausbauen, desto schneller sinken die Strompreise“

Die Masten einer Hochspannungsleitung vor Wolken am Himmel (Montage).
Quelle: IMAGO/Wolfilser
Herr Meyerjürgens, im Sofortprogramm der CDU steht das Stichwort „Senkung der Netzentgelte“ ganz oben. Ein gutes Zeichen für niedrigere Energiepreise nach der Bundestagswahl?
Die erneuerbaren Energien sind zunächst einmal günstig in der Erzeugung. Das wird die Entwicklung der Strompreise dämpfen. Allerdings müssen wir gleichzeitig das gesamte Energiesystem umbauen. Die volatilen Energieträger – Wind und Sonne – brauchen starke Netze. Deshalb nehmen die Gebühren für die Nutzung der Netze – die Netzentgelte – zunehmend einen höheren Anteil am Strompreis ein. Und leider ging es beim Ausbau der Netze in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht schnell genug.
Was hat das mit den Netzentgelten zu tun, die inzwischen fast ein Drittel des Strompreises ausmachen?
Die Entgelte sind geprägt durch Eingriffe, um Netze vor Überlastung zu schützen und Übertragungsengpässe zu verhindern. Das macht heute ungefähr die Hälfte der Entgelte aus. Deshalb ist der Ausbau der Infrastruktur, trotz der dafür notwendigen Investitionen, die günstigste Maßnahme, um die Kosten des Energiesystems zu drücken. Kurz gesagt: Netzausbau ist wirtschaftlicher als kein Netzausbau.

Tennet-Chef Tim Meyerjürgens.
Quelle: Goetz Schleser/Tennet
Der Herr der Netze
Tim Meyerjürgens ist seit Januar 2025 der Vorstandschef (CEO) des Übertragungsnetzbetreibers Tennet Deutschland. Zuvor war er Chief Operating Officer (COO) im Vorstand der deutsch-niederländischen Tennet Holding. Er verfügt über fast 30 Jahre Berufserfahrung im Energiesektor. Sein Fokus liegt auf den Themen Stromübertragung und erneuerbare Energien. Tennet gehört dem niederländischen Staat und ist hierzulande der größte der vier Betreiber von Stromautobahnen, die elektrische Energie über große Strecken transportieren – insbesondere von Nord nach Süd.
Auch Sie müssen eine Stromrechnung bezahlen. Was ist Ihr persönlicher Wunsch in puncto Preise?
Erneuerbare sind die einzigen Energieträger, die wir in Deutschland und auch Europa langfristig selber zur Verfügung haben. Sie manchen uns unabhängiger und sichern den Wirtschaftsstandort. Deshalb ist die Energiewende auch für die Verbraucher der richtige Weg. Jetzt brauchen wir Verlässlichkeit seitens der Politik: für die Industrie, für die Investoren und für die Haushalte, damit wir nicht alle vier Jahre immer wieder eine Grundsatzdiskussion über den richtigen Weg führen, sondern die eingeschlagene Zielrichtung jetzt konsequent und schnell weitergehen.
Werden die Netzentgelte auch irgendwann wieder sinken?
Geschwindigkeit spielt hier eine wichtige Rolle: Deutschland muss zunächst große Investitionen in die Infrastruktur tätigen, doch je schneller wir die Netze ausbauen, desto eher sinken die Netzentgelte und damit auch die Stromkosten. Wichtig ist aber auch, wie schnell die Industrie auf Elektrizität umstellt, wie schnell sich die Elektromobilität entwickelt und der grüne Wasserstoff sich durchsetzt. Da steht einiges an.
Was muss die neue Regierung als Erstes angehen?
Aktuell hängen mehrere wichtige Gesetzesvorhaben. Zum Beispiel das Kraftwerksicherheitsgesetz zur Absicherung der Stromversorgung. Wir brauchen zusätzliche Gaskraftwerke die in bestimmten Momenten als kurzfristige Reserve einspringen können, wenn wir nicht genügend erneuerbaren Strom haben. Wir haben das bei der Dunkelflaute im Dezember gesehen: Wir mussten Reservekraftwerke beanspruchen, die zum Teil 60 Jahre alt sind. Darauf sollten wir uns nicht dauerhaft verlassen. Das muss die nächste Bundesregierung schnell angehen.
Wir brauchen zusätzliche Gaskraftwerke die in bestimmten Momenten als kurzfristige Reserve einspringen können, wenn wir nicht genügend erneuerbaren Strom haben.
Tim Meyerjürgens,
Tennet-Chef
Für Verzögerungen sorgen auch immer wieder Proteste von Bürgern, egal, wo oder was Tennet bauen will. Aktuell wird unter anderem um ein Umspannwerk bei Kiel gekämpft. Wie sehr sind Sie genervt?
Unsere Projekte schaffen Betroffenheit vor Ort, die wir nicht umgehen können. Denn unsere Infrastruktur ist liniengeführt, das definiert potenzielle Standorte. Im Fall von Kiel gab es drei mögliche Standorte, bei denen die verschiedenen Schutzgüter abzuwägen sind. Aber egal welcher, jeder bringt eben Betroffenheiten für die Anwohner mit sich.
Eine Maßnahme, um Proteste und Verzögerungen klein zu halten, war, auf Erdkabel anstelle von Masten mit Freileitungen zu setzen. Was aber erheblich teurer ist. Deshalb kam von Ihnen der Vorstoß, auf Masten umzuschwenken. Die Politik hat das zurückgewiesen. Werden Sie es erneut versuchen?
Tatsächlich ist durch den gesetzlichen Erdkabelvorrang bei den Gleichstromtrassen die Akzeptanz insgesamt nicht gestiegen. Der Konflikt hat sich nur verlagert. Von Protesten einiger Anwohner wegen einer Störung des Landschaftsbildes bei Freileitungen auf Eigentümer und Landwirte, für die die Verlegung der Erdkabel auf von ihnen bewirtschafteten Flächen den größeren Eingriff darstellt. Im Ergebnis sind wir nicht schneller geworden. Aus diesem Grund haben wir im vergangenen Jahr für drei neue Trassen Freileitungen statt Erdkabel vorgeschlagen und hätten so 20 Milliarden Euro an Investitionskosten sparen können, was wiederum einen positiven Einfluss auf die Netzentgelte für die Verbraucher hätte. Aber die Politik sieht offensichtlich nach wie vor den Kostendruck als nicht so hoch an und hält am Erdkabelvorrang fest.
Chance vertan?
Aufgrund der politischen Entscheidung haben wir alle drei Projekte nun als Erdkabel geplant. Bestehen die erwähnten Verzögerungen bei Gesetzesvorlagen aber über den Juni hinaus, müssen wir die Genehmigungsvorlagen für die drei Gleichstromkorridore ohnehin neu erstellen. Das böte der neuen Bundesregierung die Option, den Erdkabelvorrang noch einmal neu zu bewerten. Wenn wir schon zwei bis drei Jahre bei diesen wichtigen Leitungsvorhaben verlieren und dadurch weitere Kosten entstehen, dann sollte zumindest die Chance genutzt werden, sich für die günstigere und zuverlässigere Technologie zu entscheiden.
Tennet kooperiert eng mit dem Staat. Warum nicht gleich Ihr Unternehmen und die anderen drei Übertragungsnetzbetreiber an den Staat verkaufen – wie die IG Metall es vorschlägt?
Der niederländische Staat hat gesagt, dass er mit niederländischem Staatsgeld nicht auf Dauer die deutsche Energiewende finanzieren will. Auch von deutscher Seite gab es den Wunsch, dass die Staatsbank KfW als Investor bei uns einsteigt. Im Juni 2024 wurde klar, dass wir nicht zueinanderkommen. Die niederländische Regierung und die Tennet Holding prüfen nun Optionen für die Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen oder privaten Investoren, die in Tennet Deutschland investieren möchten.
Der niederländische Staat hat gesagt, dass er mit niederländischem Staatsgeld nicht auf Dauer die deutsche Energiewende finanzieren will.
Tim Meyerjürgens,
Tennet-Chef
Sie suchen in der Privatwirtschaft Investoren?
Aber dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Private Investoren platzieren ihr Geld da, wo sie eine gewisse Rendite erzielen. Bei der von der Bundesnetzagentur festgelegten Eigenkapitalverzinsung liegt Deutschland im europäischen Vergleich aber weit hinten. Damit Investitionen in die deutsche Infrastruktur für Investoren attraktiv bleiben, bedarf es einer Erhöhung der Eigenkapitalzinsen auf ein internationales, wettbewerbsfähiges Niveau. Denn eine Investition muss sich eben auch lohnen.
Wären Sie traurig, wenn Sie doch noch vom Staat übernommen würden?
Wie gesagt, bereiten wir die Zusammenarbeit mit öffentlichen oder privaten Investoren vor. Wenn es dabei wieder ein Interesse der Bundesregierung gibt, auch der kommenden, dann stehen wir zu Gesprächen bereit.
Tennet spielt auch beim Ausbau der Offshore-Windkraft eine wichtige Rolle. Ist auch dort mehr Kosteneffizienz möglich?
Deutschland kann in der Nordsee nur über eine limitierte Zone verfügen. Zugleich hat Deutschland sehr ehrgeizige Ziele, die sich an der Gesamtleistung der Anlagen orientiert. Das ist aber nach unserer Meinung die falsche Steuerungsgröße. Effizienz sollte im Fokus stehen. Man sollte sich daher an der erzeugten Strommenge orientieren. Konkret würde das bedeuten, weniger Anlagen zu installieren und sie weiter auseinander zu stellen, als es bislang geplant ist. Der Grund: Wenn die Windräder sehr dicht beieinanderstehen, nehmen sie sich gegenseitig den Wind weg, was den Energieertrag verkleinert.

Der Offshore-Windpark Dolwin Alpha.
Quelle: Sina Schuldt/dpa
Welche finanziellen Auswirkungen hätte das?
Es müssten weniger Windräder gebaut und damit auch weniger Geld investiert werden – allein damit könnten zweistellige Milliardenbeträge eingespart werden. Das Gleiche gilt für uns, da weniger Netzanschlüsse nötig werden. Also enorme Einsparungen, ohne die Menge des erzeugten Stroms zu verringern. So könnte die Bundesregierung schnell die Energiekosten für Firmen und Verbraucher senken, ohne die Klimaziele infrage zu stellen.
Was bedeutet Ihr Konzept für den Naturschutz?
Durch weniger Turbinen im Meer wird die Belastung für Natur und Umwelt geringer – keinesfalls höher. In dieser Diskussion gab es zuletzt einige Missverständnisse.
Zurück aufs Land: Wir erleben gerade einen Boom bei Batteriespeichern. Ein Lichtblick?
Batteriespeicher können enorm hilfreich sein, um die Stromversorgung zu stabilisieren und die Kosten für den Netzausbau zu verringern – sofern sie sich richtig verhalten.
Wie können die sich falsch verhalten?
Derzeit werden sie eingesetzt, um Geld zu verdienen mit den Preisdifferenzen an den Strombörsen, die es im Laufe des Tages gibt: Einspeichern bei niedrigen Strompreisen, zum Beispiel bei hoher Photovoltaikeinspeisung in der Mittagszeit – und später, bei höheren Strompreisen, wieder verkaufen. Das passt aber häufig nicht zum Zustand des Netzes. Die meisten Batteriespeicher stehen im Norden. Dort drängen dann etwa abends große Mengen Strom – aufgrund hoher Nachfrage und damit höherer Preise – ins Netz. Geht die Ausspeisung von Energie dann mit hoher Windeinspeisung einher, führt das zu einer zusätzlichen Belastung der Nord-Süd-Transportachsen. Wir können die Energie aber gar nicht nach Süden transportieren, weil die Netze dafür nicht ausreichen. So wirken Batteriespeicher kontraproduktiv.
Was tun?
Die Bundesnetzagentur hat einen ersten Baustein zur Lösung des Problems geliefert: Die Betreiber der Speicher müssen einen Teil der Kosten für den Netzanschluss übernehmen. Die BNetzA schlägt vor, dass dieser Baukostenzuschuss nach Netzdienlichkeit gestaffelt werden soll. Das führt dazu, dass Speicher dort entstehen, wo sie wirklich gebraucht werden.
Aber braucht es nicht auch noch verschiedene Preiszonen in Deutschland?
Für ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energiesystem, das im Wesentlichen auf erneuerbaren Energien beruht, bedarf es sicherlich zusätzlicher Marktinstrumente, die regionale Unterschiede berücksichtigen und systemdienliches Verhalten anreizen. Was eine Teilung in mehrere Gebotszonen technisch bedeutet und wie sich das auf den Markt auswirken würde, dazu werden die europäischen Übertragungsnetzbetreiber demnächst einen Bericht zum Bidding Zone Review vorlegen. Ob die deutsche Gebotszone dann auf Basis der Ergebnisse neu konfiguriert werden sollte oder nicht, ist aber letztlich keine technische, sondern eine politische Entscheidung und somit von der neuen Bundesregierung zu beantworten.